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Gesellschaft

Ein deutscher Herbst steht an …

“Früher haben mich die Menschen in den Straßen noch berührt, gelegentlich haben sie mir sogar Angst gemacht, heute lassen sie mich gleichgültig. Mir scheint, als hätte man ihnen die Individualität gestohlen und sie in maximal siebenundzwanzig Formen gestanzt, die man sich ja leicht merken kann.”

Was für ein Sommer! Die Tage zwinkern uns morgens zu, als könne sie kein Wässerchen trüben. In eine Gloriole aus gleißendem Licht gehüllt, wirken sie wie ein einziges Versprechen. Aber ein Versprechen worauf? Auf die Zukunft? Nein, nein, das kann nicht sein.

Ein deutscher Herbst steht an. Und die Sorge, dass dieses in Willfährigkeit geübte Volk sich wieder maskiert und mit dem Zeigefinger auf alles deutet, was dem zu erwartenden Impfterror tapfer widersteht, ist mehr als berechtigt.

Alle drei Monate sollen wir nun künftig an der Nadel hängen. Und die Gedankenpolizisten in den Redaktionsstuben der Besitzenden werden auch diesmal jede begründete Mahnung, jeden wissenschaftlichen Einwand gegen den mörderischen Wahnsinn im Keim ersticken.

Gestern war ich zur Kontrolluntersuchung bei meinem Chirurgen. Alles okay mit der Hüfte. Sitzt super. Normalerweise wäre der Besuch nach diesem Befund beendet gewesen, aber aus irgendeinem Grund kamen wir auf die Covid-Maßnahmen zu sprechen. Wir quatschen noch eine Stunde über den unfassbaren Marsch in den Faschismus, dem wir gerade beiwohnen müssen.

“In Amerika läuft das anders”, sagte mein Arzt und erzählte von einer Gemeinschaftsaktion in Shasta County, Kalifornien. 45 Prozent aller Familien halten ihre Kinder inzwischen davon ab, die öffentlichen Schulen zu besuchen, solange der Impf- und Maskenzwang dort aufrecht erhalten wird. Insgesamt zeigen sich 80 Prozent der dortigen Bevölkerung gegenüber den Covid-Maßnahmen skeptisch.

Anwälte der Organisation ICAN (1) haben die Bedenken der Menschen in einem Brief an die California Health and Human Services Agency (2) zusammen gefasst und darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Schulen des Countys Gefahr laufen, 70 Prozent ihrer Schüler zu verlieren. “Diejenigen unter den Eltern, die selbst entscheiden wollen, was für ihre Kinder gut ist und was nicht, sind ganz sicher nicht in der Minderheit”, heißt es in dem Schreiben.

Kann man sich so etwas in Deutschland vorstellen? Schwer. Obwohl der Unmut über die Willkürpolitik unserer jämmerlichen Regierung immer spürbarer wird. Aber solange es den “Qualitätsmedien” gelingt, das Volk glauben zu lassen, dass der Gasabschneider Habeck und die kriegsgeile, dummdreiste Baerbock unsere beliebtesten Politiker sind, ist die Reifeprüfung, was das eigene Urteilsvermögen betrifft, noch nicht bestanden.

In den alternativen Medien und auf Friedensfestivals spricht man ja gerne von der “Menschheitsfamilie”. Ich nenne sie mal die Dicken und die anderen. Mir ist schon klar, wie das mit der Menschheitsfamilie gemeint ist. Mir ist auch klar, welche Sehnsucht in dieser Vorstellung versteckt ist.

Diese Sehnsucht ist nicht totzukriegen. Sie steckt seit Jahrhunderten in allem, was Zeugnis davon ablegt, wie wir eigentlich gemeint waren: Sie gibt darüber in der Literatur Auskunft, in der Musik, der Malerei, der Bildhauerei, eigentlich in allem, was Geist und Herz auszudrücken vermögen. Sie kommt mir vor wie ein unschuldiges Kind, das am Arm der Menschheitsgeschichte über ein nicht endenwollendes Schlachtfeld gezerrt wird. Mit dem Begriff “Menschheitsfamilie” wurde nun erneut ein Schlagwort gefunden, mit dem die Träumer den roten Faden der Liebe wieder aufgenommen haben.

You may say I’m a dreamer

But I’m not the only one

I hope someday you’ll join us

And the world will be as one …

— aus: Imagine (John Lennon)

Von der Arztpraxis zu mir nach Hause sind es fünfzehn Minuten zu Fuß. Auch dieser Tag war wieder in eine Gloriole aus gleißendem Licht gehüllt. Die sich im Wind wiegenden Blätter der Ahornbäume glitzerten in der Sonne wie lackiert.

Unter einem dieser Bäume stand ein Straßenmusiker und spielte den Country-Klassiker “Me and Bobby McGee” (3). Ziemlich gut, wie ich fand. Die Menschen, die sich ihm näherten, erhöhten ihre Schrittfrequenz und senkten den Kopf, als seien sie gerade einem Hubschrauber entstiegen. In seinem Gitarrenkoffer lagen siebzig Cent. Die Hälfte der jungen Menschen, die gerade aus der Schule ins Freie strömten, trugen ihre Masken wie Schwimmflügel über dem Ellbogen.

