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Kultur

Dort, wo der Staat aufhört, beginnt erst der Mensch!

“Der Staat lügt in allen Zungen des Guten und des Bösen; und was er auch redet, er lügt!”

Mitte der Achtzigerjahre, als die Medienlandschaft aufbrach und die “Privaten” durchzustarten begannen, hatte ich eine Idee. Die Idee beruhte auf zwei Dingen: Zum einen ging im Fernsehen die Zeit der Zwischenmoderation zu Ende, das heißt, es wurden keine Sprecher(innen) mehr bemüht, die den nächsten Beitrag oder Film ankündigten. Zum anderen waren die Videoclips auf dem Vormarsch.

Es gab kaum noch einen Song, der nicht in einem Salat aus unzusammenhängenden Bildschnipseln präsentiert wurde.

Meine Idee war also folgende: Warum kein Clip auf Textbasis? Diese sogenannten Literaturclips wären doch als Bindeglied zwischen zwei Fernsehsendungen bestens geeignet. Um den Sendern die Idee schmackhaft zu machen, produzierte ich mit Freunden zwei Demos, ohne eine einzige Mark zu investieren, denn die hatten wir nicht. Der erste Clip beruhte auf Texten von Fernando Pessoa (1), der zweite auf einem meiner Texte. Drei weitere Videos lagen als Drehbuch vor. Nietzsche, Goethe, Musil. Eben nun fand ich beim Aufräumen in meiner Bibliothek den LC 5, einen Literaturclip nach Texten von Friedrich Nietzsche (2), den ich folgendermaßen ins Bild setzen wollte:

Standfoto von Nietzsche. Überblendungen mit alten Fotos von den Nubas, den Lakota und anderen Urtraditionen. Stammestänze.

Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Bundestag (synchronisiert): “Irgendwo gibt es noch Völker und Herden, doch nicht bei uns meine Brüder. Da gibt es Staaten. Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt tut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort zum Tode der Völker. Staat heißt das kälteste alter kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch. Und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: Ich, der Staat, bin das Volk!”

Audio: Musik von The Clash (Shepherds Delight).

Kohl: “Wo es noch ein Volk gibt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten.”

Video: Polizeieinsatz gegen Demonstranten.

Kohl: “Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für die Vielen und heißen sie Staat: Sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin …”

Video: Werbespots, durchsetzt mit Kriegsszenen.

Kohl: “Der Staat lügt in allen Zungen des Guten und des Bösen; und was er auch redet, er lügt!”

Video: Ansichten von Städten: Müllkippen, Obdachlose, Slums.

Sprecher aus dem Off: “Für die Überflüssigen wurde der Staat erfunden. Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, wie er sie schlingt und kaut und wiederkäut!”

Video: Menschen im Kaufrausch.

Sprecher aus dem Off: “Krank sind sie, sie erbrechen ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können sich nicht einmal verdauen!”

Video: Collage von Titelseiten und Überschriften.

Sprecher aus dem Off: “Macht wollen sie, und zuerst das Brecheisen der Macht: viel Geld. Ja, ein Höllenkunststück wurde da erfunden, das sich selbst als Leben preist. Staat nenne ich’s, wo alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord DAS LEBEN heißt!”

Video: Collage von Geldzählmaschinen und Umweltsünden.

Sprecher aus dem Off: “Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Münder?! (Standfotos “deutscher Gesichter”). Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt ins Freie! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Weg. Geht fort von der Götzendienerei der Überflüssigen. Geht fort von dem Dampfe dieser Menschenopfer. Dort, wo der Staat aufhört, beginnt erst der Mensch! Aber wollt ihr denn durchaus zugrunde gehen, so tut es lieber auf einmal und plötzlich. Dann bleiben vielleicht von euch erhabene Trümmer übrig …”

Video: Collage von Atomexplosionen.

Abspann

Abspann LC 5: STAATSRÄSON/ Texte: Friedrich Nietzsche/ Ein Literaturclip von Dirk C. Fleck/ Produziert von OFF TV 1986.


Quellen und Anmerkungen

(1) Fernando Pessoa (1888 bis 1935), eigentlich Fernando António Nogueira de Seabra Pessoa, war Dichter, Schriftsteller, Angestellter eines Handelshauses und Geisteswissenschaftler. Er gilt einer der wichtigsten Lyriker Portugals, ist einer der bedeutendsten Dichter in portugiesischer Sprache und gehört zu den herausragenden Autoren des 20. Jahrhunderts. Pessoa verfasste seine Werke hauptsächlich unter Heteronymen wie Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos oder dem Halb-Heteronym Bernardo Soares.

(2) Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 bis 1900) war ein klassischer Philologe und Philosoph. Nietzsche, der im Nebenwerk auch Dichtungen und musikalische Kompositionen schuf, sprengte mit seinem eigenwilligen Stil bis dahin gängige Muster und ließ sich keiner klassischen Disziplin zuordnen. Er war zunächst preußischer Staatsbürger und wurde nach seiner Übersiedlung nach Basel 1869 auf eigenen Wunsch hin staatenlos.


Redaktioneller Hinweis: Das Essay “Dort, wo der Staat aufhört, beginnt erst der Mensch!” von Dirk C. Fleck wurde auf Apolut.net publiziert und Neue Debatte zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Anmerkungen ergänzt.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Peter Herrmann (Unsplash.com)

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

Von Dirk C. Fleck

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

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