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Siegfrieden, Messianismus und Wohlstandsdogmatismus

Der erste Schritt, um eine Krise zu überwinden, besteht darin, ihr ins ungeschminkte Gesicht zu schauen. Der zweite Schritt besteht darin, das Muster der Begründung von Missständen, das so bequem ist und so wunderbar vernebelt, zu entlarven.

Eine Anfrage auf WhatsApp bei einem mir bekannten Obstbauern und Gastronomen in Südtirol reichte aus, um eine Sprachnachricht zu bekommen, die es in sich hatte. Bezug nehmend auf hiesige Meldungen hatte ich gefragt, ob in seiner Gegend auch das Wasser rationiert sei. Neben einem eindeutigen Nein kam dann aber eine Analyse über die Ursache der momentanen Wasserknappheit in Norditalien.

Es sei, so der kluge Mann, das Ergebnis verschiedener Faktoren.

Einer davon seien sicherlich die momentanen Hitze- und Dürrephänomene, der gewichtigste Faktor sei allerdings die über Jahrzehnte unterlassene Investition in die Speicher- und Versorgungsinfrastruktur. Hinzu käme allerdings auch ein exorbitant gestiegener Verbrauch. Aber, und da merkte man dann doch den Zorn, es sei einfach zu leicht, alles auf den Klimawandel zu schieben, dann bleiben die eigenen Fehler im Dunkeln.

Trübe Manöver, Sprengsätze und Siegfrieden

Und so weitete sich eine harmlose schriftliche Anfrage dann zu einem Austausch von Sprachnachrichten aus. Wir machten sehr schnell aus, wie sich die Muster ähnelten, der Klimawandel sei exklusiv für den Wassermangel verantwortlich, Corona habe massenhaft Insolvenzen zur Folge, Putin und sein Russland hätten die Energieengpässe genauso zu verantworten wie die Inflation.

Die Politik, und zwar die eigene, die mit den beschriebenen Phänomenen einherging und die tatsächlich die Wirkungen gezeitigt hat, die allenthalben zu spüren sind, bleibt bei diesem Erklärungsmuster im Verborgenen. Dass dieses trübe Manöver von der etablierten Hofpresse mitgespielt wird, wunderte uns beide nicht mehr.

Im weiteren Verlauf berichtete er von weiteren Attacken seitens der EU auf die landwirtschaftlichen Existenzen in seiner Region, was mit den Sprengsätzen korrespondiert, die hierzulande durch die Energiepolitik an die Industriebetriebe gesetzt wurden.

Irgendwann warf mein Diskussionspartner die Frage auf, ob denn niemand die Geschichtsbücher läse. Dort könne man doch unzählige Beispiele dafür finden, wie schnell es den Bach herunter gehen könne, wenn Anstrengung und Leistung aus dem Weltbild verschwänden und nur noch verwaltet und der Stillstand organisiert würde. Wenn das so weitergehe, dann könne man davon ausgehen, dass das Phänomen des Hungers, lange in Europa als überwunden geglaubt, wieder zu einer verbreiteten Erscheinung würde.

Was wir nicht auszusprechen brauchten, war das Wissen um die Kategorisierung unseres Diskurses. Sicherlich waren wir schnell in der populistischen Schublade. Allerdings durch ein Personal, dessen eigene Wahrnehmung getrübt ist durch eine momentan täglich wiederholte Fantasie eines Siegfriedens gegen Russland (1, 2, 3) und getränkt mit einem Wohlstandsdogmatismus, dem jede Art der freien Initiative, die nicht dem eigenen Weltbild entspricht, suspekt ist.

Kolonialistische Messianismus

Was beruhigt, ist nicht nur die Tatsache, dass sich die Erkenntnis zunehmend durchsetzt, dass die hiesige Politik auf einem selbstmörderischen Paradigma beruht. Dass diese auch in anderen europäischen Regionen längst angekommen ist, wird in der Regel glimpflich verschwiegen. Ursache dafür ist die mangelnde Selbstreflexion in Politik und Medien sowie der pandemisch verbreitete kolonialistische Messianismus.

Insofern ist der überall propagierte Siegfrieden wie der Dogmatismus hinsichtlich von Produktion und Konsum eine logische Folge der allgemeinen Verwahrlosung. Das ist betrüblich, aber der erste Schritt, um eine Krise zu überwinden, besteht darin, ihr ins ungeschminkte Gesicht zu schauen.

