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Meinung

Management-Theorien: Impulsivität und Courage

Bis heute hat es keine Management-Theorien gegeben, die nicht in den USA initiiert wurden und nach einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren in die deutsche Arbeitswelt wirkten.

Die jeweils kursierenden Management-Theorien sind ein beredtes Indiz für den jeweiligen Zustand der Arbeitswelt (1). Interessant ist nicht nur dieser Aspekt, sondern auch der zeitliche Versatz, mit der die jeweils neue Welle in Deutschland ankommt. Bis heute hat es keine Management-Theorien gegeben, die nicht in den USA initiiert wurden und nach einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren in unsere Arbeitswelt wirkten.

Systemtheorie, Lean Management und das Mantra der Resilienz

Als die Organisationen – ganz gemäß der Systemtheorie (2) – wuchsen und sich immer mehr mit einer jeweils autonomen Infrastruktur vergrößerten, um die eigene innere Komplexität des Ganzen zu reduzieren, kam nahezu folgerichtig das Theorem des Lean Management (3) auf: schlanke Strukturen, flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen. Übrigens ein Mantra, wie viele andere auch, die nie falsch sind und immer vernünftig klingen.

Bei prächtiger konjunktureller Lage, in der humane Organisationen immer dazu tendieren, sich den großen Schluck aus der Pulle zu gönnen und nicht sonderlich initiativ zu sein, kam das weiße Ross der Agilität in die Säle der Management-Trainings galoppiert und mahnte zur Initiative. Und heute, in Zeiten der systemischen Krisen, ist es da ein Wunder, dass das Mantra der Resilienz am Himmel steht?

Sicher nicht, und es wundert wenig, dass die Sinnhaftigkeit, die für das Führen von Wirtschaftsorganisationen und Verbänden gilt, auch bei der Politik greifen sollte. Auch da wären – als Ergebnis eines spontanen Brainstorming – schlankes Management, Agilität und Resilienz ebenso wichtig wie in den anderen Lebens- und Arbeitsbereichen.

Selbstorganisation, Impulsivität und Courage

Obwohl die drei genannten Beispiele aus tatsächlich sehr unterschiedlichen Phasen der Managementlehre stammen, müssten sie bei genauer Betrachtung heute eine gleichberechtigte Rolle spielen. Organisationen, die von ihrem Apparat ausufern, werden kaum überleben.

Wer eher lethargisch auf das Geschehen reagiert, d. h. keine Agilität aufbringt, wird wahrscheinlich genauso ins Hintertreffen geraten wie diejenigen, die nicht resilient sind, bei denen beim ersten aufkommenden Sturm das Chaos ausbricht und nichts mehr funktioniert.

Insofern sind die drei Beispiele nicht aus der Luft gegriffen, sondern bewusst gewählt. Sie verkörpern zwar drei unterschiedliche Phasen in den Überlegungen, wie eine Organisation zu führen ist. Sie genießen jedoch angesichts der systemischen Herausforderungen eine gleichzeitige Aktualität. Damit wird demonstriert, wie heikel die Lage ist und welche Aufgaben vor denen liegen, die mit der Führung von Organisationen betraut sind.

Doch damit nicht genug. Was jenseits eines wirtschaftlich und von der Effizienz vertretbaren Grades der Selbstorganisation, jenseits der Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und außer der Fähigkeit, Schläge auszuhalten, noch vonnöten ist, ist die Fähigkeit zu Impulsivität und die dazu erforderliche Courage.

Bei einer Bestandsaufnahme, die sich mit dem gegenwärtigen Auftreten der Führungen von wirtschaftlichen wie politischen Organisationen befasst, sticht ins Auge, dass die erwähnten Fähigkeiten durchaus in dem einen oder anderen Fall zu verbuchen sind, es allerdings an Impulsfähigkeit und Courage mangelt.

Nach der Theorie die Praxis

Es ist müßig, sich immer wieder mit der Frage zu beschäftigen, warum in den Führungsetagen vor allem jene Platz gefunden haben, die nach dem Motto “nichts anbrennen lassen” und “nicht zu weit aus dem Fenster lehnen” vorgehen und darauf zu verweisen, dass der Hang zur Skandalisierung und die pathologische Furcht davor, Fehler zu machen, in einer moralisierenden Politik zu suchen sind.

Entscheidend ist immer, was kommen muss, um die Situation zu verbessern. Und jetzt, um bei den Management-Theorien zu bleiben, geht es in erster Linie um Impulsivität und Courage. Nicht mehr und nicht weniger.

Quellen und Anmerkungen

(1) Management-Theorien sind Konzepte, die sich mit Managementstrategien befassen und Instrumente wie Rahmenbedingungen und Leitlinien beinhalten und in modernen Organisationen eingesetzt werden können. Im Allgemeinen verlassen sich Fachleute nicht nur auf eine einzige Managementtheorie, sondern führen mehrere Konzepte aus verschiedenen Managementtheorien zusammen, die am besten zur Belegschaft und zur Unternehmenskultur passen. Weitere Informationen beim Corporate Finance Institute: What are Management Theories? Auf https://corporatefinanceinstitute.com/resources/management/management-theories (abgerufen am 30.10.2022).

(2) Die Systemtheorie ist eine interdisziplinäre Betrachtungsweise, in der grundlegende Aspekte und Prinzipien von Systemen zur Beschreibung und Erklärung unterschiedlich komplexer Phänomene herangezogen werden.

(3) Der Begriff Lean Management bezeichnet die Gesamtheit der Denkprinzipien, Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette industrieller Güter.

(4) Der Begriff Resilienz, der im weitesten Verständnis Anpassungsfähigkeit meint, steht für einen Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit der Anpassung ihres Verhaltens reagieren. Dieser Prozess umfasst die Auslöser (zum Beispiel belastender Stress), die Resilienz erfordern, die Ressourcen, die Resilienz begünstigen (beispielsweise eine positive Lebenshaltung oder/und unterstützendes soziales Umfeld) und die Konsequenzen (wie zum Beispiel Verhaltensänderungen oder eine Neuausrichtung der Einstellungen).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

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Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto: Branden Skeli (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Management-Theorien: Impulsivität und Courage“

Versuchen Sie einfach eine Notaufnahme danach zu organisieren. Die total durchgescrumten Doktoren und Schwestern werden dann schlicht agil den Löffel vor ihren Patienten abgeben.

Aggressives Micromanagement ist eher Ausdruck einer narzisstischen Gesellschaft, denn einer Resilienz. So was kann man vielleicht als Notfallplan in bestimmten Nischen auf bestimmte Zeit nutzen, aber keinesfalls dauerhaft überall.

Stellen Sie sich Mal vor, der lustige Kaufmann sagt dem Doktor der Mathematik und Informatik vor: “Du machst jetzt, dass der Cursor an dieser Stelle blinkt! Wenn der da nicht mehr blinkt, kannst Du hier leider nicht mehr arbeiten!”
Gleiches beim Automechaniker.
“Du schraubst nur n oboch vorne die linke Mutter vom Rad an!”
Vom medizinischen Bereich fange ich lieber nicht schon wieder an.
Man braucht nicht viel Geist, um sich vorzustellen, wie sich dann Betrieb und Arbeit und Mitarbeiter entwickeln werden.

Zukunftsfähig und resilient geht sicher anders. Aber freuen wir uns schon auf die erste, agile Notaufnahme. Möge sie ein mahnendes Beispiel sein.

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