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Meinung

Bellizismus: Joe Biden und die Diener

Der Versuch, die Ursache der systemischen Erosion als politisches Konzept der Zukunft zu verkaufen, wie er momentan auf allen Kanälen durchgeführt wird, hat etwas Monströses.

Während einer der hiesigen Polit-Protagonisten von einer “dienenden Führungsrolle” sprach, der man innerhalb des Bündnisses nachkommen müsse, sieht es im Zentrum des Imperiums jenseits des Atlantiks anders aus (1). Einmal abgesehen davon, dass die umschriebene Funktion eher der eines Messdieners entspricht als der eines Politikers, der die Interessen seines Landes wahrzunehmen hat, könnte sich der Auftrag des Dienens in absehbarer Zeit wieder ändern. Denn die Politik des Joseph “Joe” Biden, die als eine bellizistische Alternative zu der Donald Trumps zu sehen ist, könnte sich mangels der Ermächtigung aus dem eigenen Land in absehbarer Zeit ebenfalls wieder ändern. Denn die Stimmung in den USA ist, der Ausdruck sei erlaubt, freundlich umschrieben mies.

Der hier vor allem in Politik und Medien herbeigesehnte Wechsel von Trump zu Biden wird, was die praktischen Folgen anbetrifft, in den USA mittlerweile nur noch von einer Minderheit als Verbesserung erlebt. Die vielen Meinungserhebungen, die nun vor den im Herbst anstehenden Kongresswahlen im ganzen Land durchgeführt werden, sprechen eine eindeutige Sprache.

Inflation, Teuerung, Insolvenzen und die tiefe Spaltung der Gesellschaft nehmen nach wie vor einen dramatischen Verlauf. In diesem Kontext hält eine Mehrheit den Krieg in der Ukraine nicht nur für überflüssig, viele geben der dortigen Regierung eine heftige Mitschuld und sie verurteilen die Befeuerung und das finanzielle Engagement der eigenen Regierung massiv. Es wird prognostiziert, dass die Wahlen im Herbst dem jetzigen US-Präsidenten jegliche Gestaltungsspielräume nehmen werden (2, 3). So, wie es scheint, ist der Weg für eine Amtszeit Trump 2.0 oder wer sie auch immer ausfüllt, geebnet.

Bellizismus, Unterwürfigkeit und Erosion als Konzept

Die Biden-Administration setzt auf einen längeren Verschleißkrieg zwischen der Ukraine und Russland, um letzteres Land langfristig zu schwächen. Die dabei nachhaltige Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur und der gesellschaftlichen Institutionen wird als Kollateralschäden in Kauf genommen.

Besonders Letzteres ist in seiner Dimension noch gar nicht abzuschätzen, wird jedoch immens sein, wenn bereits nach drei Monaten dieses unseligen Krieges die Möglichkeit eines halbwegs gesitteten Diskurses der Vergangenheit angehört. Die Kriegslüsternheit von Schreibtischtätern mit begrenzter Fantasie als Impulsgeber der öffentlichen Debatte verleitet zu ganz anderen Wunschträumen als dem der Vernichtung Russlands. Man fragt sich nur, aus welchen Höhlen diese Fantasten gekrochen sind?

Angesichts der zu erhoffenden Möglichkeit, dass der Bellizismus des Demokraten Joe Biden nicht mehr allzu lange sein Unwesen wird treiben können, bleibt die Frage im Raum stehen, wie es kommen kann, dass die Messdiener des Imperiums mit ihrer ganzen Unterwürfigkeit auf Kosten einer auf den eigenen Interessen basierenden Politik bei zugegeben radikal nach unten weisender Wahlbeteiligung eine derartige Zustimmung erhalten können?

Wobei, auch das sollte jenseits des Medienwinds festgehalten werden, noch Parteien existieren, die zumindest numerisch stärker sind, allerdings mental nicht. Angesichts der tatsächlichen Wahlbeteiligung sollte man nicht dem Fehlschluss anhängen, die Favorisierung des Messdienerprofils entspräche der gesellschaftlichen Realität. Ganz im Gegenteil, ein zunehmend großer Teil der Bevölkerung wendet sich vom eigenen politischen System ab und sieht sich nicht mehr durch dieses vertreten (4). Das ist das eigentliche Drama, das niemand wahrhaben will. Stattdessen setzt man, wie in nahezu allen Bereichen, auf Eskalation.

Der Versuch, die Ursache der systemischen Erosion als politisches Konzept der Zukunft zu verkaufen, wie er momentan auf allen Kanälen durchgeführt wird, hat tatsächlich etwas Monströses.

Quellen und Anmerkungen

(1) Yahoo (2.3.2022): Habeck sieht ‘dienende Führungsrolle’ für Deutschland. Auf https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/habeck-sieht-dienende-führungsrolle-für-044742061.html (abgerufen am 18.5.2022).

(2) Der Standard (12.5.2022): Joe Biden spürt den Frust und ändert vor den Midterm-Wahlen die Strategie. Auf https://www.derstandard.at/story/2000135651213/der-us-praesident-der-praesident-spuert-den-frust (abgerufen am 18.5.2022).

(3) Frankfurter Rundschau (18.5.2022): Midterms 2022: Das ist der aktuelle Stand der Vorwahlen in den USA. Auf https://www.fr.de/politik/midterms-2022-aktueller-stand-ergebnis-usa-kongress-senat-wahl-demokraten-republikaner-primaries-news-zr-91537441.html (abgerufen am 18.5.2022).

(4) Rheinische Post (17.5.2022): Historisch niedrige Wahlbeteiligung bei NRW-Landtagswahl. Auf https://rp-online.de/nrw/landespolitik/landtagswahl-nrw/landtagswahl-nrw-2022-wahlbeteiligung-historisch-niedrig-55-prozent_aid-69732993 (abgerufen am 18.5.2022).


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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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