Mattias Desmet oder der Rückgriff auf längst überwunden geglaubte Schemata der Psychologisierung politischer Verhältnisse und Bewegungen – zur Funktion der Psychologie und die Aufgaben der Psychologen.
Der Eindruck verstärkt sich immer mehr, ist zur Gewissheit geworden: Wir müssen den fundamentalen Bruch, den die Inszenierung der letzten 2,5 Jahre bedeutet, in seiner ganzen Fundamentalität ernst nehmen und Konsequenzen daraus ziehen. Die neue Situation, sie ist tatsächlich nur in Orwellschen Schablonen wiederzugeben: Links ist rechts, rechts ist links, Diktatur ist Freiheit, Solidarität ist Unterwerfung. Sie ist aber darin nicht zu erklären. Deshalb greift man auf alte Erklärungsschemata zurück, wie das von Gustave Le Bon bei Mattias Desmet (1).
Damit verstärkt er zumindest die Wirkung des Bruchs. Er nimmt nicht zur Kenntnis, dass die Muster und Schablonen aus der Zeit vor “Corona” diese mit ermöglicht oder befördert haben.
Die Verformung des Bewusstseins
Was die Corona-Inszenierung gezeigt hat: die ungeheure Wirkung der Manipulation des Bewusstseins der Bevölkerung und damit die ungeheure Macht der Apparate, nämlich der Medien.
Vielleicht müsste man sogar sagen: Diese Inszenierung hat nicht die Erklärungskraft von Karl Marx, aber großer Teile des marxistischen Selbstverständnisses infrage gestellt; nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht die Produktionssphäre, sondern die der Zirkulation und des Scheins. Wir können also auch in der Psychologie nicht unbesehen auf das zurückgreifen, was wir vorher gedacht, entworfen, praktiziert und kritisiert haben. Die Macht der Medien, die Formung und Verformung des Bewusstseins müssen wir zum Ausgangspunkt nehmen.
Die Rolle der Medien selber ist nicht neu: Manipulation, Public Relations, Propaganda – diese Begriffe sind bereits verbunden mit der Zeit des Ersten Weltkriegs. Aber was diese Begriffe bezeichnen, wird uns erst allmählich klar. Zwar war der Faschismus bereits ein Beleg der Wirksamkeit der Manipulation, aber auch er wurde in alten Theorien (wiederum in Le Bonschen) zu erklären versucht, deren Kern in der Verkehrung der Verhältnisse besteht; mit denen der Faschismus zum Problem und Produkt des Bewusstseins der Massen gemacht wird.
Das hat sich fortgesetzt in der “Aufarbeitung des Faschismus” nach seiner Zerschlagung und ebenso im “antifaschistischen Kampf” seit den Siebziger- oder Achtzigerjahren und findet seine Krönung in der Verblendung die Kritik am sich faschisierenden Staat als rechts-faschistisch zu bezeichnen.
Die Erklärung dieses Bruchs liegt nicht in der Psyche der Manipulierten; man kann sie überhaupt nur oberflächlich psychologisch erklären. Das verlockende und verführerische einer psychologischen Erklärung wie der von Mattias Desmet taucht immer – bereits von Günter Rühle bemerkt – nach der Niederlage von Bewegungen auf, die sich gegen die Psychologisierung durch den Terror der Herrschaft gestellt haben. Eine psychologische Erklärung dieses Rückgriffs auf Psychologie affirmiert (2) die – siegreiche – Herrschaft.
Das einzig richtige Verhalten gegenüber Psychologie ist deshalb deren Kritik. Erklärungsmöglichkeit bietet dagegen die Geschichte – die Marx bereits lakonisch als die einzige Wissenschaft bezeichnet hat: “Geschichte des Klassenkampfs”.
Verfolgt man die Geschichte der letzten 20 Jahre, so reibt man sich die Augen, wenn man erkennt, wie es den Regisseuren der Inszenierung gelungen ist, die 20-jährige Vorbereitungszeit so vollkommen der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu entziehen. Hier liegt ein entscheidender Punkt der Wirkung der Medien und ihrer Verantwortung.
