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Die Kompradoren-Bourgeoisie und ihr politisches Storytelling

Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht das Unvorstellbare als Realität erwiese. Und es scheint, als spielten Politik und Medien Pingpong, um den erstaunten Mob in Atem zu halten.

Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht das Unvorstellbare als Realität erwiese. Und es scheint, als spielten Politik und Medien Pingpong, um den erstaunten Mob in Atem zu halten. Jüngst brillierte wieder das ZDF auslandsjournal (1) mit der beiläufigen Behauptung, die Volksrepublik China hätte sich völkerrechtswidrig Hongkong angeeignet. Wer immer das schlucken mag, wahrscheinlich ist es den Produzenten solcher Nachrichten egal, Hauptsache das politische Personal übernimmt solche Geschichten und glaubt selbst daran.

Intendiert war mit dem Halbsatz die These zu stützen, dass sich die Volksrepublik China in Sachen Taiwan als Aggressor gebärde, während die massive Marinepräsenz der US-Navy vor Chinas Küsten – 7000 Seemeilen from home – als Bollwerk der Freiheit anzusehen sei.

Noch einmal kurz zu Hongkong. Das geostrategisch wichtige Terrain wurde 1842 nach dem dreckigsten Krieg der Kolonialgeschichte, dem Opiumkrieg, dessen Ausmaße alles übertraf, was bis heute als Gruselgeschichten kolumbianischer Drogenkartelle verfilmt wurde, von Großbritannien okkupiert. Die imperiale Kralle blieb auf diesem Gebiet bis 1997, also 155 Jahre (2).

Erstrebte Dominanz

Im Sommer 1997 fiel Hongkong an die Volksrepublik China zurück, besiegelt durch einen Vertrag, in dem der Übergang an die Modalitäten der Volksrepublik für einen Zeitraum von 50 Jahren festgeschrieben wurde. Nach dem Motto “ein Land, zwei Systeme” wurde den dort ansässigen Firmen wie Bürgern ein halbes Jahrhundert Zeit gegeben, in aller Ruhe ihre Geschäfte abzuwickeln und sich eine neue Domäne zu suchen.

Nach nicht einmal der Hälfte dieser 50 Jahre wurde damit begonnen, jede Aktion der chinesischen Regierung als Aggression darzustellen und eingerahmt in Erzählungen, Großbritannien sei die “Schutzmacht der Demokratie” in Hongkong (Klaus Kleber, ebenfalls ZDF). Auf derartige Geschichten muss man erst einmal kommen. Aber erzählt werden sie am laufenden Band.

Als Deutsche sollten wir uns die Teilung des Landes noch einmal vor Augen führen; und die Sicht transponieren auf die Hongkongs wie die Taiwans. Nur ist die Teilung Chinas nicht als ein Ergebnis eines von dort angezettelten imperialistischen Krieges zustande gekommen, sondern aufgrund kolonialer Aneignung wie im Falle Hongkongs und als Ergebnis eines Bürgerkrieges im Falle Taiwans. Dorthin flohen die nationalistischen Kräfte der Kuomintang (3), die auf dem Festland unterlegen waren, ihrerseits von den japanischen Imperialisten wie den europäischen Faschisten unterstützt.

Nur zum Verständnis: unabhängig von den heutigen Verhältnissen, die in der Volksrepublik China, in Hongkong sowie in Taiwan herrschen, die Teilung Chinas ist nicht das Ergebnis kommunistischer Aggression aus dem eigenen Land, sondern das Ergebnis erstrebter globaler Dominanz des Westens, dort vor allem Großbritanniens und der USA.

Dass die bewusste Verfälschung der Geschichte und die permanente Verdrehung von Ursache und Wirkung ihrerseits ihre Wirkung nicht verfehlt, zeigt der desolate Zustand der politischen Klasse. Dort singen die Protagonisten die schmutzigen Lieder des aufflammenden Nationalismus und Imperialismus im Chor und alle, die in diesen Zeiten nüchtern bleiben, zweifeln an der Funktionstüchtigkeit der eigenen Wahrnehmungsorgane.

Kompradoren-Bourgeoisie

Und wer diese Thesen für übertrieben hält, der sehe sich an, wie laut die zahnlosen Tiger brüllen, wenn es um den Krieg geht, wie systematisch sie vorgehen, wenn es um die Zerstörung der eigenen Produktionsverhältnisse geht und wie gezielt vorgegangen wird, um die Märkte für die hierzulande noch erstellten Produkte zu verkaufen.

Vom Ausmaß der Zerstörung, die diese Irrlichter anrichten, wird es den Opiumkrieg der britischen Warlords noch weit übertreffen. Und helfen, helfen wird den Menschen, die davon betroffen sein werden, keine fremde Macht.

Wer klug ist, der unterhält sich jetzt einmal mit Chinesen. Denn die hatten eine Klasse, die nannten sie die Kompradoren-Bourgeoisie (4). Die kooperierten mit dem Feind und wurden dabei fett.

Quellen und Anmerkungen

(1) Das auslandsjournal (Eigenschreibweise: auslands journal) ist eine wöchentliche Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF). In der Sendung wird über Ereignisse außerhalb Deutschlands berichtet.

(2) Das Vereinigte Königreich übergab die Kronkolonie Hongkong am 1. Juli 1997 an China. Damit endete die britische Kolonialherrschaft. China hatte die Handels- und Hafenstadt nach dem Ersten Opiumkrieg (1839 bis 1842) an Großbritannien abtreten müssen. Anlass für die Übergabe war das Auslaufen eines 1898 geschlossenen Pachtvertrags. Dieser hatte eine Laufzeit von 99 Jahren und umfasste das umliegende Festland, mehrere Inseln um die Hauptinsel Hong Kong Island und die Halbinsel Kowloon. Bereits 1984 hatten sich das Vereinigte Königreich und China darauf verständigt, die Souveränität der gesamten britischen Kolonie an China zu übergeben. Dies wurde in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten. Die Regierung der Volksrepublik China hat sich verpflichtet, den Grundsatz “Ein Land, zwei Systeme” einzuhalten und Hongkong für 50 Jahre den Status einer Sonderverwaltungszone zu gewähren.

(3) Die Kuomintang Chinas (Nationale Volkspartei Chinas) ist heute eine Partei der Republik China auf Taiwan. Sie begründete 1912 die erste chinesische Republik, errang 1927 die Herrschaft über das chinesische Festland und musste sich nach dem verlorenen Bürgerkrieg 1949 gegen die Kommunistische Partei nach Taiwan zurückziehen. Dort führte sie formell die Republik China fort.

(4) Der Begriff Kompradoren-Bourgeoisie wurde im Zusammenhang mit der marxistischen Theorie geprägt. Die Kompradoren-Bourgeoisie fungiert nach der Beschreibung des Politikwissenschaftlers und marxistischen Staatstheoretikers Nicos Poulantzas als finanzielles und kommerzielles Gelenk für Operationen des imperialistischen Auslandskapitals. Diesem sei sie direkt unterworfen.


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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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