Früher haben mich die Menschen in den Straßen noch berührt, gelegentlich haben sie mir sogar Angst gemacht, heute lassen sie mich gleichgültig. Mir scheint, als hätte man ihnen die Individualität gestohlen und sie in maximal siebenundzwanzig Formen gestanzt, die man sich ja leicht merken kann. Egal welche Gesichter sie tragen, eine dieser Formen passt immer. Wenn sich ihnen ein Rottweiler knurrend nähern würde, suchte man vergeblich nach einem Unerschrockenen, dem sich der Köter ja sofort zu Füßen legen würde.

Was ich eigentlich sagen will, ist Folgendes: Bereits als Kind habe ich mich verzweifelt bemüht, mit ihnen klar zu kommen. Ich habe sie beobachtet, aber begriffen habe ich sie nicht. Nach dem Besuch der Journalistenschule durfte ich endlich mitmischen. Und das in meinem Traumberuf. Nach einer kurzen Phase der Euphorie fühlte es sich aber an, als hätte ich nach Jahren des Fußballtrainings die Lizenz zum Bobfahren bekommen. Das fantasievolle Gekicke auf dem grünen Rasen der Demokratie, wie ich es mir vorgestellt hatte, wich einem stringenten Kurs im Eiskanal, der keinerlei Spielraum ließ, wenn man nicht grandios scheitern wollte.

In dem kleinen Park am Isebekkanal (4) saß ein junges Mädchen auf der Bank und steckte sich Blumen in die Springerstiefel, die sie auf der Wiese gepflückt hatte. Wiesenblumen, rot, gelb, weiß. Dann stand sie auf, schaute an sich herunter, trat einmal kräftig auf und marschierte mit ihren, die Köpfe schüttelnden Blümchen davon. Die kriegen sie nicht, da wette ich drauf.


Quellen und Anmerkungen

(1) Informed Consent Action Network (ICAN; 8. August 2022): PARENTS, TAKE NOTE: Grassroots Activism by Parents in California Prompts School Superintendents to Take Action Against COVID Mandate. Auf https://www.icandecide.org/ican_press/parents-take-note-grassroots-activism-by-parents-in-california-prompts-school-superintendents-to-take-action-against-covid-mandate (abgerufen am 12.8.2022).

(2) Elektronischer Brief an die California Health and Human Services Agency (15.11.2021): Letter from Shasta County Superintendents. Auf https://www.icandecide.org/wp-content/uploads/2022/07/Production_IR0703A_CalHHS.pdf (abgerufen am 12.8.2022).

(3) Der Sänger, Songwriter und Schauspieler Kris Kristofferson (Jahrgang 1936) verfasste 1969 den Country-Song “Me and Bobby McGee”. Die von Janis Joplin (1943 bis 1970) gesungene Version wurde zu einem Nummer-eins-Hit. Der Song reflektiert das hedonistische Glück des Augenblicks, als ein Paar als Anhalter durch das Land reist, Mundharmonika spielt und Blues singt.

(4) Der Isebekkanal ist ein etwa drei Kilometer langes Gewässer in Hamburg. Es ist hervorgegangen aus einem heute nicht mehr vorhandenen Zufluss der Alster namens Isebek. Der einzige noch verbliebene benannte Zufluss heißt Ottersbek.


Redaktioneller Hinweis: Das Essay von Dirk C. Fleck wurde unter dem Titel “Ein deutscher Herbst steht an” auf Apolut.net publiziert und Neue Debatte zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Es wurde aktualisiert. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Anmerkungen ergänzt.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: annie pm (Unsplash.com)

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

Von Dirk C. Fleck

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

3 Antworten auf „Ein deutscher Herbst steht an …“

Insgesamt finde ich den Artikel nicht schlecht. Ich gehöre aber zu den “dummen” Deutschen, denen die Arbeit und das Auftreten von Frau Baerbock ganz gut finden. “Nobody iss Perfekt”.
Auch ein Journalist wie Dirk C. Fleck sollte sich bei der öffentlichen Beurteilung einer anerkannten Politikerin zweimal auf die Zunge beißen, bevor er sie “kriegsgeil” und “dummdreist” nennt. Ist das moderner Journalismus?

Wer lieber Waffen liefert und somit einen Krieg verlängert, der schon vor 8 Jahren als Bürgerkrieg begann, ist zumindest keine Friedenspartei mehr. Wenn man dadurch auch einen Atomkrieg in Kauf nimmt, dann ist kriegsgeil nicht mehr das passende Wort. Und Sanktionen die der eigenen Bevölkerung schaden, das ist nicht nur dummdreist, sondern zusätzlich kriminell. Wenn Baerbock dann noch auf der New School in New York von einem gemeinsamen Führungsanspruch mit Amerika phantasiert und Hannah Arendt zitiert, um ihre imperialistischen Großmachtsphantasien zu untermauern, so kann man die Interpretationen eines Dirk Flecks noch als sehr wohlwollend werten. Es wird ein heisser Herbst, auch mit wenig Gas…

Baerbocks New Yorker Kriegsrede
https://www.wsws.org/de/articles/2022/08/08/baer-a08.html

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