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Europäische Befindlichkeit: Rausch oder böser Traum?

Wollte man bösen Mächten einen Rat geben, wie sie den Versuch zumindest Zentral- und Westeuropa zu einigen verhindern können, so wäre der mit dem lapidaren Wort “Abwarten” bereits umfänglich gegeben.

Wollte man bösen Mächten einen Rat geben, wie sie den Versuch zumindest Zentral- und Westeuropa zu einigen verhindern können, so wäre der mit dem lapidaren Wort “Abwarten” bereits umfänglich gegeben. Denn was kann trauriger sein als die Agenden, mit denen die EU in diesen Zeiten wertvolle Zeit verschwendet?

Keine Fragen auf dem Kriegskurs

Da werden zwar neue Formate geschaffen, wie das Bürokratien so gerne machen, aber das, was die Menschen tatsächlich interessiert, findet gar nicht statt. Stattdessen wird die Serie von Sanktionspaketen gegen Russland fortgesetzt, obwohl längst erwiesen ist, dass sie die eigene Ausgangslage mehr schädigen als die des als Feind Ausgemachten. Folglich stehen auf der Agenda auch nicht Fragen, die, so skandalös sie sind, auf Platz eins stehen müssten.

Wer hat die Nordstream-Pipelines durch Sabotage grundlegend beschädigt? Kein Wort? Und ihr nehmt euch selbst noch ernst? Kein Nachfragen des Investors? Kein aktives Suchen der Bundesrepublik? Kein Protest? Auch nicht, nachdem Mitglieder des gleichen Bündnisses Freudensdepeschen herausgehauen haben?

Generell stellt sich die Frage, inwieweit die dort versammelten Vertreter wie die sie immer begleitende und zunehmend treibende Meinungsmache die reale Welt noch erleben? Glaubt man dort wirklich, in der jeweiligen Bevölkerung würden die Sektkorken knallen, weil eine neue EU-Verfügung nun einheitliche Ladekabel für Smartphones etc. (1) vorsieht? Dass diese Maßnahmen die Sorge um ein zunehmend auf Kriegskurs befindliches Bündnis, das immer aggressiver wird, an Güte und Perspektive überstrahlt?

Woke Grimassen und Größenwahn

Während die Lebenshaltungskosten für diejenigen steigen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben und diejenigen, die die Reproduktion derer mit ihren unternehmerischen Dienstleistungen am Laufen halten, ist die EU-Bürokratie ein ständiges Ärgernis, mit dem sie leben könnten, wären da nicht ständig neue Fronten, die aufgemacht werden, um ein administratives Fiasko nach dem anderen begründen zu können.

Ist Russland als Feindbild erst einmal abgenutzt, dann ist als nächstes China an der Reihe. Der deutsche Ideologenpool bildet dabei, wie sollte es anders sein, denn Tradition ist Tradition, die Avantgarde. Und nichts, aber auch gar nichts ist zu schäbig. Von der Leugnung der kolonialen Vergehen bis zu neuartigen Rassentheorien ist da alles vertreten, artikuliert von teils woken Grimassen.

Diejenigen in der Bürokratie und in den Meinungsschmieden, die so blutrünstig nach der Perpetuierung kriegerischer Handlungen anderer rufen, ihre Geschichten von den Werten, die sie selbst mit jedem Tag ihres Handelns mit Füßen treten und vernichten, sie glauben tatsächlich, dass sie mit diesen Geschichten auf Dauer durchkommen? Bei allem Respekt, den sie so gerne einfordern, bei Augenhöhe und Achtsamkeit, übrigens alles Einstellungen und Attribute, die sie denen, denen sie die Geschichten erzählen wollen, nicht entgegenbringen, ihre Diagnose, die stehen bleiben wird, ist schlicht: Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn.

Der Rausch der Selbstüberschätzung

Die Realität, in der sich die handelnde Politik wie die darüber berichtende Zunft bewegt, lässt sich auf ein Milieu reduzieren, das national wie supranational, auch wenn die Kategorien bei ihnen selbst nicht mehr en vogue sind, vielleicht 5 bis 7 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In den wohlhabenderen Ländern mehr, in den ärmeren weniger.

Und es spricht für die Verzerrung des eigenen Blicks, dass man dort tatsächlich glaubt, diese reduzierte Realität hätte eine Chance auf Nachhaltigkeit? Für dieses Milieu selbst ist es ein Rausch der Selbstüberschätzung, für den Rest ein böser Traum, der irgendwann vorbei sein wird.

