Kurze Erinnerung anlässlich Heines 225. Geburtstag am 13. Dezember (1).
Anmaßend und voller Hohn und Selbstgerechtigkeit verweisen alle Reaktionäre, Volksfeinde und schöngeistigen Heuchler darauf, dass Heine in seinen letzten Lebensjahren eines seiner Hauptwerke mit dem entsprechenden Vorwort “Die Geschichte der Religion und der Philosophie”, “De l’Allemagne”, seine Religionskritik und sein Demokratie- und Sozialismusbekenntnis in den “Geständnissen” vom Winter 1854 widerrufen habe. Oberflächlich gesehen scheint das auch der Fall zu sein und ließe sich auch in deftigen Zitaten beweisen, so etwa diesem:
“Um die Wahrheit zu sagen, es mochte nicht bloß der Ekel sein, was mir die Grundsätze der Gottlosen verleitete und meinen Rückfall veranlaßte. Es war hier auch eine gewisse erdliche Besorgnis im Spiel, die ich nicht überwinden konnte; ich sah nämlich, daß der Atheismus ein mehr oder minder geheimes Bündnis geschlossen mit dem schauderhaft nackten, ganz feigenblattlosen, kommunen Kommunismus.”
Und Heine befürchtete anscheinend, dass
“wir unsre ganze moderne Zivilisation, die mühselige Errungenschaft so vieler Jahrhunderte, die Furcht der edelsten Arbeiten unserer Vorgänger durch den Sieg des Kommunismus bedroht sehen”.
Liest man jedoch den ganzen Text und liest man ihn genau, so wird deutlich, dass es Heine um eine Distanzierung vom sogenannten “Salonsozialismus”, seinen “Schmeichler” und “Hoflakeien des Volkes”, die sich das Volk schön, gut und klug reden, geht. Doch Heine erkennt durchaus: Das Volk ist nicht schön, gut und klug, es ist sogar hässlich, böse und dumm. Es kann aber die ersehnten Eigenschaften erlangen, wenn die materiellen Voraussetzungen geschaffen worden sind.
“Aber diese Häßlichkeit entstand durch Schmutz und wird mit demselben schwinden, sobald wir öffentliche Bäder erbauen, wo seine Majestät das Volk sich unentgeldlich baden kann. Ein Stück Seife könnte dabei nicht schaden, und wir werden dann ein Volk sehen, das hübsch propre ist, ein Volk, das sich gewaschen hat.”
Und die Bosheit des Volkes hat auch ihren Grund, sie
“kommt vom Hunger, wir müssen sorgen, daß das souveräne Volk immer zu essen habe; sobald allerhöchst dasselbe gehörig gefüttert und gesättigt sein mag, wird es euch huldvoll und gnädig anlächeln, ganz wie die anderen”.
Dass das Volk gerne einem Barnabas zujubelt,
“diese Verkehrtheit ist die Unwissenheit; dieses Nationalübel müssen wir zu tilgen suchen durch öffentliche Schulen für das Volk, wo ihm der Unterricht auch mit den dazugehörigen Butterbrötchen und sonstigen Nahrungsmitteln unentgeltlich erteilt werde – Und wenn jeder im Volke in den Stand gesetzt ist, sich alle beliebigen Kenntnisse zu erwerben, werdet ihr bald ein intellektuelles Volk sehen”.
Was ist das anderes als humanistischer Sozialismus?
Auch die Distanzierung von der Hegelschen Philosophie und der Religionskritik ist nicht so eindeutig, wie sie sprachlich daherkommt:
“Der Deismus lebt, lebt sein lebendigstes Leben, er ist nicht tot, und am allerwenigsten hat ihn die neuste deutsche Philosophie getötet.”
Hintersinnig verweist Heine auf die Legende des Buches Daniel in der Bibel,
“die ich nicht bloß dem guten Ruge, sondern auch meinem noch viel verstockteren Freunde Marx, ja auch den Herren Feuerbach, Daumer, Bruno Bauer, Hengstenberg, und wie sie sonst alle heißen mögen, diese gottlosen Selbstgötter, zur erbaulichen Beherzigung empfehle”.
