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Meinung

Wahlen in den USA und deutsche Märchen

Alles, was aus dem demokratischen Lager zu entnehmen ist, deutet darauf hin, den militärischen Konflikt in der Ukraine solange am Leben zu erhalten wie möglich, um den Keil zwischen Russland und Rest-Europa so tief es geht zu treiben. Dabei werden Kollateralschäden in Kauf genommen, die die europäische Entwicklung auf Jahrzehnte vehement beeinträchtigen werden.

Gott sei Dank! Die Demokraten verteidigen den Senatssitz von Arizona! Der ehemalige Astronaut Mark Kelly setzt sich gegen den Kandidaten der Republikaner durch. Es fehlte den Demokraten nur noch ein Sitz, um die Mehrheit im Senat zu halten (1). Und nun haben sie ihn, den Sitz!

Das ist der Tenor der hiesigen Berichterstattung und er zeigt, wie es um den Orientierungssinn in der politischen Berichterstattung bestellt ist.

Jede Stimme für die Demokraten wird gefeiert als Sieg der Demokratie und eine Mehrheit der Republikaner in einer der beiden Kammern (Senat und Repräsentantenhaus) mit dem Weltuntergang gleichgesetzt. Das einzige, was bei dieser Sichtweise klar wird, ist der Einfluss demokratischer Stiftungen und Think Tanks auf den deutschen Journalismus. Mehr aber auch nicht. Und dass Politiker diesen Unsinn auch noch nachbeten, nährt die bereits grassierende Verzweiflung.

Sowjetunion und USA

Der Krieg in der Ukraine ist jenseits der immer wiederholten Erzählungen eben jener Zunft, das Ergebnis eines mehrere Jahrzehnte umfassenden Prozesses, bei dem es um das Zwischenergebnis eines Kalten Krieges ging, an dessen vermeintlichem Ende es um die Ansprüche der zusammengebrochenen Sowjetunion genauso ging wie um die geostrategischen Perspektiven der vermeintlich obsiegenden USA.

Die konsequente NATO-Osterweiterung war das eine, der Revisionismus einer gedemütigten Supermacht das andere. Den großen Gewinner, so viel ist gewiss, den gab es nicht.

Russland hat nicht nur Raum und Menschen in großer Zahl verloren, sondern auch, ganz in der Tradition des eigenen Imperialismus, zu sehr auf den eigenen Ressourcenreichtum vertraut und die gesellschaftliche wie technische Modernisierung verschlafen.

Die USA, vom Triumphalismus trunken, schwächten sich selbst durch zahlreiche Kriege, verloren die Dominanz durch die Weltfinanzkrise 2008 und verpassten ihrerseits die Möglichkeiten, die Gesellschaft vor einer rapiden Erosion zu bewahren.

Das Land ist gespaltener denn je und wer glaubt, es läge lediglich an einem schillernden Baulöwen aus dem republikanischen Lager, der folgt blauäugig den Schauergeschichten demokratischer Wahlkampagnen. Die Zerrissenheit hat andere Ursachen als das Psychogramm der Spitzenkandidaten. Sie sind die Symptome, aber nicht die Ursache.

China und die Ukraine

In den drei Dekaden nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges hat sich China durch die Entwicklung der eigenen Produktivkräfte, durch Technologie, durch Investition in Bildung und Infrastruktur zu einem Schwergewicht in den internationalen Beziehungen entwickelt, ohne, und das sei einmal unterstrichen, bis heute in nur einem Land außerhalb der eigenen Grenzen militärisch interveniert zu haben.

Chinas Dominanz resultiert aus eigenen Anstrengungen, aus eigenen Investitionen und aus geschickter Diplomatie. Im Vergleich dazu stehen sowohl die USA, als auch die sich immer mehr zu deren brotlosem Appendix entwickelnde EU sowie Russland schlecht da.

Die amerikanischen Demokraten standen bereits 2016 für die Option eines heißen Krieges mit Russland. Die damalige Kandidatin Hillary Clinton hatte immer wieder diese Notwendigkeit betont (2, 3). Da mit der Ukraine, in der ein erfolgreicher Regime Change durchgeführt wurde, ein wunderbarer Stellvertreter gefunden war, mit dem man Russland in den Waffengang locken konnte, war die Möglichkeit gegeben.

Der Keil in Europa

Nach der Abwahl von Donald Trump war es dann so weit und es dauerte nicht lange, bis der heiße Krieg entfacht war. Wunderbarerweise stand aufgrund der kausalen Abfolge Russland als Aggressor da.

Alles, was aus dem demokratischen Lager zu entnehmen ist, deutet darauf hin, den militärischen Konflikt solange am Leben zu erhalten wie möglich, um den Keil zwischen Russland und Rest-Europa so tief wie möglich zu treiben. Dabei werden Kollateralschäden in Kauf genommen, die die europäische Entwicklung auf Jahrzehnte vehement beeinträchtigen werden.

