Eines der Bilder, die bereits um die Welt geschickt werden, zeigt Vertreter des Westens auf dem G20-Gipfel in Bali, gekleidet im Sarong (1). Der Sarong ist dort vergleichbar mit dem hiesigen Smoking. Dass die Bidens, Trudeaus und das Maskottchen Schwab (2) so amüsiert wirken, deutet bereits darauf hin, dass sie das edle Gewebe mit einer Bauerntracht verwechseln. Aber was macht man nicht alles, um gute Stimmung zu erzeugen!

Da kleidet man sich doch mal wie die Primitiven. Hauptsache, sie sind für die wesentlichen Positionen der westlichen Allianz zu gewinnen. Dass dieses Unterfangen bis jetzt trotz zahlreicher Versuche nicht gelungen ist, ist ein großes Ärgernis. Aber neben dem Bild mit den Sarongs wird in den Qualitätsmedien bereits schwer spekuliert und auf eine Front gegen Russland und eine Isolation Chinas gehofft (3).
Warnung vor einer Spaltung der Welt
Es gehört zu den Usancen (Red. Anm.: Handelsbrauch) westlicher Vertreter, dass sie nach Asien anreisen und glauben, sich auf einen Kontinent der Geschichtsvergessenheit zuzubewegen. Folglich, so meinen sie, können sie aus tagespolitischen Erwägungen absondern, was sie momentan für richtig halten. Dazu gehört die Lobpreisung der ehemaligen britischen Verhältnisse in Hongkong, die Anmaßung in Sachen Taiwan, das Verschweigen der Massaker in Indonesien und das jahrelange Bombardement Vietnams, um nur einiges zu nennen.
Zu Letzterem gab der deutsche Bundeskanzler gerade auf seinem Vietnam-Besuch eine unglaubliche Kostprobe (4). Dass die betreffenden asiatischen Länder die Wunden von Kolonialismus und Imperialismus nicht verdrängt haben, kann jeder interessierte Besucher nach wenigen Stunden des Aufenthaltes herausfinden. Dass diese Erkenntnis die Ohren derer nicht erreicht, die sich auf einem gerechten Kreuzzug wähnen, wird täglich erneut deutlich.
Der indonesische Staatspräsident Joko Widodo, seinerseits Gastgeber des G20-Gipfels, warnte in seiner Einlassungsrede vor einer Spaltung der Welt (5).
Vor ihm saßen nicht nur die Spalter, deren Ziel es ist, die Einheit unter ihrem Interessenschild herzustellen, sondern gewichtige Staaten, die ressourcen- wie bevölkerungsreich sind, die durchaus das Zeug mitbringen, eine Idee zu revitalisieren, die bereits in Indonesien ihren Anfang nahm. Dieser Umstand wird zumindest nicht in der Öffentlichkeit thematisiert.
Auf der Konferenz von Bandung fand 1955 die erste asiatisch-afrikanische Zusammenkunft statt, die als Grundstein für die spätere Bewegung der Blockfreien gesehen werden muss (6). In ihr versammelten sich die Länder, die sich weder im Lager der Sowjetunion noch dem der USA sahen und die sich durch verstärkte Kooperation gegenseitig stützen wollten.
Auch schlichte Gemüter beim G20-Gipfel
Das Interessante an dieser Bewegung und ihrem Scheitern sind die vielen Interventionen vonseiten der USA und zunehmend den Staaten, die sich heute in der NATO versammelt haben. Sie reichen von politischen Morden, inszenierten Staatsstreichen, der Finanzierung von Terroristen wie eigenen militärischen Handlungen, um die Bewegung der Blockfreien, die sie wie den Teufel fürchteten, zu vernichten. Der wohl letzte Akt war die Zerschlagung Jugoslawiens. Klingelt da etwa eine Glocke?
Dass Widodo, seinerseits Javaner und damit einer Kultur zugehörig, die die hohe Kunst des Tiefsinns und der Diplomatie exzellent beherrscht, erneut von einer notwendigen Einheit spricht, hat nichts mit dem aus dem Westen geforderten Lagerdenken zu tun. Die dort gemeinte Einheit basiert auf Autonomie, Souveränität und freiwilligem Zusammenschluss.
Wer da glaubt, als Redenschreiber für einen Widodo oder Lula auftauchen und Erfolg verbuchen zu können, hat, um es vornehm auszudrücken, ein schlichtes Gemüt. Da helfen Avancen im Sarong nicht. Aus den ehemaligen Kolonien sind selbstbewusste Nationen geworden, die wissen, was sie wollen. Und – ein Appell, der immer gilt: Lassen Sie sich keine Märchen erzählen! Schauen Sie genau hin!
Quellen und Anmerkungen
(1) Die Gruppe der Zwanzig (Abkürzung: G20) ist ein seit 1999 bestehender informeller Zusammenschluss aus 19 Staaten und der Europäischen Union. Sie repräsentiert die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
Der Vorsitz der G20 wird von den Mitgliedsländern im Wechsel für jeweils ein Jahr übernommen. Das jeweils vorsitzende Land legt die Agenda fest und richtet das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus (G20-Gipfel), bei dem eine Abschlusserklärung (Kommuniqué) verabschiedet wird. Sowohl Zielrichtung als auch Wirksamkeit der Beschlüsse sind umstritten, da die beschlossenen Maßnahmen völkerrechtlich nicht verbindlich sind, sondern lediglich eine Selbstverpflichtung darstellen.
