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Am Spieltisch: Werte-basierte Staatskrise

Das nach erneuter Stärke und Anerkennung lechzende Russland wird durch den Krieg in der Ukraine und die daraus folgenden Konsequenzen geschwächt, der Krieg selbst ist ein famoses Geschäft und das nicht souveräne Deutschland verliert seine ökonomische Substanz.

Wonach streben Imperien? Sie suchen ihre Dominanz zu erhalten und ihren Einflussbereich so weit wie möglich auszudehnen. Worum geht es einstigen, untergegangenen Imperien? Sie wollen zurück zu den vermeintlich goldenen Zeiten ihrer Hegemonie. Um was geht es aufstrebenden Imperien? Sie wollen sich unter den Konkurrenten behaupten und warten auf den Moment, in dem ihnen das Schicksal günstig erscheint, um zu triumphieren und eine neue Ära einzuleiten.

Und worum geht es den anderen Staaten, die von dem einen oder anderen imperialen Typus dominiert werden?

Sie versuchen, unter den fremden Machtverhältnissen das Beste für sich zu erreichen oder, wenn sich die Chance bietet, das Lager zu wechseln, in der Hoffnung, dass es ihnen unter dem Schutz eines anderen Imperiums besser gehen wird.

USA, Russland, China und unmündige Riesen

Mit dieser kurzen Umschreibung ist das Szenario, das für so große Aufregung sorgt, eigentlich umfänglich umschrieben. Muss tatsächlich noch erwähnt werden, welches Imperium in diesem Modell welche Rolle spielt? Nein und doch. Die USA sind das dominierende Imperium, das allerdings mächtig ins Schlingern geraten ist, Russland ist die untergegangene Sowjetunion, die vom herrschenden Imperium gedemütigt wurde und nun versucht, die Verhältnisse zu revidieren. Und China ist die aufstrebende Weltmacht, die voller Kraft beobachtet, wie sich die Dinge entwickeln und wann es opportun ist, dem wankenden Riesen den entscheidenden Schlag zu versetzen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist wie Japan unter der Protektion des US-Imperiums nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem ökonomischen Riesen herangewachsen. Das sich mit dieser Entwicklung abzeichnende Monströse ist die politische Unmündigkeit, die zwar Zeiten kannte, in denen es nicht allzu offensichtlich war, die aber nie überwunden wurde und nun Konstellationen begünstigt, die das Land in seiner jetzigen Form massiv gefährden.

Weit entfernt, jenseits des Atlantiks, ist man auf der einen Seite erfreut über jedes Land, das bereit ist, das Lager des einstigen Kontrahenten zu verlassen und setzt alle Mittel ein, um dieses zu begünstigen. Dass in einer solchen Situation ein ökonomischer Riese, der bereits nicht einmal mehr von seiner eigenen Souveränität träumt, aber zu einem wirtschaftlichen Stachel im schlingernden Imperium geworden ist, mit einem Schlag auf Linie gebracht werden kann, nannte man in der Antike eine Stunde der Götter: das nach erneuter Stärke und Anerkennung lechzende Russland wird durch den Krieg in der Ukraine und die daraus folgenden Konsequenzen geschwächt, der Krieg selbst ist ein famoses Geschäft und das nicht souveräne Deutschland verliert seine ökonomische Substanz.

Zocken ohne Verhandlungsmasse

Das scheinbar ansonsten nur durch einen Putsch zu erreichende Desaster dieses Landes im Rayon des Imperiums ist in diesen Zustand sukzessive geschlittert, weil es sich einer gezielt lancierten und kollektiv adaptierten Illusion verschrieben hat. Es handelt sich um den Glauben, im internationalen Spiel der Kräfte mit einer Verhandlungsmasse mitspielen zu können, die von den gewichtigen imperialen Partnern nicht akzeptiert wird.

Die handeln nämlich mit ihren Interessen, während die Verstrahlten und Verblendeten mit Jetons am Spieltisch erscheinen, auf denen statt Interessen Werte stehen, die niemand sonst am Tisch akzeptiert: Nicht die USA, nicht Russland, nicht China und auch nicht die Ukraine.

Da muss die Fantasie nicht lange strapaziert werden, um herauszufinden, wie das Spiel enden wird. Die Göre mit dem falschen Einsatz erhält irgendwann einen Tritt und wird des Tisches verwiesen. Was folgt, ist kein Geheimnis. Und im politischen Jargon hieße das dann eine werte-basierte Staatskrise (1). Wenn man dann über so etwas überhaupt noch sprechen kann.


Quellen und Anmerkungen

(1) Als Regierungskrise wird eine politische Lage bezeichnet, die die ordnungsgemäße Regierung eines Landes gefährdet. Davon nicht immer klar unterschieden wird der Begriff der Staatskrise. Dieser bringt zum Ausdruck, dass die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes bzw. Staates gefährdet ist, weil ein Verfassungsorgan seine Aufgaben nicht mehr erfüllt oder erfüllen kann. Eine solche kritische Situation bzw. Staatskrise kann verschiedene Ursachen haben. Dazu zählen schwerwiegende innenpolitische Probleme, der Verlust der Regierungsmehrheit im Parlament, eine instabile Wirtschaftslage, soziale Unruhen, Erhebungen oder Aufstände, Putschversuche oder ein realisierter Putsch.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Sergi Viladesau (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „Am Spieltisch: Werte-basierte Staatskrise“

“Die Marktwirtschaft kennt keine Ethik”,

sagte Mitte der neunziger Jahre der deutsche Politiker Otto Graf Lambsdorff in einem Interview, in dem es um die Rolle der Wirtschaft zur Lösung sozialer Fragen ging. Er wollte damit wohl deutlich machen, dass Menschen, die in ihren Unternehmungen gezwungenermaßen die Nützlichkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen der Profitmaximierung unterordnen müssen.

“Mit der Entwicklung der großen Industrie wird unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich. (Karl Marx)

Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber, der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen wie bisher. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen.

Was ist die USA? Und so.. (Ganz knapp – was ich da mir so denke)

Die U.S.A. – man inszeniert sich selbst, gelebte Tradition und (imperiale) Notwendigkeit. Von sich überzeugte Darsteller erzählen eine Geschichte. Dem Gläubigen zwecks Lebenssinn, der institution zwecks Stabilität, dem Konsumenten zwecks Beruhigung, etc.p.p..

Die Klugen sehen dass die Substanz täglich weniger tragen kann. “Undenkbare” Allianzen werden erdacht und per “(p)pp” umgesetzt. Wenn diese Transformation, geschickt und mit “Haltung” präsentiert, Wirklichkeit würde, könnte man in einer Generation eine andere USA beschreiben. Was für eine USA sich dann zeigen soll wird sicher gerade verhandelt (Vanguard, thinktanks, …) Kein Gesichts- und Machtverlust der dort “beheimateten” Eliten ist prioritär – vom Herzen her. (sind ja auch nur Menschen)

Was man sich so ausdenkt fürs Personal und den Mob? Tja.. Das ist ne Etage tiefer, das wird man “outsourcen” wollen. Betreutes Leben wäre eine Möglichkeit und die Welt aufhübschen, für die Herrschaften. Also lasst uns aufeinander aufpassen und dass da keiner aus der Reihe tanzt! Jedenfalls wäre es wohl am Billigsten und darum geht es doch letztendlich?! ..aktuell
-sven-

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