Verstecken durch Zeigen
Selbstverständlich muss man nicht nur diese 20 Jahre, sondern die 30 Jahre davor ebenso einbeziehen: das sprichwörtliche Rollback seit 1968, ebenso die 20 Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus und die Stabilisierung der protofaschistischen Strukturen unter dem Mantel der Demokratie; dann den Faschismus selber, die Zerschlagung der Arbeiterbewegung wie die Vorbereitung in der Zeit der Weimarer Republik, die Ermordung der kämpferischen Arbeiterbewegung durch die SPD-Regierung et cetera.
In all diesen Zeiträumen kann man immer wieder die Wirkung der Manipulation des Bewusstseins der Bevölkerung studieren. Nehmen wir nur das Beispiel der Vorbereitung der Corona-Inszenierung. Die Vorbereitung selbst wurde versteckt (unter aktiver Beihilfe der Medien), die Bevölkerung beziehungsweise die Öffentlichkeit wurde abgelenkt mit allen möglichen Geschichten von Feinden, die zu bekämpfen seien und so weiter.
Kurz gesagt: “Verstecken durch Zeigen” ist das Grundschema der Manipulation das sowohl Pierre Bourdieu (3) als auch Noam Chomsky in den Mittelpunkt ihrer Analysen gestellt haben.
Psychologie im Diskurs der Macht
Als Diskurs der Macht kann man das mit Foucault (4) klarer auf die Strukturen der Gesellschaft und der mittels dieser Strukturen herrschenden Klassen beziehen und zugleich die psychologische Dimension berücksichtigen: die Verführung der Adressaten dieses Diskurses, sich als Subjekt des Diskurses misszuverstehen und zu verhalten. Unsere (Psychologen) Aufgabe wäre es (deshalb), unsere Stellung im Diskurs der Macht zu reflektieren und unsere Funktion zu problematisieren, nämlich abzulenken, zu vernebeln.
Gerade indem wir von unserer Position (im Diskurs der Macht) abstrahieren, von uns selbst im Prozess psychologischer Forschung und “Anwendung” in der wir uns dem anderen von außen zu nähern versuchen, “über ihn” forschen, statt selbst einzutreten in die gemeinsame Reflexion unserer gemeinsamen Situation: aus dem Diskurs der Macht herauszutreten und stattdessen einzutreten in die gemeinsame Reflexion über unsere gemeinsame Situation in der Aufrechterhaltung der Strukturen der Herrschaft.
Der Krieg, das Ziel der bisherigen Inszenierung von Pandemie und Unterwerfung, ist die inzwischen letzte Herausforderung, sich dieser Verführung zur Unterwerfung entgegenzustellen. Diese Verführung beginnt bereits in der Darstellung Russlands als Kriegsverbrecher, als habe Russland den Krieg begonnen (5).
Mit der militärischen Initiative Russlands, dem Versuch, aus der Defensive herauszukommen, ist die Kriegsvorbereitung und Provokation der NATO zum realen Krieg geworden und zwar durch die Antwort des Westens: Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet, Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen und zugleich Militarisierung der Gesellschaft im Inneren.
Damit ist die Vorbereitung, die in der Inszenierung des Coronaregimes ihren Abschluss gefunden hat, zum Ziel gekommen. Es steht zur Diskussion, wie weiter: auch für die Psychologen und auch außerhalb der NGfP (Neue Gesellschaft für Psychologie).
Raus aus der Rolle der Befriedungsverbrecher
Es darf diskutiert werden: War der Weg bisher richtig, ausreichend und/oder muss er auf qualitativ höherer Stufe erweitert und weitergeführt werden. Wir müssen also zur Kenntnis nehmen und daraus Konsequenzen ziehen, dass wir uns in einer völlig neuen Situation befinden, in der die alten und gewohnten Regeln, Praktiken, Denkweisen und Konzepte nicht mehr funktionieren beziehungsweise einen Rückfall bedeuteten, nämlich die Funktion der Psychologen (und auch der Sozialwissenschaftler) als “Befriedungsverbrecher” erneuerten und die Gewaltverhältnisse potenzierten.