Der zweite Schritt besteht darin, das Muster der Begründung von Missständen, das so bequem ist und so wunderbar vernebelt, zu entlarven.

Nein, nicht der Klimawandel, nicht das Corona-Virus und nicht der Russe sind schuld, sondern die eigene Politik. Wer behauptet, diese Politik hätte damit nichts zu tun, erweist sich als schlechter Lügner und offenbart die eigene Wirkungslosigkeit.

Und bevor ich es vergesse, einen schönen Gruß über die Alpen! Wir verstehen uns!

Quellen und Anmerkungen

(1) taz (6.5.2022): Die Ukraine muss gewinnen. Auf https://taz.de/Krieg-in-der-Ukraine/!5849148/ (abgerufen am 5.7.2022).

(2) Welt (24.5.2022): “Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen”. Auf https://www.welt.de/politik/ausland/article238955919/EU-Kommissionspraesidentin-Die-Ukraine-muss-diesen-Krieg-gewinnen.html (abgerufen am 5.7.2022).

(3) Frankfurter Rundschau (1.6.2022): Ukraine kann Krieg gewinnen – mit mehr Waffen. Auf https://www.fr.de/politik/ukraine-kann-krieg-gewinnen-mit-mehr-waffen-russland-putin-usa-news-zr-91585641.html (abgerufen am 5.7.2022).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Rasmus Gundorff Sæderup (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

5 Antworten auf „Siegfrieden, Messianismus und Wohlstandsdogmatismus“

Anfang dieses Jahres oder Ende letzten Jahres gab es eine Doku in der Glotze, wie die MerkelRegierung und speziell der Herr Altmeier den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien boykottiert hat, das war vor dem ganzen Schlamassel mit Nordstream usw. Der kleine Habeck hat jetzt den ganzen Mist aufzuarbeiten, den 16 Jahre Regierung der ” Großen” Koalition versäumt und verbrochen hat und soo unschuldig ist die SPD und die Grünen jawohl nicht, denn als sie das letzte Mal an der Macht waren, mit diesem Schröder, haben sie doch mitgemacht, aber ich bin sehr wohl der Meinung, daß das Grundgesetz von uns, der Bevölkerung geändert werden muss, in sehr vielen Punkten!!! Ich finde, es ist an der Zeit, die Regierungen juristisch zur Rechenschaft
zu ziehen! Verantwortung übernehmen die ja sowieso nie, zum Schluß sind es immer die Pförtner, Gärtner oder Putzfrauen, denen die Schuld für das komplette Versagen, die Inkompetenz, Korruption, kriminelle Energien, Machtgeilheit und Geldgier der Regierung den Kopf hinhalten müssen und immer auf Kosten der Bevölkerung… Diese angebliche ” Demokratie” ist eine Diktatur in meinen Augen, eine Diktatur der Konzerne, der Lobbyisten, der Parteien!!! Ich habe schon einige Jahre auf dem Buckel und als ich in der Schule von unseren Lehrern Demokratie beschrieben bekam, war es etwas ganz anderes, als das, was uns heute so als Demokratie unter gejubelt wird, soviel ist sicher…

Ja, das wurde mir in der Schule auch vermittelt, allerdings war ich noch viel zu jung, um zu begreifen; reine kapitalistische Augenwischerei und, dass sich nach 1945 eigentlich nichts wesentlich verändert hat.

Rattenlinie, Operation Overcast/Paperclip, Odessa, Adenauer/Globke, Kiesinger, Oktoberfestanschlag, Gladio, Treuhand-Enteignungen, Gauck-Verschleierungs-Behörde, Kohl/Merkel, Ex-Stasi im BND usw, usw…

Mittlerweile unternimmt unsere Minderheitenregierung auch nichts mehr, wenn vermeintliche Diplomaten, der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, die Gräueltaten des Faschistenführers Stepan Banderas leugnet, im Gegenteil, wir liefern endsiegsicher auch noch Waffen in diese Länder…

Und nicht zuletzt: Staatsanwälte sind weisungsgebunden, Richter sind parteigebunden, Rechtsanwälte kapitalgebunden…

Deutschland, die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann!

unter jubeln und unterjubeln sind zwei völlig konträre Vorgänge ; – soweit sind wir slao schon mal und den Rest werden wir auch noch verinnerlichen !

