Grundlegende Möglichkeiten zur kritischen Diskussion über wissenschaftliche Erkenntnisse sowie gesellschaftliche und politische Veränderungen, so wie es an Universitäten zu erwarten sein sollte, werden scheinbar zurückgedrängt. In der Pandemie wurde der Debattenraum verengt durch die mehr oder weniger widerspruchslose Übernahme der politisch verordneten Linie. Dagegen formierte sich an den Unis ein kleiner, aber durchaus wahrnehmbarer Widerstand.
Die Bewegung “Studenten stehen auf” bildete sich in Deutschland, mittlerweile gibt es international zahlreiche Ableger, die in informellen Strukturen miteinander kooperieren. In Österreich formierte sich “Studenten stehen auf” im Herbst 2020. Was hat die Studenten motiviert, welche Intention hat die Bewegung und mit welchen Aktionen verfolgt sie ihre Ziele. Darum dreht sich das Gespräch bei Reiner Wein, dem politischen Format aus Wien, mit dem Studenten Benjamin Forjan.
Eine grundsätzliche Kritik richtet sich gegen das Leistungsfeststellungssystem. Dass Ideal, Studierende würden zum kritischen Denken geführt, sei allein schon deshalb nicht gegeben, weil bei Prüfungen exakt das wiederzugeben sei, was unterrichtet wurde. Wer sein Studium schnell und erfolgreich absolvieren will, sei somit quasi zum Konformismus gezwungen.
Laut Forjan sei kein freier Meinungsaustausch an den Universitäten in Österreich möglich, auch der kritische Diskurs über grundlegende gesellschaftliche Fragen, bei dem auf Argumente gesetzt wird, würde behindert. Es gäbe Vortragende, die Andersdenkenden eine “falsche Meinung” vorwerfen würden und sie mitunter sogar des Lehrsaals verweisen. Die während der Pandemie verordneten Eingangskontrollen an den Hochschulen würden den “Zwangsmaßnahmenverweigerern” außerdem die Inanspruchnahme ihres Rechts auf Bildung verwehren. Wer sich allerdings dem Narrativ unterordnet, dem stehen alle Türen zur Lehre offen.
Dezentral und international
Aktionen von “Studenten stehen auf” seien etwa die gemeinsame Teilnahme an Demonstrationen oder die Entwicklung von Zukunftsperspektiven. Dezentrale Strukturen würden ermöglichen, dass sich Menschen nach ihren jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Ortsgruppen einbringen können. Dabei würden die Aktivitäten nicht zentral vorgegeben, sondern von unten und durch die Initiative Einzelner entwickelt; dabei würden die verfügbaren Ressourcen genutzt, was Forjan insgesamt als “natürliches Wachstum” bezeichnet.
#StudentenStehenAuf: Eine Bewegung mit Idee
Reiner Wein, der politische Podcast aus Wien. Gast: Benjamin Forjan
Im persönlichen Kontakt würden Studierende zum Mitmachen angeregt, der Zusammenhalt in der Bewegung ergebe sich durch gegenseitigen Respekt in einer diversen Gesprächskultur. Der gemeinsame Nenner in den Diskussionen sind aber nicht nur der Widerstand gegen staatlich verordnete Maßnahmen, sondern die aktuellen politischen Missstände.
Über die Grenzen Österreichs werden intensive Kontakte in die Schweiz, nach Deutschland und Italien gepflegt. Gemeinsame internationale Aktionen würden koordiniert, zum anderen würden sie sich aber auch relativ kurzfristig ergeben, zum Beispiel, wenn an einem Tag an verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern gleichzeitig demonstriert wird.
Studenten Stehen Auf: Backstage
Im Backstage-Gespräch zur Sendung kommen Studierende zu Wort, die sich der Bewegung angeschlossen haben. Jakob Hofegger, dem der kritische Diskurs wichtig ist, sagt, er habe neue Freunde gefunden, die für Freiheit und Selbstbestimmung eintreten und damit einen Gegenpol zum staatlichen Corona-Narrativ abbilden würden. Das halte eine Bewegung zusammen und gehe weit über eine Interessensgemeinschaft hinaus.
Der Jurastudent Nico Vitolo betont, dass die betriebene gesellschaftliche Spaltung bis in die persönlichen Beziehungen hinein gewirkt habe. Die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Themen war plötzlich nicht mehr möglich, die Bewegung “Studenten stehen auf” haben ihm aber die dringend notwendige neue Basis gegeben. Es entstanden für ihn auf dieser Grundlage tragfähige soziale Beziehungen, wie er sagt.
Raus aus der Bubble
Juan, der gerade sein Schauspielstudium abgeschlossen hat, kam zur Bewegung, weil er die dortige Diskurskultur schätzt. Die Begegnung unterschiedlicher Menschen und Meinungen im öffentlichen Raum und ihr gemeinsames Bestreben, im kritischen Austausch zu Lösungen zu kommen, sei ein wichtiger Ansatz. Dies trage auch zu einem persönlichen Erkenntnisgewinn bei, weil der schlichte Konsens eine Antithese ausschließe, was antidemokratisch sei. Viel mehr müssen die entstandenen “Bubbles” aufgebrochen und Totschlagargumente widerlegt werden.
#StudentenStehenAuf: Backstage
Reiner Wein, der politische Podcast aus Wien. Gäste: Jakob Hofegger, Nico Vitolo, Juan und Jana Zellhofer
Jana Zellhofer betont die Notwendigkeit des Veränderns der um sich greifenden “cancle culture”, dafür böte die Bewegung “Studenten stehen auf” eine gute Möglichkeit. Das Argument werde vom Sprecher getrennt und auch das Schubladendenken spiele keine Rolle. Das sei “das große Schöne” daran. Kommunikation stehe im Mittelpunkt, im anderen Standpunkt könne man sich selber reflektieren und weiter entwickeln.
Fotos, Audio und Video: Loow Invernissi (Unsplash.com), Sender.fm, Idealism Prevails und Reiner Wein
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