Wer vorgibt, die Demokratie zu verteidigen, muss in der Lage sein, diese gemäß ihrer eigenen Prinzipien und Ansprüche zu leben. Diese einfache Wahrheit sollte immer wieder als Maßstab dienen, alles andere ist Makulatur. Wie viele Sonderbedingungen auch angeführt werden, wie viel Toleranz für Verbündete auch gemahnt und gefordert wird, wer letztendlich permanent wie systematisch in die Werkzeugkiste von Autokraten greift, hat sich selbst aus der Sphäre der Demokratie herauskatapultiert.
Der Schmutz und die Schönfärberei
Was bleibt, ist der Kampf um geostrategische Vorteile, Ressourcen und Arbeitskräfte. Das war immer so, und um ehrlich zu sein, bis auf die Kämpfe gegen das System von Kolonialismus, Imperialismus und Faschismus, die ihrerseits die neue Machtgier in sich trugen, ist alles andere Schönfärberei. Sie wird benötigt, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es hehre Werte sind, die das Morden und den Schmutz rechtfertigen.
Je mehr jedoch das schöne Bild von der lupenreinen demokratischen Unternehmung demontiert wird, desto brutaler wird die Sicht auf das, was dort vor sich geht. Und wer, bitte schön, sollte sich nicht in Enttäuschung abwenden von dem Geschehen, das alles zeigt, nur nichts mehr, was wir uns vorgestellt haben von einer entwickelten Zivilisation.
Alle, die sich gegen Russland und Wladimir Putin stellen und alles verdammen, was russisch ist, sind meistens bereit, alles, was im Namen der Ukraine, der USA und anderer NATO-Partner geschieht und im Ergebnis Tod und Terror verbreitet, gut zu heißen. Gibt es ein besseres Argument, als die eigene Konsequenz? Welchen Beweises bedürfte es noch, um diese Schwadronen des falschen Bewusstseins zu überführen? Keines.
Die Bestatter der Demokratie
Wenn aber von der schönen Geschichte des tapferen, demokratischen Schneiderleins nichts mehr übrig bleibt, was ist es dann, das noch einen Kompass liefern sollte? Da bleibt nicht viel.
Die Analyse ist so alt wie die Diskussion um Staatsformen insgesamt. Demokratie ist immer eine Veranstaltung der herrschenden Schichten. Auch und gerade in der Antike war sogar die numerische Mehrheit davon ausgeschlossen, und in der Moderne wurden Mittel und Wege entwickelt, die auf dasselbe hinausliefen. Und wenn selbst der Anspruch zu Bruch gegangen ist, sollte man sich nicht mehr zu Debatten über den Charakter der Demokratie hinreißen lassen, wenn die vermeintlichen Verteidiger der Demokratie sich als deren Bestatter erweisen.
Dass in dieser perversen Konstellation eine immer noch große, aber sich stetig verringernde Menge von Menschen dem Narrativ von Gut und Böse glaubt, ist das Ergebnis einer langen Geschichte, in der der Glaube an das Gute bezahlt wurde mit der Ausplünderung anderer Länder und Kulturkreise, die bis heute im Dreck liegen und über die die feinen Demokraten so gerne die Nase rümpfen.
Die Quintessenz
Großbritannien, seine Krone, sein Kolonialismus und sein Imperialismus sind ein wunderbares Beispiel für diesen zivilisatorischen Januskopf. Während auf englischen Bühnen Grandioses geboten wurde, waren verbeamtete Agenten der Krone in Asien als Drogendealer (1) unterwegs. Und wie wird diese Geschichte in diesen Tagen dargestellt? Sie alle wissen es!
Doch was bleibt? Die Quintessenz ist ebenso schlicht, einfach und plausibel wie der erste Satz. Dort hieß es, wer die Demokratie vorgibt zu verteidigen, muss ihr in seinem Handeln genügen. Und es bleibt das, was im philanthropischen Milieu der Neureichen so verpönt wäre: Das Hemd ist näher als der Rock.
Lassen Sie sich nicht einspannen. Folgen Sie Ihren eigenen Interessen. Dann zeigt die Kompassnadel in die richtige Richtung.
