Es ist eine große Herausforderung, bei so vielen Trivialitäten nicht trivial zu werden. Alles, was sich vor dem kritischen Auge ausbreitet, ist durchschaubar und widerspricht allen Prinzipien, die für das Überleben im eigenen Alltag eingeübt wurden.
Alles, was wir täglich praktizieren, hat mit dem, was im Allgemeinen als die große Politik bezeichnet wird, nicht viel gemein.
Egal um was es sich handelt, um den eigenen Umgang mit Strategien, um das Wissen um die psychologischen Effekte unseres eigenen Handelns, um die Voraussetzungen einer erfolgreichen Kommunikation oder die existenziell unverzichtbare Qualität aus eigenen Fehlern zu lernen.
Self-fulfilling Prophecy
Beginnen wir mit der Strategie. Die von uns formulierten Ziele und Wege, wie wir diese erreichen wollen, haben so lange eine Geltung wie die zu erwartende Wahrscheinlichkeit des Erfolgs. Stellt sich dieser nicht ein und verkehrt sich das eigene Handeln in eine Abfolge von Misserfolgen, dann liegt es bei jedem durchschnittlich begabten Menschen nahe, die Strategie zu überdenken und sie in Einklang zu bringen mit den eigenen Bedingungen und Fähigkeiten.
Diejenigen, die bei chronischen Misserfolgen an der Strategie festhalten, ernten sehr schnell großes Unverständnis bei den Mitmenschen. Anders in der Politik. Man betrachte allein die Doktrin der Außenpolitik und sehe sich die Ergebnisse an. Das Resultat ist ein Festhalten an der Strategie, keine Reflexion der Ursachen und keine zu attestierende Lernfähigkeit.
Dazu gehört auch das Phänomen der Self-fulfilling Prophecy, der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die nun herhalten muss, um das eigene Fehlverhalten zu legitimieren (1). Indem dem Gegenüber seit Jahrzehnten das inhärent Bestialische attestiert und damit eine konfrontative Strategie begründet wurde, ist das notwendigerweise irgendwann zutage tretende Aggressive und Inakzeptable zu einem Beweis für die Richtigkeit der eigenen Grundannahme geworden. Es verhindert eine kritische Selbstreflexion und ermöglicht das Kontinuum einer irrwitzigen Begründung für das eigene Scheitern.
Infizierte Atmosphäre
In jedem Grundlagenseminar zum Thema Kommunikation werden Dinge gelehrt, die sich die meisten Menschen in ihrem täglichen Handeln bereits zu Eigen gemacht haben. Dazu gehört die Bereitschaft, das Gegenüber als gleichwertigen Verhandlungspartner zu akzeptieren, ihm zu signalisieren, dass seine Anliegen als genauso wertig angesehen werden wie die eigenen und dass es unabdingbar ist, einen Konsens darüber zu finden, was als gemeinsames Ansinnen bezeichnet werden kann.
Betrachtet man die vielen vergeblichen Verhandlungen, an deren Ende der jetzige Krieg steht, dann ist es alleine aus den Gründen der in der Kommunikation gemachten Fehler kein Wunder, welchen Verlauf das Unterfangen nehmen musste. Übersetzen Sie das Geschehene in Ihren eigenen Alltag: Sie gehen in eine Verhandlung, signalisieren Ihrem Gegenüber von vornherein, dass er sich im Unrecht befindet, dass seine Anliegen lächerlich sind und Sie nicht im Traum daran denken, darauf einzugehen und Sie überreichen dann Ihren eigenen Forderungskatalog und sind bestürzt, dass Ihr Gegenüber sich verärgert zeigt. Das Feedback aller, die Sie bei einem solchen Vorgehen beobachteten, wäre verheerend. Die gegenwärtige Politik und die sie mal eskortierende, mal vor sich hertreibende Presse unterstreicht hingegen die hohe Qualität des eigenen Scheiterns.
Womit das letzte unerfreuliche Kapitel in der kurzen Betrachtung erreicht wäre. Aus Fehlern lernen, diese Maxime, der alle Menschen folgen, die sich halbwegs erfolgreich durch ihre Existenz bewegen, wird in der Politikbegründung de facto als falsch dargestellt. Wer Fehler macht, und zwar gravierende wie verheerende, hätte sie noch viel früher machen sollen, so das momentan täglich wiederholte Diktum, um sie zu verhindern. Eine Logik, die belegt, wie absurd und infiziert die Atmosphäre gereift ist.
Quellen und Anmerkungen
(1) Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung (engl. self-fulfilling prophecy) ist eine Vorhersage, die ihre Erfüllung selbst bewirkt. Eine Prognose über eine mögliche Zukunft hat also einen entscheidenden Einfluss und ist die wesentliche Ursache dafür, dass diese Zukunft auch eintritt. Ein wesentlicher Mechanismus ist, dass die Menschen an die Vorhersage glauben und deswegen so agieren, dass sie sich erfüllt. Es kommt zu einer positiven Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten. Im Gegensatz zur selbsterfüllenden Prophezeiung steht die selbstzerstörende Prophezeiung (engl. self-defeating prophecy). Eine solche Prophezeiung löst Reaktionen (und Handlungen bzw. Verhalten) aus, die zur Folge haben, dass die Prophezeiung gerade nicht in Erfüllung geht.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Mae Mu (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Politisches Versagen? Die Prophezeiung ist der Ausweg!“
natürlich funktioniert die jahrelange “erpressung” russlands (seit fast 30 jahren geht das spiel schon) durch westliche diplomatie, wirtschaftskrieg, medienkrieg, osterweiterung nato, politische intrigen, als zündschnur zur selbsterfüllenden prophezeiung, putins russland als “reich des bösen” zu brandmarken, und der jetzige ukr-krieg ist ja scheinbar ein direkter beweis dafür, wie bösartig putins russland ist – aber das war und ist keineswegs der lernunfähigkeit oder dusseligkeit des westens geschuldet, sondern war und ist blanke absicht, russlands wirtschaft über den tisch zu ziehen, ua. um zugriff auf die bodenschätze sibiriens zu bekommen, die im rahmen der klimadrift nun mehr und mehr erschlossen werden können, und ganz nebenbei ist die ukraine ein reiches landwirtschaft + bodenschätze gebiet, das den westen (und sogar china) ebenfalls sehr interessiert, und ist ein korridor zum zugang öl und gas richtung bakú usw = einem kerngebiet der GUS.
deshalb mutmaße ich, dass der jetzige ukr.krieg dem westen sehr zupass kommt, während er sich aus russ sicht als eine art (völlig untauglicher) notwehrmaßnahme darstellt, denn putins russland tut sich einen unglaublich dummen und bzgl seiner interessen nicht zielführenden bärendienst damit, wie immer der konkrete krieg jetzt auch ausgehen mang.
Prophezeiung.. ;*)
Mir kommt da die Belagerung in den Sinn. Es ist doch eine Taktik bei dem beide Seiten im Ungewissen handelten und es wohl eher darauf ankam wie man sich gegenseitig Präsentierte und wie die Stimmung in der jeweiligen Truppe war, als auf die tatsächliche Stärke an und für sich. Mancher Sieg ist dann eher der sturen Beharrlichkeit zu verdanken gewesen. Man könnte auch sagen: einem Glauben an eine Prophezeiung.