Heute las ich eine Nachricht von einem prominenten grünen Politiker, den ein leider schon verstorbener Freund, seinerseits Werkzeugmacher von Beruf und sozialdemokratisches Urgestein, immer etwas verächtlich den Herrn Strychnin nannte. Bleiben wir dabei. Dieser Herr Strychnin schrieb heute ganz zeitgemäß, dass ‘the world on fire’ sei. Damit meinte er die zahlreichen Waldbrände, die derzeit an verschiedenen Stellen auf dem Globus ihr Unwesen treiben. Für Herrn Strychnin war klar, dass es sich eindeutig um ein Phänomen des Klimawandels handele und daher die Positionen seiner Partei gestärkt worden seien.
Die Kriegstreiber, die Klinge und die Mischpoke
Einmal abgesehen von Aspekten, die nichts mit dem Klima, sondern mit dem Luxusbedürfnis der Reichen zu tun haben, wie zum Beispiel das Absenken des Grundwassers durch die Betreibung unzähliger privater Swimmingpools in Kalifornien, der Region Kapstadt et cetera, und einmal abgesehen von traditionellen Brandrodungen, enthält der Hinweis sicherlich einen Kern, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen muss.
Das meinten auch viele Kommentatoren, die den versierten Politiker sogleich fragten, wie er es denn halte mit dem Zusammenhang von Öko-Katastrophen und dem Kriegshandwerk. Letzteres wird ja momentan in Sachen Russland-Ukraine gerade von seiner Partei sehr befeuert.
Dies sei, so meinten einige der Protestler auf seinem Portal, noch sehr höflich ausgedrückt. Denn die Grünen seien der Kriegstreiber Nr. 1 in der Republik, Arm in Arm mit einer bellizistischen Rasierklinge aus der FDP und der Atlantiker-Mischpoke aus der CDU. So ging das weiter und es ist klar, dass aus einem solchen Setting nichts Fruchtbares mehr resultieren kann.
Land Grabbing in der Ukraine
Interessant fand ich dann aber doch einen Konnex, der mir bis dato gar nicht so präsent war. Da versuchte eine sehr gut unterrichtete Frau, die Geschichte, oder wie die zeitgenössischen Demagogen es gerne nennen, das Narrativ von der Verteidigung der liberalen Demokratie durch die Ukraine gegen den Despoten Putin in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.
Sie wies noch darauf hin, dass nach dem Regime Change in der Ukraine, massiv unterstützt durch die geheimen Dienste der Vereinigten Staaten, im Jahr 2014 sogleich mächtige, in den USA ansässige Unternehmen und Finanzgruppen begonnen hätten, große Teile des seit ewigen Zeiten begehrten ukrainischen Ackerlands zu kaufen.
Die prominentesten Namen der Käufer seien Monsanto und BlackRock (1) und das Stückchen Land mit der schwarzen Erde, dass sie bereits 2015 erworben hatten, zu einem relativ geringen Preis versteht sich, hätte die Dimension wie die gesamte Fläche der landwirtschaftlichen Nutzung Italiens, was verdeutlicht, von welcher Größenordnung wir hier reden (2).
Die Narrenkappe für Herrn Strychnin
Dass die kluge Frau daraus die Frage ableitete, ob die Partei des Herrn Strychnin, ihrerseits immer mit den Labels von Ökologie und Frieden unterwegs, da nicht auf einen Weg gekommen sei, der abstruser nicht sein könnte, schien mir folgerichtig.
Dass die Grünen nun gegen Kriegsmüdigkeit trommeln, pausenlos für die Lieferung schwerer Waffen werben und damit argumentieren, dem Despoten Putin Einhalt Gebieten zu wollen und die liberale Demokratie zu verteidigen, sich dabei aber innig umschlungen mit Oligarchen der übelsten Sorte zeigen und kein Problem damit haben, dass ein Land in Schutt und Asche gelegt wird, damit Eigner wie Monsanto das behalten, was sie unter dubiosen Bedingungen erworben haben, ist schon ein Stück, das heute leider niemand in der Lage ist zu inszenieren. Dazu bedürfte es schon eines William Shakespeare (3).
Und der Herr Strychnin wäre der erste, der in der Requisite die Narrenkappe erhielte. Das wäre die einzige Kopfbedeckung, die dem Anlass entspräche.