Der G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali (15. bis zum 16. November 2022) ist das 17. Gipfeltreffen der Regierungschefs der G20. Der indonesische Präsident Joko Widodo leitet das Treffen.
(2) Sekretariat Kabinet Republik Indonesia (13.11.2022): President Joe Biden dan Sejumlah Pemimpin Tiba di Bali Hadiri KTT (G20) – Deutsch: Präsident Joe Biden und andere Staats- und Regierungschefs treffen in Bali zum G20-Gipfel ein.
Dort: “(…) Sebelumnya, sejumlah pemimpin organisasi internasional juga tiba di Bali. Executive Chairman World Economic Forum (WEF) Klaus Schwab tiba sekitar pukul 18.56 WITA dan disambut langsung oleh Gubernur Bali I Wayan Koster.”
Sinngemäße Übersetzung: “(…) Zuvor war auch eine Reihe führender Vertreter internationaler Organisationen nach Bali gekommen. Der geschäftsführende Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums (WEF) Klaus Schwab traf gegen 18.56 Uhr ein und wurde vom Gouverneur von Bali, Wayan Koster, begrüßt.”
Artikel verfügbar auf https://setkab.go.id/presiden-joe-biden-dan-sejumlah-pemimpin-tiba-di-bali-hadiri-ktt-g20/ (abgerufen am 15.11.2022).
(3) Frankfurter Rundschau (15.11.2022): G20: Russland gerät auch beim Gipfel auf Bali unter Druck. Verfügbar auf https://www.fr.de/politik/putin-g20-gipfel-news-ticker-bali-indonesien-russland-ukraine-krieg-usa-zr-91914531.html (abgerufen am 15.11.2022).
(4) Tagesspiegel (13.11.2022): Mehr Unabhängigkeit von China. Auf https://www.tagesspiegel.de/politik/bloss-keinen-bruderkuss-olaf-scholz-station-in-vietnam-8870983.html (abgerufen am 15.11.2022).
(5) Joko Widodo (Jahrgang 1961) ist Unternehmer und Politiker der PDI-P (Partai Demokrasi Indonesia Perjuangan; Deutsch: Demokratische Partei des Kampfes Indonesiens). Er ist seit dem 20. Oktober 2014 Staatspräsident Indonesiens.
(6) In der indonesischen Stadt Bandung fand vom 18. bis zum 24. April 1955 die erste asiatisch-afrikanische Konferenz (malaiisch: Konferensi Asia-Afrika) statt. Sie wurde international bekannt unter der Bezeichnung Bandung-Konferenz. An ihr nahmen Vertreter von 29 Staaten Asiens und Afrikas teil, die zusammen etwas mehr als die Hälfte der damaligen Weltbevölkerung repräsentierten.

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Foto: Junot Adiputra (Unsplash.com) und Gerhard Mersmann
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „G20-Gipfel: Avancen im Sarong“
“Lassen Sie sich keine Märchen erzählen! Schauen Sie genau hin!” sagt Gerhard Mersmann denen, die seinen Beitrag mit dem Titel “G20-Gipfel: Avancen im Sarong” in der “Neuen Debatte” lesen wollen.
Hier meine Gedanken dazu:
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun“, zitiert Leo Tolstoi in seinem „Kalender der Weisheit“ aus der Bibel und kommentiert dazu: „Das moralische Gesetz ist offensichtlich und klar, dass es sogar für diejenigen, die es nicht kennen, keine Entschuldigung für Übertretungen gibt. Es bleibt ihnen nur eins: ihren Verstand zu leugnen, und genau das tun sie.“
Wenn der Mensch also Verstand hat, sich seiner selbst bewusst ist, so kann, darf und will er nicht anders als in seinem Tun diesem grundlegenden moralischen Gebot der Mitmenschlichkeit zu entsprechen.
Und über den Krieg an sich schreibt Tolstoi in seinem Kalender auch: „Die bewaffnete Welt und die Kriege, die sie führt, werden eines Tages zunichte gemacht, aber nicht durch die Könige oder Herrscher der Welt, denn diese profitieren vom Krieg. Der Krieg wird in dem Augenblick aufhören, in dem die Völker, die darunter leiden, wirklich verstehen, dass er schlecht ist.“ Und er zitiert in dem Zusammenhang auch den alt-chinesischen Weisen Laotse: „Die mächtigste Waffe, die wir kennen, ist die Waffe des Segens. Deswegen verlässt sich der Kluge darauf. Er gewinnt durch Frieden, nicht durch Krieg.“
Und auch die Musiker der Klaus-Renft-Combo äußern sich in ihrem Song „Wer die Rose ehrt“, woran wir Menschen uns in unserem Handeln am besten orientieren sollten:
„Wer die Rose ehrt – der ehrt heutzutage auch den Dorn – der zur Rose noch dazu gehört – noch solang man sie bedroht – einmal wirft sie ihn ab – das wird sein wenn sein wird und alle sie lieben
Wer die Liebe ehrt – der ehrt heutzutage auch den Hass – der zur Liebe noch dazu gehört – noch solang man sie bedroht – einmal wirft sie ihn ab – das wird sein – wenn sein wird und Mensch liebt den Menschen“