Jetzt hatten wir es wieder. Ein Bückling und ein Kniefall nach dem anderen. Mal real, mal figurativ. Wer sich die Frage stellt, wie eine selbstbewusste Politik aussieht, sollte in diesen Zeiten konsequent wegschauen.
Fragwürdige Begründung
Neulich traf ich wieder einen von denen, die ihr ganzes Leben lang für eine andere, aus ihrer Sicht bessere Gesellschaft gekämpft haben und nun – im fortgeschrittenen Alter – auf die Knie sinken, um sich das schüttere Haupt von denen streicheln zu lassen, die sie für lange Zeit als jene Vertreter der Interessen ausgemacht hatten, die für die widrigen Umstände verantwortlich zeichneten.
Ein Krieg von russischer Seite, den USA und NATO über Jahre vorbereitet hatten, dient ihnen nun in den Chor der imperialistischen Claqueure mit einzufallen und von einem Völkerrecht zu schwadronieren, das gerade ihre neuen Patrone immer nur dann geachtet hatten, wenn es in den eigenen Kram passte.
Die unzähligen Putsche, Kriege, Bombardements und Sabotageakte, gegen die eine heute seniorisiete und dekadente Linke in vergangenen Zeiten protestiert, demonstriert und gekämpft hatte, sind vergessen – und bei der Wiederholung dieser Akte der Aggression ist man ganz vorne dabei. Mit der fragwürdigen Begründung der Rettung des Völkerrechts.
Kann es sein, dass Worte und Bilder im Halse stecken bleiben? Jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, wenn man sich die mittlerweile staatlich subventionierten Hetztiraden von Leuten anhört, die sich mal Kommunisten nannten und jetzt, vom Staat und von kriminellen Oligarchen gefördert, in Funk und Fernsehen alle Menschen, die für den Frieden plädieren, bestenfalls als Volltrottel oder als fünfte Kolonne der gegnerischen Kriegspartei diffamieren.
Oder wenn sich Abgeordnete vor den schlimmsten Schergen einer autoritären Staatsdoktrin, deren Revers noch von den Überresten enormer Korruption bekleckert ist, auf die Knie werfen, um die Lebensleistung zu preisen. Oder wenn die woken Damen im Pelzmäntelchen ihre Verkommenheit vor den Banderolen glitzernder Monopole grinsend zur Schau stellen.
Vor dem Ende der Geschichte
Das Beruhigende, auch wenn es im Ruin endet, ist die Prognose, dass dieser Krieg verloren ist. Alle Spekulationen über die Vernichtung des Gegners basieren auf einer Illusion, die fleißig in die Köpfe gehämmert wurde und die zu sitzen scheint.
Hört man sich um, so frieren tatsächlich Menschen, die es sich leisten könnten, trotzdem bereits freiwillig für den Endsieg. Diejenigen, die appellieren, das zu tun, machen das sicher nicht und diejenigen, die frieren, obwohl sie es nicht wollen, haben im Moment keine Stimme, die den Unmut und den Willen zur Veränderung zum Ausdruck bringt. Diejenigen, deren Stunde jetzt schlagen würde, haben die Seite gewechselt. Auch wenn sie es nicht merken, ihr Kapitel in den Geschichtsbüchern ist bereits zugeschlagen. An dem, was noch kommen wird, werden sie nicht mehr beteiligt sein. Weil sie keiner mehr will. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Wer nicht mehr kämpft, auch.
Und wer von diesen Menschen tatsächlich glaubt, sein Seelenheil durch die Hinwendung zu Onkel Sam in dieser Kontroverse retten zu können, denen sei gesagt, dass sie damit wiederum falschliegen. Denn bei der amerikanischen Administration verhält es sich so wie mit Dostojewskis Großinquisitor aus den Brüdern Karamasow: Er glaubt selbst nicht an Gott (1). Und so ist es mit Donald Trump wie Joe Biden; beide glauben nicht an die amerikanische Demokratie. Dieselben Oligarchen. Anti-Amerikanismus? Ja, dort, bei denen, die den Krieg um Weltherrschaft reklamieren.
Quellen und Anmerkungen
(1) “Die Brüder Karamasow” ist der letzte Roman des russischen Schriftstellers Fjodor M. Dostojewski. Er wurde in den Jahren 1878–1880 geschrieben.

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Foto: Maico Amorim (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.