Quellen und Anmerkungen
(1) Anfang September 1839 kam es zum Ersten Opiumkrieg zwischen Großbritannien und dem Kaiserreich China (Qing-Dynastie). Der Konflikt endete am 29. August 1842 mit den Verträgen, die China die Souveränität über den eigenen Außenhandel entzogen und die chinesischen Märkte für die Briten und andere Europäer öffneten. Die Briten hatten die Beschlagnahmung des Opiums britischer Händler zum Anlass genommen, um den Krieg gegen das Kaiserreich zu beginnen. Das wirkliche Motiv war die Erhaltung des illegalen Opiumhandels, der für den Ausgleich des britischen Handelsdefizits mit China sorgte. Die Kosten des Krieges wurden in Form von Reparationen auf den chinesischen Staat abgewälzt.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Vasilios Muselimis (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Die Sphäre der Demokratie: Das Hemd ist näher als der Rock!“
“Die Sphäre der Demokratie: Das Hemd ist näher als der Rock!” heißt
Gerhard Mersmann ‘s Beitrag in der “Neuen Debatte”
Hier meine Gedanken drüber:
Die diktatorisch durchgesetzte, demokratische Verwaltung der Gesellschaft
Entsprechen unsere demokratischen Verhältnisse eher der klassischen Staatsformenlehre oder den Vorstellungen des Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der einmal feststellte: „Es ist dem Untertan untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.“
„Demokratie“, sei eines der größten Schlagwörter des 20. Jahrhunderts gewesen, bemerkt Johannes Heinrichs in seinem „Demokratiemanifest“. Rückblickend könne es als das größte und zentrale Wort des vergangenen Jahrhunderts gelten, wie „Fortschritt“ für das 19. und „Aufklärung“ für das 18. Was dagegenspreche sei, „dass dieses Schlagwort ein bisher unerfülltes Versprechen geblieben ist, dass wir auch in den demokratischen Ländern allenfalls in einer Halbdemokratie leben.“ (Johannes Heinrichs – „Demokratiemanifest“ Steno Verlag München 2005)
Jede Bewegung sowohl in der Natur als auch in der menschlichen Gesellschaft und im Denken geschieht aus zu lösender Widersprüchlichkeit heraus. Diese gilt es herauszufinden, um Lösungen bewusst stimulieren zu können. Die kategorisch geforderte und diktatorisch durchgesetzte Art und Weise der Lebensführung innerhalb einer Menschengemeinschaft gilt als unvereinbar mit der demokratisch verwalteten Lebensgestaltung eines menschlichen Gemeinwesens. Eine „reine Diktatur“ beziehungsweise „reine Demokratie“ kann es jedoch nicht geben, diktatorische und demokratische Prinzipien bestimmen immer tendenziös die Richtungen der Widerspruchs-, Konflikt- und Problemlösung.
Diktatur gilt im Allgemeinen als Herrschaftsform mit unbeschränkter Macht einer Person oder Gruppe und wird als Gegensatz zur Demokratie verstanden. Zu unterscheiden sind einerseits die vorübergehende Vereinigung außerordentlicher Machtbefugnisse zur Überwindung von Notlagen, wie man es vom Amt des altrömischen Diktators kennt und andererseits die dauernde Konzentration der gesamten Macht in der Hand eines einzelnen oder einer Gruppe. Die Diktaturherrschaft ist verbunden mit der Unterdrückung der Opposition, der Aufhebung der Gewaltenteilung, der Ausschaltung oder Behinderung der Öffentlichkeit bei der Kontrolle der politischen Macht sowie der weitgehenden Einschränkung der verfassungsmäßigen Grund- und Mitwirkungsrechte der Bürger. Sie stützt sich häufig auf eine bevorrechtigte Partei oder auf das Militär.
Demokratie ist im allgemeinen Verständnis die Staatsform die in der klassischen Staatsformenlehre als Alternative zur Monarchie und Aristokratie begriffen wurde. Der Demokratiebegriff ist vor allem an die Idee der Volkssouveränität gebunden. Die Regierung wird nach allgemeinen, freien und geheimen Wahlen direkt oder indirekt vom Volk für eine bestimmte Zeitdauer gewählt. Bei der Ausübung der ihr anvertrauten Macht wird die Regierung durch das Volk oder durch die von ihm befugten Organe kontrolliert.
Ausgehend von der Gleichheit aller Bürger, hat der Staat die Menschen- und Bürgerrechte als Grundrechte des Bürgers zu achten, zu gewährleisten und zu schützen. Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Gerichte gelten ebenso als Merkmale der Demokratie wie eine wirksame Opposition als Alternative zur Regierung. Konstitutiv für die Demokratie sind vor allem die Meinungs- und Organisationsfreiheit sowie vom Staat unabhängige Organe der öffentlichen Meinung. Zwischen einzelnen Elementen der Demokratie herrscht oft ein Spannungsverhältnis, denn Demokratie verlangt einerseits die Durchsetzung des Mehrheitswillens, andererseits sucht sie die Folgen von Mehrheitsentscheidungen zu mildern durch Grundrechte, Minderheitenschutz, Gewaltenteilung und Rechts- und Sozialstaatlichkeit.
Alle Handlungen eines Staates gehen, gleichgültig ob in einer Diktatur oder einer Demokratie, von der Regierung aus, die durch eine bestimmte Person, gesellschaftliche Gruppierung, Partei beziehungsweise von Lobbyisten oder Ähnliches unterstützt werden und das oft auch ohne die Verfassung und Gesetze zu beachten.