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Hundstage und kühle Zeiten

Blickt man sich global um, haben bestimmte Jahreszeiten immer noch die Macht, den gesellschaftlichen Rhythmus zu bestimmen. Wenn die Sonne am höchsten steht, ziehen sich die Menschen zurück, nehmen das Tempo aus dem Leben und erlauben sich, im Dämmerzustand das Dasein zu reflektieren. In der Gesellschaft sieht es etwas anders aus. Zuviel ist geschehen, als dass die Abfolge kleinerer Gewitter zu einer Kühlung führen könnte.

Nun sind sie wieder da, die Hundstage, seit Beginn der Aufzeichnungen in unseren Gefilden die heißeste Zeit des Jahres. Von Ende Juli bis Ende August bringen sie Hitzewellen, alles liegt unter einem erdrückenden Teppich (1). Die Hunde, nach denen diese alljährliche Episode benannt ist, liegen faul im Schatten herum und tun das, was nicht nur für ihre Spezies das Vernünftigste zu sein scheint. Sie vermeiden hektische Bewegungen und pflegen eine Tugend, die vielen Menschen augenscheinlich verloren gegangen ist: Sie warten auf kühlere Zeiten.

Wachstum, Hitze, keine Kühlung

Dass das, was die verschiedenen Nachrichtenmagazine als ihr Geschäftsmodell bezeichnen, nämlich in kurzer Abfolge zu verkaufende Sensationen liefern, weiter betrieben wird, kann als ein Störfaktor bezeichnet werden, der vor allem in Kulturkreisen in voller Blüte steht, in denen Wachstum und Profit im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen.

Blickt man sich global um, dann ist das nicht überall so und bestimmte Jahreszeiten haben immer noch die Macht, den gesellschaftlichen Rhythmus zu bestimmen. Wenn die Sonne am höchsten steht oder die Regenzeit das Zepter in die Hand nimmt, tun es dort die Menschen privat wie im öffentlichen Bereich den Hunden während unserer Hundstage gleich: Sie ziehen sich zurück, nehmen das Tempo aus dem Leben und erlauben sich, im Dämmerzustand das Dasein zu reflektieren.

Doch bleiben wir hier bei uns. Für diejenigen, die hoffen, dass die unerträgliche Hitze bald vorbei ist, sei der Gedanke erlaubt, dass auch mit dem Zurückweichen der Hitze, die das Thermometer anzeigt, und trotz der Prognosen, dass im kommenden Winter viele Menschen aufgrund der dramatisch gestiegenen Energiepreise frieren werden, eine ganz andere, vielleicht noch wesentlich gefährlichere Hitze bleiben wird. Es ist die gesellschaftliche Hitze, die sich seit Langem, auch schon vor den Hundstagen anbahnt. Zuviel ist geschehen, als dass die Abfolge kleinerer Gewitter zu einer Kühlung führen könnte.

Hundejahre oder schweres Gewitter

Verschiedene Ereignisse, die allesamt nicht nur in der Ferne, sondern durch das eigene, bewusste Zutun zustande kamen, haben zu einem trockenen Hoch geführt, das jederzeit entzündbar ist.

Da ist die Bezahlung von Arbeit, da sind exorbitante Reproduktionskosten von Miete, Nahrung, Energie und Mobilität, da ist ein seit Langem für dramatische Episoden nicht mehr auskömmliches Gesundheitswesen und da ist das Abgleiten des gesellschaftlichen Diskurses zu einem Ausgrenzungskampf. Da ist die Bruchlandung der internationalen Diplomatie, in der die Realpolitik beseitigt und eine Mentalität des Kreuzzugs etabliert wurde, da ist der Verlust von Vertrauen durch Korruption, Kollusion und Nepotismus (2) und da ist der Hohn derer, die in monetärer Wollust mit der Zunge schnalzen gegenüber jenen, die mit hängender Zunge um das Überleben kämpfen.

Und die Institutionen, von denen lange Zeit geglaubt wurde, sie kümmerten sich um die Belange zumindest ihrer Klientel, haben sich verselbstständigt und kämpfen allenfalls um den eigenen Vorteil.

Die Parteien, die in der Vergangenheit für die Interessen der abhängig Beschäftigten eintraten, zählen genauso dazu wie diejenigen, die als Stronghold des Unternehmertums galten. Und die, die die Ökologie auf ihren Fahnen trugen, haben sich auch eingereiht in den fahnenflüchtigen Marsch. Die Einzigen, die ihrer Klientel konsequent die Stange gehalten haben, sind die Lobbyisten der Couponschneider, der Satten und der vor den Kosten des Gemeinwesens Flüchtigen.

Wer angesichts dieser Gemengelage an der Illusion festhält, die Hundstage mögen bald vorüber sein, sollte sich an den Zustand gewöhnen. So wie es aussieht, haben längst die Hundejahre begonnen. Oder kommt doch ein kräftiges, brutales, zerstörerisches Gewitter, das die Kühle zurückbringt?

Quellen und Anmerkungen

(1) Als Hundstage werden die heißen Tage im Sommer vom 23. Juli bis zum 23. August bezeichnet. Die Römer nannten die heißeste Zeit des Jahres dies caniculares (Tage des Hundssterns; Hundstage).

(2) Der Begriff Nepotismus (Vetternwirtschaft) bezeichnet eine übermäßige Vorteilsbeschaffung durch und für Familienangehörige oder andere Verwandte oder enge Freunde. Bei der Günstlingswirtschaft, in Österreich Spezlwirtschaft oder Filz genannt, sind keine Familienangehörigen Nutznießer des verschafften Vorteils, sondern andere (Einzel-)Personen oder Gruppen (zum Beispiel bei der Klientelpolitik).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Breno Machado (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „Hundstage und kühle Zeiten“

zu obigem artikel eine anmerkung:

“hundstage” heißen nicht so, weil warmblütige tiere in der hitze träge werden (um körperlich nicht zu überhitzen), sondern sind altägyptisch/babylonisch/ nach dem stern Sirius benannt = hundsstern (im sternbild “großer hund” der alpha-stern), dessen (heliakalischer) “frühaufgang” (erscheint kurz vor der sonne am himmel) im alten ägypten und zweistromland die zeit der nilflut/und kalenderstern/ bedeutete
https://de.wikipedia.org/wiki/Sirius
https://de.wikipedia.org/wiki/Sirius#Sirius_im_Blickwinkel_anderer_Kulturen

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