Auch wenn das Restgas aus dreihundert Metern Tiefe in der herbstlich kühlen Ostsee ausströmt: Es ist siedend heiß geworden und der ukrainisch-russische Krieg marschiert auf Mitteleuropa zu.
Nicht, dass die Anschläge auf die Nordseepipelines völlig unerwartet gekommen wären (1). Spätestens seit dem Scholz-Besuch in den USA und jener legendären Pressekonferenz mit dem US-Präsidenten Joe Biden, in der dieser im Beisein eines deutschen Bundeskanzlers die amerikanischen Möglichkeiten, die Ostsee-Pipelines zunichtemachen zu können, offen aussprach, ohne ein Wort des Protestes zu hören, war klar, dass irgendwann irgendetwas passieren könnte (2).
Propagandamaschinen
Dass nun, nach der Beschädigung beider Pipelines, sich im deutschen Presse-Orkus niemand an diese Geschichte zurückerinnert, sondern alle medialen Vertreter mehr oder weniger deutlich machen, dass es eigentlich nur Russland gewesen sein kann, demonstriert den Ernst der Lage. Wenn nämlich niemand mehr ein Interesse daran hat, die tatsächlichen Sachverhalte aufzuklären, dann geht es bald heiß zur Sache.
Auf allen Seiten laufen die Propagandamaschinen auf Hochtouren. Das heißt nicht, dass alle Menschen, ob in Russland, in der Ukraine, in Deutschland oder in Frankreich, der in ihren Ländern jeweils verbreiteten Auffassung blind folgen würden. Diejenigen, die jeden noch so großen Unsinn und jedes noch so ekelhaft menschenverachtende Schauermärchen glauben, sind in der Regel diejenigen, die – vorerst – von einem Krieg nichts zu befürchten haben. Ihr Portemonnaie ist dick genug, um die Inflation zu kompensieren, sie haben Zweitwohnsitze in anderen Regionen und sie fühlen sich beschützt vor dem Ansturm allzu hungriger Mägen.
Sieht man genau hin, dann sind es ihre Wahrheiten, die von den Propagandaorganen der jeweiligen Länder in die Welt geblasen werden. Und hört man genau hin, bei denen, die heute schon direkt betroffen sind und morgen mit ihrem Leben bezahlen sollen, dann wissen sie genau, wie der Hase läuft. Ihre Lebenserfahrung hat sie gelehrt, wer von Kriegen profitiert und wer dafür bezahlt. Alles andere ist Schmu. Sie kennen die Geschichten, die in Kriegen verbreitet werden.
Am Stichtag …
Beim Skizzieren der vorgezeichneten Linien stechen Entwicklungen ins Auge, die zum Schluss, am Tag der Abrechnung den Ausschlag geben werden:
- Russland führt Krieg in der Ukraine. Russland ist militärisch geschwächt und muss sich mit Verwerfungen mit Kasachstan, mit Aserbaidschan und Armenien, mit Georgien und Kirgisistan auseinandersetzen. Es wird sich lange nicht von dieser Episode erholen, selbst wenn auf einen Schlag alle militärischen Handlungen beendet wären.
- Die Ukraine wird als semi-krimineller, bis an die Zähne bewaffneter und in Bezug auf die Bevölkerung geschwächter, letztendlich ungenügend handlungsfähiger Staat überleben.
- Das industrielle Herzstück der EU, und dort vor allem Deutschland, wird als Schatten früherer Tage und gesellschaftlich gespaltenes Gebilde nicht mehr auf die Beine kommen.
- Polen wird aus dem Osten der EU und mit dem Wind seines reaktionären Nationalismus Führungsansprüche formulieren und dabei Unterstützung von den Ländern bekommen, die so euphorisch in die Europäische Union drängten und sich dann so gegängelt fühlten.
- Die EU selbst wird in ihrer jetzigen Form Geschichte sein.
Selbst diejenigen, die heute so euphorisch an den für sie reservierten besten Sendezeiten von einem Sieg über Russland sprechen, hüten sich vor einer Vision, wie es denn aussehen würde, wenn sie recht behielten. Denn die existiert schlichtweg nicht. Sie faseln von Rechten und Werten, die sie unzählige Male selbst mit Füßen getreten haben und glauben, das würde reichen, um die Menschen von ihrem destruktiven, suizidalen Ansinnen überzeugen zu können. Wenn sie sich da mal nicht kräftig verkalkuliert haben!
Quellen und Anmerkungen
(1) Infosperber (3.10.2022): Wer steckt hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines? Auf https://www.infosperber.ch/politik/welt/wer-steckt-hinter-dem-anschlag-auf-die-nord-stream-pipelines (abgerufen am 6.10.2022).
(2) Frankfurter Allgemeine (8.2.2022): Bizarres Schauspiel. Auf https://www.faz.net/aktuell/politik/olaf-scholz-bei-joe-biden-bizarres-schauspiel-im-weissen-haus-17788140.html (abgerufen am 6.10.2022).

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Marjan Taghipour (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.