Dieses Buch Daniel beinhaltet nichts anderes als die Prophezeiung der Befreiung des Volkes von seinen Unterdrückern und den Beginn der Herrschaft der Gerechtigkeit. Auch verweist Heine auf die Schöpfergeschichte mit der Legende der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies, die die ganze hegelsche Dialektik und Philosophie schon umfasse, insbesondere in der Geschichte:
“(…) von der Schlange, der kleinen Privatdozentin, die schon sechstausend Jahre vor Hegels Geburt die ganze Hegelsche Philosophie vortrug. Dieser Blaustrumpf ohne Füße zeigte sehr scharfsinnig, wie das Absolute in der Identität von Sein und Wissen besteht, wie der Mensch zum Gotte wurde durch die Erkentnis oder, was dasselbe ist, wie Gott zum Menschen zum Bewußtsein seiner selbst gelange.”
Tatsächlich sieht sich Heine durch das Studium der Bibel sogar in seinem Atheismus bestätigt, wenn er vorträgt:
“Gott verzeih mir die Sünde, manchmal wollte es mich dünken, als sei dieser mosaische Gott nur der zurückgestrahlte Lichtglanz des Moses selbst, dem er so ähnlich in Zorn und Liebe – Es wäre eine große Sünde, es wäre ein Anthropomorphismus, wenn man eine solche Identität des Gottes mit seinem Propheten annähme – aber die Ähnlichkeit ist frappierend.”
Was aber ist das anderes als die Verkündigung der Feuerbach’schen Lehre oder der marxistischen Religionskritik der Feuerbachthesen? Anhand der Bibel verteidigt Heine auch die sozialistischen Lehren:
“Es gibt wahrhaftig keinen Sozialisten, der terroristischer wäre als unser Herr und Heiland, und bereits Moses war ein solcher Sozialist, obgleich er, als ein praktischer Mann, bestehende Gebräuche, namentlich in bezug auf das Eigentum, nur umzumodeln suchte … er suchte das Eigentum in Einklang zu bringen mit der Sittlichkeit, mit dem wahren Vernunftrecht, und solches bewirkte er durch die Einführung des Jubeljahres, wo jedes alienierte Erbgut, welches bei einem ackerbauenden Volke immer Grundbesitz war, an den ursprünglichen Eigentümer zurückfiel, gleichviel, in welcher Weise dasselbe veräußert worden war.”
Dem steht das bürgerlich codierte Eigentumsrecht gegenüber, das auf dem römischen Zivilrecht aufbaut:
“Nur ein Volk von Räubern und Kasuisten konnte die Proskription, die Verjährung, erfinden und dieselbe konsakrieren in jenem abscheulichsten Buche, welche die Bibel des Teufels genannt werden kann, im Kodex des römischen Zivilrechts, der leider noch jetzt herrschend ist.”
Damit auch jeder Leser seine “Geständnisse“, die angebliche Abkehr vom Atheismus und Sozialismus, richtig verstehe, charakterisiert er sich am Ende als der deutsche Aristophanes, der “Bruder im Apoll“. In der Bibel sieht Heine nämlich “das große Buch des Geistes, das Reich des religiösen Gefühls, der Nächstenliebe, der Reinheit und der wahren Sittlichkeit” und damit eine Ethik als Utopie mit Rechtsanspruch.
Quellen und Anmerkungen
(1) Wilma Ruth Albrecht, Harry Heine. Aachen: Shaker Verlag, 2007, S. 98-101.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
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Foto: Erich Lessing Culture and Fine Arts Archives via artsy.net (Gemeinfrei); Gemälde von Eugène Delacroix 1830, “Die Freiheit führt das Volk” (La Liberté guidant le peuple).
Wilma Ruth Albrecht (Jahrgang 1947) ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin (Dr. rer. soc.; Lic. rer. reg.) mit den Arbeitsschwerpunkten 19. und 20. Jahrhundert. Seit 2010 ist sie Autorin des Fachjournals soziologie heute. Sie veröffentlichte zahlreiche Publikationen. Ihr letztes Buch: ÜBER LEBEN. Roman des Kurzen Jahrhunderts (4 Bände, Verlag freiheitsbaum: Edition Spinoza, 2016/19).