Wer da als Journalist um demokratische Mehrheiten bangt, ist exzellent gebrieft und verbreitet Nachrichten, die vom Wesen der Geschehnisse weit entfernt sind. Das eigene Handwerk beherrscht er nicht.

Quellen und Anmerkungen

(1) Welt (13.11.2022): Demokraten behalten Mehrheit im US-Senat. Verfügbar auf https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/politik_ausland_nt/article242094331/Demokraten-behalten-Mehrheit-im-US-Senat.html (abgerufen am 13.11.2022).

(2) Politico (3.3.2014): Clinton’s Ukraine and 2016 problem. Auf https://www.politico.com/story/2014/03/hillary-clinton-ukraine-2016-election-104213 (abgerufen am 13.11.2022).

(3) World Socialist Web Site (3.9.2016): Hillary Clinton fordert Militarismus und Krieg. Auf https://www.wsws.org/de/articles/2016/09/03/pers-s03.html (abgerufen am 13.11.2022).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto: János Venczák (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Wahlen in den USA und deutsche Märchen“

“Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie schon lang verboten.” Ob Demokraten oder Republikaner, beides rechtsextreme Parteien mit dem Slogan: America (USA) first! Aber: Wird es eine plurale, multipolare Welt geben, wenn die “Eliten” der USA Russland draußen halten, Deutschland unten, erst Europa ruinieren, dann sich selbst und China mit seinem Überwachungswahn überlebt?

ich möchte betonen, dass oben: “china mit seinem überwachungswahn”, eine westliche sicht ist (praktisch teil der anti-china propaganda), die überhaupt nicht versteht, was in china überhaupt genau sache ist.

dass der sog. “westen” allerdings dabei ist, sich selbst zu verschrotten, dem würde ich zustimmen, allerdings wird es “historisch” auch langsam zeit dazu.

“Wahlen in den USA und deutsche Märchen” ist der Titel von Gerhard Mersmann’s Beitrags in der “Neuen Debatte”:

… “Chinas Dominanz resultiert aus eigenen Anstrengungen, aus eigenen Investitionen und aus geschickter Diplomatie. Im Vergleich dazu stehen sowohl die USA, als auch die sich immer mehr zu deren brotlosem Appendix entwickelnde EU sowie Russland schlecht da.”,,,

Dazu meine Meinung:

Das zwanzigste ist das Jahrhundert des Scheiterns Deutschlands und Japans in der ersten Hälfte, und des Scheiterns der Sowjetunion in der zweiten. Und die USA begann im Ende des einundzwanzigsten Jahrhundert zu scheitern und werden nun historisch überholt durch China.

Welche Rollen spielen die Großmächte USA, Russland und China gegenwärtig in der Welt?

Die USA erteilen nicht nur eine freundliche Absage an ihre Freunde und Nachbarn, sie sind es, die die internationale Gemeinschaft, von der UNO bis zur WTO und zur Umweltpolitik, bewusst lähmen, Vertragsnetze zerstören, weltweit Kriege provozieren, per Regime-Change in die Souveränität anderer Staaten einbrechen.
Russland hat, von Michail Gorbatschow an aufwärts immer wieder neue Angebote gemacht, mit Europa eine Eurasische Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Lissabon aufzubauen. Selbst die USA wollte Russland darin mit einbeziehen. Statt Unruhe zu schaffen, hat Russland sich auf diese Weise, schon im Interesse seiner eigenen Rekonvaleszenz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, zu einer Kraft entwickelt, ohne die inzwischen im globalen Konfliktmanagement nichts mehr läuft. Russland wurde geradezu zum Bollwerk gegen die von den USA ausgehende Destabilisierung der globalen Ordnung.
Der Aufstieg Chinas zur größten Wirtschaftsmacht erscheint für den US-geführten Westen überraschend, ja provozierend. Doch er hat selbst zu dieser Entwicklung beigetragen, allerdings ungewollt. Die Volksrepublik hat sich nicht nur aus kolonialer, feudaler und imperialistischer Ausbeutung und Abhängigkeit weitgehend befreit, sondern gestaltet auch national und international einen nachhaltigen, alternativen Entwicklungsweg – nicht nur ökonomisch, sondern auch in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Die Volksrepublik praktiziert im Unterschied zur US-geführten westlichen Kapital-Demokratie die Globalisierung ohne militärische Begleitung und ohne wirtschaftliche Sanktionen. China, zudem in Verbindung mit einem weiten und differenzierten Netz an Kooperationspartnern auf allen Kontinenten, ist damit ein entscheidender und stabiler Faktor in der von sozialer Ungleichheit, Krisen und Kriegen durchzogenen Weltgemeinschaft.

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