Quellen und Anmerkungen
(1) BlackRock Inc. ist eine international tätige US-amerikanische Investmentgesellschaft mit Sitz in New York City. Mit über 10 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen ist BlackRock der weltgrößte Vermögensverwalter. Die Kunden von BlackRock sind Privatanleger und Institutionen wie Banken, Pensionskassen, Stiftungen, Versicherer, Staatsfonds und Zentralbanken.
(2) Land Grabbing ist der Anglizismus für die (auch teilweise illegitime oder illegale) Aneignung von Landflächen, insbesondere von Agrarflächen oder agrarisch nutzbaren Flächen, oft durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure. Nach einer Schätzung der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam, wurden seit 2001 in Entwicklungsländern über 220 Millionen Hektar Land von ausländischen Investoren aufgekauft oder gepachtet. Weitere Informationen bei Oxam (22.9.2011): Land and Power – The growing scandal surrounding the new wave of investments in land. Auf https://policy-practice.oxfam.org/resources/land-and-power-the-growing-scandal-surrounding-the-new-wave-of-investments-in-l-142858 (abgerufen am 29.7.2022). Die Dynamik der Konzentration von Land in Europa soll vergleichbar mit der Situation in Afrika, Asien und Lateinamerika sein, dies begünstigt durch die flächenabhängigen Förderrichtlinien der Europäischen Union.
(3) William Shakespeare (getauft 1564, verstorben 1616) war ein englischer Dramatiker, Lyriker und Schauspieler. Seine Komödien und Tragödien gehören zu den bedeutendsten Bühnenstücken der Weltliteratur. Er verfasste unter anderem Dramen, Komödien, Romanzen, Tragödien und Gedichte. Zu seinen bekanntesten Werken zählen beispielsweise Hamlet (um 1601), Othello (um 1604) und König Lear (um 1605), Macbeth (um 1608) und Heinrich VIII. (1612/13).

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Tengyart (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Fremdes Land: Herr Strychnin und seine Narrenkappe“
Sehr guter Artikel, aber doppelten Text entfernen!
Das meinten auch viele Kommentatoren, die den versierten Politiker sogleich fragten, wie er es denn halte mit dem Zusammenhang von Öko-Katastrophen und dem Kriegshandwerk. Letzteres wird ja momentan in Sachen Russland-Ukraine gerade von seiner Partei sehr befeuert.
Das meinten auch viele Kommentatoren, die den versierten Politiker sogleich fragten, wie er es denn halte mit dem Zusammenhang von Öko-Katastrophen und dem Kriegshandwerk. Letzteres wird ja momentan in Sachen Russland-Ukraine gerade von seiner Partei sehr befeuert.
Vielen Dank für den Hinweis. Die Doppelung ist entfernt.
Hier meine Gedanken als ich den Beitrag “Fremdes Land: Herr Strychnin und seine Narrenkappe” von Gerhard Mersmann gelesen habe:
Brief an alle, die den „Krieg alle gegen alle“ abschaffen und den „Frieden aller mit allen“ beginnen wollen!