Wir dürfen uns deshalb nicht darauf beschränken, die (psychischen und sozialen) Folgen zu beschreiben und zu kritisieren – damit bewegten wir uns noch lange nicht außerhalb des Diskurses der Macht (es gab von Anfang an innerhalb der Befürworter und Propagandisten der Corona-Inszenierung “kritische Stimmen”, die auf die verheerenden Folgen der “Coronamaßnahmen” besonders für Kinder hingewiesen haben, sie vermieden allerdings, auf die Gründe der Maßnahmen hinzuweisen, die in der Strategie des Great Reset und den Interessen seiner Macher und Profiteure zu suchen sind).
Wir müssen aus dem privilegierten Raum der Wissenschaft heraustreten:
- Nicht “Wissenschaft” von außen und über die anderen, sondern Wissenschaft als Kritik, Reflexion und Protest im Handgemenge (Peter Brückner), Bewusstseinsbildung, Bildung des eigenen Bewusstseins als Teil des allgemeinen Bewusstseins.
- Nicht die Protestbewegung beforschen, ihre Aktivisten nicht supervidieren, sondern in den Protest eintreten und das Recht des Bürgers und die Pflicht des Forschers, in die politischen Vorgänge einzugreifen in Anspruch nehmen.
Das heißt, wir müssen klar gegen diesen Krieg Stellung beziehen, und das heißt gegen die Verursacher: die USA und ihre Verbündeten in den Staaten der Wertegemeinschaft und gegen die Kriegstreiber in unseren eigenen Reihen (die diese Ursachen und Verursacher im Diskurs der Macht verschleiern und in Friedensengel verkehren).
In seinem im Mai 2022 auf Consortium News publizierten Beitrag “Watch: West’s Free Speech Threatened by Ukraine War”, der in deutscher Übersetzung bei Free21 (6) erschien, betont Joe Lauria die Gefährlichkeit der gegenwärtigen “neuen Phase der offiziellen Zensur” (der öffentlichen Berichterstattung) als dem von ihm hervorgehobenen Kern der neuen Situation:
“Wir im Westen müssen verstehen, was inmitten dieser Kriegshysterie mit uns geschieht.”
Diese neue Phase sieht Lauria im Verschweigen der Ursachen und der Gefahr (des Krieges). Dieses Verschweigen war schon immer eine der Taktiken des Diskurses der Macht, sie war aber bisher noch nicht so total wie jetzt.
Deshalb: Wir müssen das Verschweigen selbst aufbrechen. Und wir müssen die Ursachen, die Verantwortlichen, ihre Pläne und Strategien klar benennen und kritisieren. Wen trifft die Zerstörung der Pipelines in der Ostsee? Wer kann daran ein Interesse gehabt haben? Der Keil zwischen Deutschland und Russland ist damit definitiv und endgültig. Welche Rolle spielen unsere Politiker dabei? Welches Theater führen uns die Medien vor?
Quellen und Anmerkungen
(1) Mattias Desmet (Jahrgang 1976) ist klinischer Psychologe und Professor für klinische Psychologie an der Universität Gent (Belgien). Er hat einen Doktor der Philosophie der psychologischen Wissenschaften und einen Master in Statistik. Desmet hat sich in seiner Dissertation mit der Validität von Instrumenten zur Messung der interpersonellen (hysterischen und zwanghaften) Dimensionen in der psychologischen Forschung befasst. Er veröffentlichte mehrere Bücher und zahlreiche Artikel vor allem in Fachzeitschriften.