Quellen und Anmerkungen

(1) Tagesschau (4.10.2022): Einheitliches Ladekabel kommt. Verfügbar auf www.tagesschau.de/ausland/europa/ladekabel-eu-101.html (abgerufen am 11.10.2022).

(2) Als Perpetuierung wird die Aufrechterhaltung und Fortdauer einer Situation oder eines faktischen physikalischen und/oder chemischen, eines sozialen, emotionalen oder rechtlichen Zustands bezeichnet. Handelt es sich nicht um einen ohnehin irreversiblen Zustand, so werden als Mittel, diese Dauerhaftigkeit zu gewährleisten, ständige Wiederholungen (beispielsweise durch Propaganda, mündliche Überlieferungen usw.) veranlasst. Ergänzend oder alternativ werden haltbare Dokumentationen gefertigt wie zum Beispiel Aufzeichnungen (Urkunden, Fotografien, elektronische Speichermedien et cetera).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Europäische Befindlichkeit: Rausch oder böser Traum?“

Natürlich kommen die damit durch. Als Alternative können sich Amerikaner, wie auch Deutsche, nur Hitler vorstellen.
Das eine komplett andere Welt möglich und auch nötig ist, kommt gar nicht erst vor, weil es nicht vorkommen darf.
Die Revolution bleibt aus.

” Wer hat die Nordstream-Pipelines durch Sabotage grundlegend beschädigt? Kein Wort? Und ihr nehmt euch selbst noch ernst? Kein Nachfragen des Investors? Kein aktives Suchen der Bundesrepublik? Kein Protest? Auch nicht, nachdem Mitglieder des gleichen Bündnisses Freudensdepeschen herausgehauen haben? ” =>

auffallend, nicht? es könnte als offenbarungseid “cui bono?” gelten …, mir war von anbeginn klar, dass “die untersuchungen” dazu (aus guten gründen) im sand verlaufen werden = die öffentlichkeit wird auch hierbei nach strich und faden belogen und getäuscht, genau wie über die ukraine-geschichte insgesamt.

mir dem “größenwahn + unzurechnungsfähig” bin ich nur teilweise einverstanden, denn damit die eliten so agieren, wie sie es tun, braucht es auch zusätzlich handfestere gründe, zb einigen steht das wasser bis zum hals, und daher schlagen sie um sich, nehmen wie üblich ganze völker in geiselhaften, machen verdeckte und offene kriege, usw – dass sie außerdem sich selbst als unangreifbar, unverwundbar sehen = größenwahn, spielt dabei sicherlich auch eine rolle, aber dieser “wahn” ist ja andererseits auch platte realität = es kann ihnen tatsächlich niemand was, denn sie haben auch unsere politischen systemchen längst korrumpiert = nur “blöde” glauben daran, dass zb unsere regierung DE usw tatsächlich ohne ihr ausdrückliches placet “frei gewählt” wäre (deutliches anzeichen dafür ist, man kann wählen wen und was immer man will, es ändert sich genau garnix, weil die geld- und wirtschafts- eliten den realen kurs bestimmen, politiker = nur applausaffen).

..”einheitliches Ladekabel kommt”.. ;*)
Genau solche Geschichten zeigen wie es wirklich läuft, denn die Idee ist alt, >15 Jahre, nur soweit ich es erinnere – also EU. Aber die Industrie/Handel spielte vorher nicht mit. Nun ist der Markt aufgeteilt, diverse Lizenzen (Patente) laufen aus und die Großen in der IT-Branche haben Technologie und Logistik sowieso fest im Griff. Also brauchts den ganzen Stecker-Buchsen-Quatsch auch nicht mehr (zudem werden neuere Geräte meist induktiv geladen).

Es gilt eigentlich ein Problem zu “beerdigen” – weil obsolet.

Und siehe da, es hat sich eine Karriere-Sprosse ergeben die jeden “ernsthaften” Bürokraten zur Tätigkeit verpflichtet um das Dort- und Da-Sein zu legitimieren (inkl. Institution). Ein nun _billigen_ Status-Quo gilt es also in Gesetzestexten zu verewigen – und ganz sicher mit besonderem Verweis namentlicher Urheberschaft. Damit ist dann die Legitimation der Protagonisten auf der entsprechenden Karriereleiter gegeben und die nächste Sprosse in sicherer/bequemer Reichweite.

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