Das 21. Jahrhundert grundsätzlich und speziell die Gegenwart identifizieren weltweit nur noch eine verschwindend kleine Zahl von Eigentümern an Produktionsmitteln. Fast alles Eigentum befindet sich in machtpolitisch gestützten und juristisch garantierten Besitz mehr oder weniger anonymer Finanzgesellschaften.
Produktion, Dienstleistung, Konsumtion und Reproduktion, also das ganze zwischenmenschliche Miteinander, wird durch Investitionen der Kreditinstitute und der Finanzbörsen vorfinanziert, um so der Profitmaximierung zu dienen. Die Eigentümer von Produktionsmitteln, die nutzbringende Produkte und Leistungen erbringen wollen oder dies zumindest anstreben sollten, gelangen so in die Abhängigkeit der Finanzwirtschaft.
Die menschliche Arbeitskraft verliert an Wert und die erbrachte Arbeitsleistung wird von immer mehr Menschen als notwendige Last und nicht als nützliches Tätigsein empfunden. Der größte Teil des erarbeiteten Gewinns wird nicht zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen genutzt, sondern mit Zinsen, Mieten und Pachten wird ein unersättlicher Geldmoloch gefüttert.
Profit bis zur Lebensbedrohlichkeit
Eine grundlegende Ursache für die allgemeine Krise der kapitalistischen Produktionsweise ist die zwingende Notwendigkeit, dass das Kapital zur erweiterten Reproduktion des Wirtschaftsgeschehens, also dem politisch und ökonomisch vergötterten Wirtschaftswachstum, immer mehr Gewinn (Überschuss des Ertrags über den Aufwand) akkumulieren muss. Der Mensch, der von Lohn abhängig ist und seine Arbeitskraft verkaufen muss, gerät dabei immer stärker unter Druck. Denn für den Arbeitskraftnehmer (den Unternehmer) ist er lediglich ein Kostenfaktor, den es zum Beispiel durch Automatisierung zu reduzieren gilt, um den Profit zu steigern.
Die Akkumulations-, Verteilungs- und Regulierungsweise, die sich in der Nachkriegsperiode des Zweiten Weltkrieges unter maßgeblichen Einfluss des Keynesianismus herausgebildet hatte, führte die Gesellschaften nach einer Periode der (angeblichen) Ruhe und Friedlichkeit zunehmend in eine Krise. Die wirtschaftliche und soziale Situation veränderte sich weltweit – spätestens aber seit den 1970er-Jahren – mit zunehmender Geschwindigkeit. Die sogenannte Ölpreiskrise 1973, die geprägt war durch einen massiven Anstieg der Rohölpreise, hatte gravierende Auswirkungen auf die Volkswirtschaften; inklusive schwerer Rezessionen in den führenden Industrieländern.
Der internationale Konkurrenzkampf, heute global und damit in jedem Winkel des Erdballs ausgefochten, nahm auf allen wichtigen ökonomischen Feldern an Schärfe zu. Die immer schwieriger bis schließlich ganz unmöglich werdende Höherentwicklung der Produktivkräfte verstärkt die kapitalistische Produktionsweise auf ein Niveau der Lebensbedrohlichkeit.
Der End Boss kommt
Kapitalismus ist die gesellschaftliche Ausformung, in der der Mensch mittels der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen die Produktivkräfte in enormer Geschwindigkeit und mit zunehmender Effektivität entwickelt.
Die durch wissenschaftlich-technische Revolution und Akkumulation des Kapitals determinierte Wirtschaftskraft ermöglicht die notwendige und ständige gesamtgesellschaftliche Reproduktionserweiterung aber nur so lange, bis sich die grundlegende und letztlich alles bestimmende Triebkraft des wirtschaftlichen Geschehens, das Streben nach Profit, so weit von den Motiven zum gesamtgesellschaftlichen Stoff-, Energie- und Informationswechsel entfernt hat, bis das Kapital sich nicht mehr auf- bzw. entladen, also nicht mehr akkumulieren kann.