Hier meine Gedanken über den Beitrag von Gerhard Mersmann mit dem Titel “Siegfrieden, Messianismus und Wohlstandsdogmatismus”:

Die Freiheit zum Handeln gibt uns keiner, aber mit Willen und Engagement können wir sie uns nehmen. So heißt es auch in der „Internationale“ – “Es rettet uns kein höheres Wesen kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Uns von dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.”

Politik ist die Art und Weise, wie ein Gemeinwesen geführt und gestaltet wird.

Die Gegebenheiten und Bedingungen unseres Daseins zwingen uns stets Widersprüche zu lösen, die sich aus den stofflich-energetischen Auf- und Abbauprozessen unseres natürlichen Körpers, aus unserer psychischen Erregbarkeit und aus individueller Selbstbehauptung in sozialer Gemeinschaft ergeben. Es müssen Fragen und Probleme verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wie die der Wirtschaft, nationaler und internationaler Normen des Zusammenwirkens aller, des Gesundheitswesens, der Bildung und Erziehung, der Verteidigung, des Schutzes, der Rechtsbeziehungen, der Moral, der Freiheiten und Verpflichtungen oder der Ethik, also eigentlich aller Vorgänge des Alltagsgeschehens diskutiert und beraten werden. Und es müssen Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden, die diese Fragen und Probleme beantworten und einer Lösung zuführen sollen.

Mittels der Wirtschaft fügt sich der Mensch in die Bewegungsvorgänge der Wirklichkeit ein.

Von Kulturstufe zu Kulturstufe erarbeiten sich die Menschen, aus dimensionsloser Wahrheit schöpfend, das Wissen und Können, um auf allen Gebieten der Wirklichkeit, die sie sich mittels ihres Bewusstseins erschließen, nach Vollendung zu streben und das von der Natur und uns Menschen Geschaffene zu bewahren.
Jedoch die neoliberale Ideologie geht davon aus, dass man mit fragwürdigen Wirtschaftstheorien und nicht verifizierbaren Spekulationen sowohl die Gesetzmäßigkeiten unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens als auch die Naturgesetze überlisten könne. Unter freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsverhältnissen verstehen die Anhänger dieser Ideologie, dass Global-Player mittels Geld über alles Zwischenmenschliche frei entscheiden können, sei dies durch Wetten beim Kaufen und Verkaufen von Aktien oder Anlagen an der Börse, oder mit Schiedsgerichten im Rahmen von Freihandelsabkommen und vielem weiteren Unsinn. Das Ganze spielt sich nach dem Muster ab: Verlieren – ja, aber erst zum Schluss. Was dieses Höllenspiel in unseren Tagen so erfolgreich macht sind die Überschreitung der Grenzen des Möglichen und das Verletzen von ethischen Geboten.

Bei Karl Marx findet man zu den Begriffen Freiheit und Gesetz unter anderen auch folgende Aussage:

“Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können.“ Je freier das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt sei, mit desto größerer Notwendigkeit werde der Inhalt des Urteils bestimmt sein; während die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen vielen verschiedenen und widersprechenden Entscheidungsmöglichkeiten scheinbar willkürlich zähle, eben dadurch ihre Unfreiheit beweise, ihr beherrscht sein von dem Gegenstande, den sie gerade beherrschen solle.
Das zeigt auch, daß der wichtigste und einzig sinnvolle Kampf des Menschen ist der Kampf gegen den Krieg! Das ist keine Ermahnung, es ist ein objektives Naturgesetz. Es ist wirklich an der Zeit ernsthaft über das Überleben nachzudenken. Ein wirklich freier Mensch, muss sich seine geistige Freiheit und Vernunft bewahren.

Wolfram Weimar (Publizist/Verleger) brachte es bei Maischberger vor drei Wochen schon auf den Punkt: “Wir müssen uns eingestehen, dass Russland den Krieg gewonnen hat.“
Wer also immer noch an einen „Endsieg“ glaubt, hat die Vergangenheit komplett ausgeblendet.

Neulich sah ich noch ein schönes Foto auf dem die ganze deutsche Politmischpoke versammelt war. Darunter stand: Es ist genug Gas für alle da!

Sollte die Doppeldeutigkeit dieser Botschaft verstanden worden sein, so bleibt eigentlich nur noch eine Schlussfolgerung lt. Lafontaine übrig: „Wenn man an die eigene Bevölkerung denkt, gibt es nur eine Lösung: Öffnet Nord Stream 2, um das Schlimmste zu verhindern.“

Und dabei hat er sicherlich noch nicht an den verhungernden, frierenden und marodierenden Mob gedacht…

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