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Von Herrschern, Professoren, Huren und Ballerinas

Mit den Grundrechten, so hatten es bereits die Göttinger Sieben verstanden, die 1837 gegen die Aufhebung der liberalen Verfassung im Königreich Hannover protestierten, verhält es sich wie mit der Unschuld: Man kann sie nicht ein bisschen verlieren. Entweder das Volk hat Rechte oder das Volk hat sie nicht. So einfach ist das.

Als Ernst August I., seinerseits Brite, 1837 König von Hannover wurde, gehörte es zu seinen ersten Amtshandlungen, das relativ freiheitliche Staatsgrundgesetz außer Kraft zu setzen. Von so etwas wie Grundrechten und Partizipation hielt er nichts, interpretierte er doch Herrschaft als etwas von Gottes Gnaden.

Daraufhin wagten es insgesamt sieben Professoren der Universität Göttingen, sich mit einem Protestschreiben gegen diesen Akt zu wenden.

Das Schreiben landete zunächst nur in der Universitätsverwaltung und wurde sorglichst unter Verschluss gehalten. Aber irgendwie gab es doch eine Kopie, die von Studenten, die von dem Schreiben begeistert waren, handschriftlich kopiert wurde und so zu einer Vervielfältigung von nahezu tausend Exemplaren geführt hatte. Schnell wurde von den Göttinger Sieben gesprochen, die es gewagt hatten, gegen den Willkürakt des neuen Monarchen zu protestieren.

Die Göttinger Sieben. Lithografie nach einer Zeichnung von Carl Rohde. (Foto: gemeinfrei)
Die Göttinger Sieben; Lithografie nach einer Zeichnung von Carl Rohde 1837/1838. Oben: Wilhelm und Jacob Grimm. Mitte: Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahlmann und Georg Gottfried Gervinus. Unten: Wilhelm Eduard Weber und Heinrich Georg August Ewald.

Dieser war so verärgert, dass er die sieben Professoren aus dem universitären Dienst entließ und einige von ihnen sogar des Landes verwies. Letztere wiederum wurden an der hessischen Landesgrenze von jubelnden Studenten empfangen. Ernst August I. begründete seine Handlung naturgemäß nicht, sah sich aber dennoch gezwungen, sich zu äußern. Mit der Bemerkung, Professoren, Huren und Balletttänzerinnen könne man überall kaufen, war der Fall allerdings für ihn erledigt.

Die Professoren, der Angsttaler, die Revolution

Wie es so ist, wenn in Zeiten monolithischer Herrschaft Menschen bereit sind, ein Zeichen zu setzen, obwohl sie wissen, dass sie dafür einen hohen Preis bezahlen müssen, so blieb die Wirkung der Göttinger Sieben nicht aus.

Für die hat übrigens ein gewisser Günter Grass eine Skulptur entworfen, die heute auf einem zentralen Platz in Göttingen steht, der zur Versammlung wie zur Kontemplation (1) einlädt. Zudem sind sie vor dem niedersächsischen Landtag in Hannover beeindruckend verewigt. Die Zeit war reif für Erneuerung und für die ersten zarten Schritte zu einer bürgerlichen Gesellschaft. Es sollte bis zum magischen wie tragischen Jahr 1848 noch etwas dauern. Doch das Feld für die Einsicht in Verfassung und Grundrechte war bestellt.

Und es war so gut bestellt, dass selbst der in die göttliche Herrschaft verliebte Brite und König von Hannover ein Zugeständnis nach dem anderen machen musste, um seine Herrschaft vorerst zu sichern. Es begann mit dem im Volksmund so treffend genannten Angsttaler, der 1848 eingeführt wurde und auf dem nicht mehr das V.G.G., sprich “von Gottes Gnaden” zu lesen war.

So einfach ist das …

Im Zuge des Sturzes von Louis-Philippe in Frankreich im selben Jahr schwappte die Bewegung auch nach Hannover über und eine immer selbstbewusster auftretende Bürgerschaft nötigte dem in die Defensive geratenen Monarchen immer mehr Zugeständnisse ab. Eine Revolution, wie sie wieder einmal in Frankreich zu beobachten war, fand allerdings nicht statt.

Mit den Rechten, so hatten es bereits die Göttinger Sieben begriffen, verhielt und verhält es sich so wie mit der Unschuld. Man kann sie nicht ein bisschen verlieren. Entweder das Volk hat sie oder es hat sie nicht. So einfach ist das und so unendlich oft belegbar ist diese Erkenntnis, die im Zeitalter der manipulativen Rhetorik und der doppelmoralischen Relativierung immer wieder versucht wird zu verbergen.

Und was die Käuflichkeit von bestimmten Berufsgruppen angeht, da hatte Ernst August I. wohl Recht. In jeder Krise beweist es sich erneut. Allerdings wird es letztendlich brenzlig für die Herrschaft, wenn sich gerade aus diesem Lager auch der Protest erhebt. Deshalb treiben es die mentalen Despoten so derb mit Wissenschaft und Künsten, wenn sie sich der Willkür widersetzen.

Quellen und Anmerkungen

(1) Kontemplation ist (vor allem in philosophischen und religiösen Texten) die Bezeichnung für ein konzentriertes Betrachten. Dabei geht es insbesondere um die Betrachtung eines geistigen, ungegenständlichen Objekts, in das man sich vertieft, um darüber Erkenntnis zu gewinnen.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto und Lithografie: Humphrey Muleba (Unsplash.com) und Carl Rohde (gemeinfrei)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Von Herrschern, Professoren, Huren und Ballerinas“

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