Es wird nur noch produziert und ausgetauscht, was Maximalprofit verspricht: Es zirkulieren überwiegend Wertpapiere und Anlagen und immer weniger Waren und Leistungen; als Folge haben immer weniger Menschen die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Produktionsprozess teilzunehmen und eine profitable Massenkonsumtion wird immer schlechter realisierbar.
So getrieben, erobert sich das Kapital Stück für Stück die Welt. Es bestimmt den ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Kurs und wird zum Totengräber der Zivilisationen. Denn dieser End Boss, das Kapital, das keine ethisch-moralischen Werte kennt und “befreit” ist von der Last des Mitgefühls, gibt vor, was, wo, wie, wann und von wem produziert, verteilt, ausgetauscht und konsumiert wird; wer hungert und wer essen darf – und dies alles ohne schlechtes Gewissen.
Nicht der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Ansprüchen sind Triebkraft und Zielstellung dieses Wirtschaftsgeschehens, sondern der Mehrwert heckende Mehrwert.
Das Totengewand
Das ethische Grundproblem der profitorientierten Wirtschaftsweise zeigt sich darin, dass das Schaffen nützlicher Gebrauchswerte lediglich ein Mittel zum Zweck der Erzeugung austauschbarer Mehrwerte ist, mit denen sich wiederum Mehrwerte erzielen lassen. Und das sogar durch die Zerstörung von Gebrauchswerten, der Verhinderung ihrer Erzeugung oder deren unsinniger Zirkulation. Das Ausmaß des Destruktiven wird offensichtlich in der Überproduktion, der Praxis von Reimporten, der Vernichtung von Lebensmitteln und der Produktion von Waffen und die Erschaffung von Schlachtfeldern.
Seit die Menschen denken können und Fragen stellen, suchen sie nach ihrer ursprünglichen Herkunft und nach Orientierungen für ihre Lebensgestaltung. Und sie fragen sich, weshalb sie sich als Subjekt – und die Menschheit insgesamt – sowohl aller Mühen als auch aller Lust des Lebendig-Seins aussetzen und hingeben sollen und wollen. Wir sind Suchende. Wir suchen uns selbst.
Der politische Raum bleibt davon nicht unberührt. Ob durch Einzelne, Gruppen, Parteien, Klassen, Parlamente oder Regierungen: jede Gesellschaft wird von Menschen gestaltet. Und immer ist Politik die Vertretung von Interessen und somit eine kämpferische Auseinandersetzung.
Es werden Fragen und Probleme verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wie der Wirtschaft, nationaler und internationaler Beziehungen, des Gesundheitswesens, der Bildung und Erziehung, der Verteidigung, des Schutzes, der Rechtsgrundlagen, von Familienangelegenheiten, der Moral, der individuellen Freiheiten und Verpflichtungen, der Ethik, also aller Verhältnisse und Kreisläufe der zwischenmenschlichen Wechselbeziehungen diskutiert und beraten. Und es werden Maßnahmen beschlossen und umgesetzt, die Antworten und Lösungen für diese Fragen und Probleme darstellen sollen.
Doch wenn sich das Kapital den politischen Raum einverleibt, so wie semantisch als “marktkonforme Demokratie” vorweggenommen, verformt der End Boss das ganze System in seinem ureigenen Interesse: der Maximierung des Profits. Ob eine Gesellschaft dabei soziostrukturell zerfällt, in den Faschismus abgleitet, die Völker moralisch zugrunde gehen oder sich in Kriegen gegenseitig verbrennen, ist dem Kapital völlig gleichgültig.
Den politischen Raum verteidigen
So lange die gesellschaftspolitischen Strukturen wie von profitgierigen Finanzoligarchen erwünscht und durch politische Marionetten initiiert funktionieren, haben Wahlen, Volksentscheide und so weiter eine Gemeinsamkeit: Sie verändern nichts. Sie bieten aber die Möglichkeit, Alternativen zum bestehenden System vorzustellen und Aktivisten miteinander ins Gespräch und in Kooperation zu bringen.