2 Antworten auf „Trotz alledem … Zum 225. Geburtstag von Heinrich Heine“
Hier meine Gedanke zu „Trotz alledem …“:
Das Recht zu leben beinhaltet für uns Menschen, die Berechtigung uns entsprechend unserer Eigenarten bewegen zu können. Da wir so auch nur leben und überleben können, sind wir natürlich auch eben dazu verpflichtet.
“Wir wollen auf der einen Seite nicht umsonst begeistert sein und das Höchste setzen an das unnütz Vergängliche; auf der anderen Seite wollen wir auch, daß die Gegenwart ihren Wert behalte, und daß sie nicht bloß als Mittel gelte, und die Zukunft ihr Zweck sei“, meint Heinrich Heine die Verhältnismäßigkeit von Mensch- und Natursein betrachtend. „Wir fühlen uns wichtiger gestimmt, als daß wir uns nur als Mittel zu einem Zweck betrachten möchten; es will uns überhaupt bedünken, als seien Zweck und Mittel nur konventionelle Begriffe, die der Mensch in die Natur und in die Geschichte hineingrübelt“ stellt der Dichter weiter fest, denn „indem jedes Erschaffnis sich selbst bezweckt und jedes Ereignis sich selbst bedingt, und alles, wie die Welt selbst, seiner selbst Willen da ist und geschieht“, sei „das Leben weder Zweck noch Mittel; das Leben“ sei „ein Recht“, es will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit, und dieses Geltendmachen ist die Revolution.“ Und weiter meint Heine, „der elegische Indifferentismus der Historiker und Poeten soll unsere Energie nicht lähmen bei diesem Geschäfte; und Schwärmerei der Zukunftsbeglücker soll uns nicht verleiten, die Interessen der Gegenwart und das zunächst zu verfechtende Menschenrecht, das Recht zu leben, aufs Spiel zu setzen.”
„Es wogen die Wogen ihr ew’ges Gemurmel, es weht der Wind, es fliehen die Wolken, es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr wartet auf Antwort. Jeder sieht mit seinen Augen aus einem Blickwinkel, der vom eigenen Ich ausgeht. Wer also den anderen Menschen, die Wiese, den Sternenhimmel, die Wirklichkeit sieht, erkennt zwischen sich und der Welt Harmonien und Differenzen. Was ist aber dieses Ich? Ist es Körper unter kooperierenden Körpern oder Geist, Teil einer Weltseele?“
„Am Meer, am wüsten nächtigen Meer steht ein Jüngling-Mann, die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel, und mit lüsternen Lippen fragt er die Wogen: O löst mir das Rätsel, worüber schon manche Häupter gegrübelt, Häupter in Hieroglyphenmützen, Häupter in Turban und schwarzem Barett, Perückenhäupter und tausend andre arme schwitzende Menschenhäupter – Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er kommen? Wo geht er hin? Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?“
Marx, Heinrichs Freund sieht das so: Tragischer Weise handeln die Menschen bisher stets nur im Glauben, endlich den richtigen Weg gefunden zu haben, der aus dem Krieg aller gegen alle führen soll.
„Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muss.“ Das Fundament der irreligiösen Kritik sei: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Und zwar sei die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, „der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren“ habe. Aber der Mensch, sei „kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen“. Der Mensch, das sei die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. „Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d’honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund.“ Sie sei die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitze. Der Kampf gegen die Religion „ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen dieses Elend.“ Die Religion sei „der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer wertlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände“ sei. Sie sei das Opium des Volkes.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glückes des Volkes sei die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, sei die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion sei also „im Keim die Kritik des Jammertals dessen Heiligenschein die Religion ist“. Die Kritik habe „die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die Phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche“.
Die Kritik der Religion enttäusche den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. „Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.“ Es sei also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden sei, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es sei zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte stehe „nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels wandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“(Marx/Engels – Ausgewählte Schriften Dietz Verlag Berlin 1970)