2021 erregte Desmet in den Medien große Aufmerksamkeit, weil er die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die COVID-19-Maßnahmen mit der Massenbildung in Verbindung brachte. Er argumentierte, dass die meisten Menschen die von den Regierungen angeordneten Maßnahmen unhinterfragt akzeptierten und diejenigen anprangerten, die diesen Maßnahmen kritisch gegenüberstanden oder das Ausmaß von COVID-19 infrage stellten.
Desmet meint, dass die Massenbildung bekanntermaßen einen enormen Einfluss auf die kognitiven Funktionen des Einzelnen hat und Ähnlichkeiten mit dem Zustand der Hypnose aufweist. Die Thematik der “Hypnose” der Masse ist nicht neu. Sie wurde bereits in Sigmund Freuds “Massenpsychologie und Ich-Analyse” (1921) und vor allem von Gustave Le Bon (1841 bis 1931) beschrieben. Der französische Mediziner und Psychologe gilt als Begründer der Massenpsychologie.
Mattias Desmet bezieht sich auch auf Hannah Arendt, die die Rolle der Massen im Totalitarismus beschrieb. Für Desmet ist diese Theorie die einzige Erklärung dafür, warum selbst hochintelligente Menschen weder das offizielle Narrativ noch die damit verbundenen (und teilweise völlig absurden) Daten und Behauptungen infrage stellen würden. Im Februar 2022 erschien Desmets Buch “De psychologie van totalitarisme” (deutsch: Die Psychologie des Totalitarismus).
(2) Die Affirmation ist eine wertende Eigenschaft für prozedurale, kognitive oder logische Entitäten, die mit Bejahung, Zustimmung, positiver Wertung oder Zuordnung beschrieben werden kann. Vereinfacht ausgedrückt: Affirmation bedeutet, dass eine Aussage, Situation oder Handlung positiv bewertet wird.
(3) Pierre Félix Bourdieu (1930 bis 2002) war ein Soziologe und Sozialphilosoph. Insbesondere seit den 1980er-Jahren kam es zu einer intensiven Rezeption seiner Werke in der westdeutschen Soziologie.
(4) Paul-Michel Foucault (1926 bis 1984) war ein Philosoph des Poststrukturalismus, Historiker, Soziologe und Psychologe. Er ist Begründer der macht- und wissenstheoretischen Diskursanalyse und gilt als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts.
(5) Der Russisch-Ukrainische Krieg begann Ende Februar 2014 in Form eines regionalen bewaffneten Konflikts, geführt vor allem von prorussischen Milizen in den ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk (Donbass) gegen ukrainische Streitkräfte und Freiwilligenmilizen. Die sogenannten Minsker Abkommen von September 2014 und Februar 2015 sahen für den Krieg in der Ostukraine einen dauerhaften Waffenstillstand vor. Faktisch wurde lediglich eine Stabilisierung des lokalen Konflikts erreicht, der im Februar 2022 durch den Angriff russischer Streitkräfte auf das Staatsgebiet der Ukraine zum Krieg eskalierte.
(6) Free21 (7.7.2022): Westliche Pressefreiheit durch Ukraine-Krieg bedroht. Verfügbar auf https://free21.org/westliche-pressefreiheit-durch-ukraine-krieg-bedroht (abgerufen am 26.10.2022).

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Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder (Jahrgang 1941) ist Psychoanalytiker, Psychologe, Hochschullehrer und Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP). Er studierte unter anderem in Würzburg und Heidelberg Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaften und habilitierte 1982 mit der Arbeit „Psychologie ohne Bewusstsein: Die Geburt der behavioristischen Sozialtechnologie“. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er an der Freien Universität Berlin tätig. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören 'Subjektivität und Postmoderne. Der Diskurs der Psychologie' (Suhrkamp 1993); 'Jugend. Psychologie einer Kultur' (Urban & Schwarzenberg 1984), 'Psychologie ohne Bewusstsein. Die Geburt der behavioristischen Sozialtechnologie' (Suhrkamp 1982) und 'Lüge und Selbsttäuschung' (Vandenhoeck & Ruprecht 2009).