Aber damit die notwendigen (ökonomischen) Veränderungen, die ein friedliches Miteinander ermöglichen und erfolgreich den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit durchsetzen, eingeleitet werden können, ist es notwendig, jeden Zentimeter des politischen Raumes gegen das Kapital zu verteidigen und entstehende Lücken unmittelbar zu besetzen
Um auch diejenigen, die von den noch herrschenden gesellschaftlichen Missständen am meisten betroffen sind, zu motivieren, sich am Widerstand genau gegen jene Missstände zu beteiligen und sich in die Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse einzubringen, bedarf es auf individueller Ebene der Beantwortung einer Grundsatzfrage: “Was brauchst Du, um gut leben zu können und warum willst du so leben?”
Durch das Suchen nach Antworten auf diese Frage(n) wird gemeinsames Handeln ermöglicht; und sodann kann geklärt werden, welche gesellschaftspolitischen Voraussetzungen geschaffen werden müssten, um die individuellen Vorstellungen gesamtgesellschaftlich zu erreichen. Was zum letzten Punkt führt: dem End Boss die Gefolgschaft verweigern.
Nur dort, wo das Kapital seinen unstillbaren Einfluss verliert, können Vorstellungen und Pläne reifen, was und wie verbessert oder völlig neu konzipiert und aufgebaut werden müsste und mit welchen Zielstellungen diese Veränderungen auf demokratischen Weg erreicht werden können. Alles andere, ob Partei, Öko-Bewegung oder was auch immer, wird vom Kapital gekapert und landet im Geldmoloch.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Katie Rae (Unsplash.com)
Frank Nöthlich (Jahrgang 1951) wurde in Neustadt/Orla (Thüringen) geboren. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und sechs Enkelkinder. Er studierte Biologie, Chemie, Pädagogik, Psychologie und Philosophie von 1970 bis 1974 in Mühlhausen. Nach dem Studium war er an verschiedenen Bildungseinrichtungen als Lehrer tätig. Von 1985 bis 1990 war er Sekretär der URANIA-Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Später arbeitete er als Pharmaberater und ist heute Rentner und Buchautor (www.briefe-zum-mensch-sein.de). Er sagt von sich selbst, dass er als Suchender 1991 in der Weltbruderkette der Freimaurer einen Hort gemeinsamen Suchens nach Menschenliebe und brüderlicher Harmonie gefunden hat.
4 Antworten auf „Wenn der End Boss kommt…“
der obige artikel = völlig d’accord, aber wie soll es -friedlich- jemals funktionieren, dem “geldmoloch” wieder zügel anzulegen, oder ihn ganz aus dem rennen zu nehmen? zumal der, wenn es drauf ankommt, bis an die zähne bewaffnet auftritt, und dieses outfit keineswegs aus spaß trägt.
Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber, der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann wie bis dahin und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen. Der Wille aufzubegehren entsteht per se. Gegenwärtig ist die kapitalistische Wirtschaftsweise zwar im Verfall, aber noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt und die Machthaber agieren mit einem umfangreichen Potenzial von Machtinstrumenten. Damit die notwendigen Veränderungen letztendlich von den Unterdrückten erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es darum wichtig, dass es Vorstellungen gibt, wie denn was verbessert werden muss und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen erreicht werden können.
Ich denke, das Problem liegt darin, dass die meisten Menschen sich nicht wirklich unterdrückt fühlen, sofern sie für sich noch einen Freiraum entwickeln können. Und den zu suggerieren, gelingt dem System, zumindest in den westlichen Wertegesellschaften, noch perfekt.
Ja, so ist es noch. Aber es wird sich ändern, wenn die Einen nicht mehr können und die Anderen nicht mehr wollen oder wir Alle gibt es nicht mehr.