Der Glaube der Menschen an das tatsächlich mögliche Gute und daran, dass alles wahrhaftig Schöpferische also Gute aus Liebe zum Dasein geschieht, ist notwendig, damit der Mensch aus dem Glauben schlussfolgernd, wissenschaftlich das Sein ergründend und aus unendlich potenter Wahrheit schöpfend, die Wirklichkeit kreativ gestalten und in ständig mannigfaltigerer Vervollkommnung und Schönheit bewahren kann. „Der Frieden aller mit allen“, der für einen als Vision gedachten menschenwürdigen Idealzustand notwendig ist, ist das Gegenteil des „Krieges aller gegen alle“, ist das friedliche Kooperieren und Konkurrieren der Menschen mit- und füreinander. Gegenwärtig ist die Abwesenheit waffengewaltiger Kriegshandlungen für große Teile der Weltbevölkerung immer noch nicht gegeben, und der „Krieg aller gegen alle“ nach wie vor für alle Menschen bestimmend. Aufgaben, die die Menschheit gegenwärtig mit friedlichen Mitteln bewältigen sollte und immer dringlicher muss, diskutierten Stanislav Grof, Ervin Laszlo und Peter Russell in ihren Buch DIE BEWUSSTSEINS-REVOLUTION: „ Aus vielem von dem, was wir hier sagen“, beginnt Laszlo, „entsteht ein ziemlich düsteres Bild vom Leben und den Aussichten auf ein besseres Leben in der heutigen Gesellschaft. Einerseits sind die Bessergestellten in westlichen und verwestlichten Gesellschaften schon ziemlich saturiert. Sie brauchen nicht noch mehr materielle Güter“. Was jene betreffe, die bereits über materiellen Wohlstand verfügen, könne „der nächste Schritt darin bestehen, andere Erfahrungen auszuprobieren, schlimmstenfalls Alkohol und Drogen und bestenfalls“, wenn sie klug seien, „eine Transformation des eigenen Bewusstseins.“ Was die anderen angehe, bestehe der nächste Schritt darin, einfach eine höhere Stufe materiellen Wohlergehens zu erreichen. Aber in diesem Fall würde sich die große Mehrheit der Menschen in einer fast hoffnungslosen Lage wiederfinden. Es gibt in der heutigen ökonomisch und technologisch ausgebeuteten Umwelt nicht genügend Ressourcen, dass alle Bedürftigen noch einen derartigen materiellen Wohlstand erreichen könnten, wie er in der industrialisierten Welt bereits vorhanden sei. Aber dennoch genüge es nicht, dass nur die gutgestellten Bevölkerungen ihr Bewusstsein weiterentwickelten, „die übrigen müssen das ebenso tun. Wenn sie bloß dem materiellen Lebensstandard der Menschen in der industrialisierten Welt nacheifern, sind wir alle in Schwierigkeiten.“ Vielleicht müsse man ihnen in dieser Phase helfen, nimmt Russell den Gesprächsfaden auf. Materialismus und die Anbetung des Geldes seien möglicherweise eine Entwicklungsphase, die von jeder Gesellschaft durchlaufen werden muss. Die industrielle Revolution sei der Auslöser gewesen, der die westlichen Länder auf diesen Weg brachte. „Jetzt gelangen wir zu dem Abschnitt, wo wir uns der Tatsache bewusst werden, dass wir bereits die meisten von uns benötigten Dinge haben; wir brauchen auf diesem Pfad nicht mehr weiter zu gehen. Täten wir es doch, so wäre das reiner Selbstmord.“ Vielleicht liege unsere Aufgabe jetzt darin, den Entwicklungsländern zu helfen, diese Phase so rasch wie möglich hinter sich zu lassen. „Vielleicht können sie ja die materialistische Phase in wenigen Jahrzehnten hinter sich bringen statt in zwei oder drei Jahrhunderten. Wir können die Beschleunigung bereits an dem Tempo erkennen, mit dem die Entwicklungsländer vom Agrarzeitalter ins Industriezeitalter und dann ins Informationszeitalter übergehen.“ Indien habe seine eigene Industrielle Revolution in rund zwanzig Jahren durchlaufen, wohingegen China fast abrupt und unmittelbar von einer Agrargesellschaft in eine Informationsgesellschaft überwechselte. Und Laszlo erwidert: „Es ist nicht ungefährlich, eine Phase zu durchlaufen, zu der die energieintensiven und verschwenderischen Lebensstile und Produktionsmethoden gehören, die wir im Westen eingeführt haben.“ Und Grof meint: „Wir haben bei der Einschätzung zukünftiger Trends unsere gegenwärtigen Technologien im Kopf. Die Aussichten könnten sich drastisch ändern, wenn wir es fertig brächten, umzudenken und uns auf andere Energiequellen, insbesondere Solarenergie, auszurichten. Soviel ich weiß, ist es bereits möglich, Autos und Flugzeuge mit Wasserstoff statt Benzin anzutreiben.“ Wenn der „Krieg aller gegen alle“, jedoch nicht die zerstörerisch eskalierende Gewalttätigkeit, der neu gestaltende „Vater aller Dinge“ sein soll, so kann wohl der „Frieden aller mit allen“, aber auch nicht die paradiesische Konfliktfreiheit, als die stets neu befruchtete und gebärende Mutter allen Seins bezeichnet werden.
(Grof/Laszlo/Russell – Die Bewusstsein Revolution – Riemann Verlag 1999)