Die Autobiografien von Musikern sind so eine Sache. Zumeist sind sie konzipiert, um die eigenen Anhänger in ihrer Mythenwelt zu bestärken. Dennoch war mein Interesse bei Klaus Doldingers Selbstbetrachtung geweckt. Unter dem Titel “Klaus Doldinger. Made in Germany. Mein Leben für die Musik” hat der mittlerweile 87-Jährige sein Leben Revue passieren lassen. Viele Gründe sprechen für die Lektüre.
Mein persönlicher Zugang beseht aus einer Erinnerung aus den 1970er-Jahren. Ich erlebte Doldingers Passport in der Provinz in einer Gaststätte gegenüber einer Kaserne für Panzergrenadiere. Die Hütte war brechend voll. Derartige Musik hatte ich noch nie gehört und die Soldaten, die die Mehrheit des Publikums stellten, waren derart aus dem Häuschen, dass die Band bis weit nach Mitternacht Zugaben geben musste, weil sonst alles zu Bruch gegangen wäre.
Es spricht für den in Berlin geborenen, in Wien und auf dem bayrischen Land als Kind gelebten und in Düsseldorf erwachsen gewordenen Musiker, dass er sich in der Darstellung nicht so sehr in den Mittelpunkt stellt, obwohl er ausschließlich über sich und seine Umgebung erzählt. Das klingt paradox, ist es aber nicht.
Es handelt sich bei dieser Autobiografie um ein durchaus aus der Distanz betrachtetes Sittengemälde des Nachkriegsdeutschlands. Der die Kinder schlagende Patriarch, die Proteste gegen die Berufswünsche der Kinder, die nicht in etablierte bürgerliche Berufe wollten und die zeitgenössischen Vorstellungen von sozialem Zusammenleben. Auf der anderen Seite die Bereitschaft von großartigen Pädagogen zu fördern und von einer sich etablierenden Industrie Experimente im Genre der Musik zuzulassen.
Das Boot, Tatort, Passport
Und es spricht für den Autor, dass er sich nicht nur von der – typische deutschen – Jazzpolizei deutlich distanziert und es dem Publikum überlässt, seine Musik, welchem Genre auch immer (Fusion, Jazzrock etc.) zuzuordnen. Natürlich begegnet die Leserschaft auch Doldingers Zeitgenossen, mit denen er Musik machte und denen er begegnete, hießen sie Albert Mangelsdorff, Volker Kriegel oder Udo Lindenberg (1, 2).
Beeindruckend bei der Schilderung ist die Entstehung der Marke Doldinger, die nicht nur durch Platten und Bühnenauftritte zu überzeugen wusste, sondern auch in der Musik zu Werbespots auftauchte und Filme unterlegte. Das Boot, die unendliche Geschichte und das bis heute jeden Sonntag gesendete Tatort-Intro gehörten dazu.
Dass auch staatliche Subvention dabei eine Rolle spielte, ist kein Manko, sondern spricht für die Zeit. Jahrelang tingelte Doldinger mit der Band Passport durch die Welt, auf allen Kontinenten protegierte das Goethe-Institut diese Auftritte, um unter dem Label “Jazz Made In Germany” an einem neuen Image Deutschlands zu arbeiten, was auch dank dieser Band gelungen ist.
Erst Talent, dann Marke
Was außer den Einblicken in die verschiedenen Sparten von Musik, Musikindustrie, Werbung und Filmindustrie besticht, ist die Diktion eines Mannes, der mehr erreicht hat, als er sich zu Beginn seiner Karriere jemals erträumt hat und der in dem tiefen Bewusstsein lebt, dass er niemandem etwas beweisen muss. Das ist selten und gleichsam wohltuend.
Hinter ihm liegt der Weg vom Talent bis zur Marke. Und dass alle paar Seiten ein QR-Code auftaucht, mit dem man die Musik hören kann, über die gerade erzählt wird, ist doch eine höchst angenehme Zeiterscheinung.
Informationen zum Buch
Klaus Doldinger – Made in Germany
Mein Leben für die Musik
Autor: Klaus Doldinger
Co-Autor: Torsten Groß
Genre: Biografie
Sprache: Deutsch
Seiten: 320
Erscheinung: 1. September 2022 (2. Edition)
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-07124-6
Über den Autor
Klaus Doldinger (Jahrgang 1936) ist Jazzmusiker (Saxophon) und Komponist. Aus seiner Feder stammt die Titelmusik zu dem Film “Das Boot” sowie zu den TV-Serien “Tatort”, “Liebling Kreuzberg” und “Ein Fall für Zwei”. Für den Film “Die unendliche Geschichte” komponierte Doldinger ebenfalls die Musik.
Doldinger besuchte ab 1947 ein Gymnasium und lernte parallel am Robert-Schumann-Konservatorium in Düsseldorf Klavier und Klarinette. Anfang der 1950er-Jahre hatte er erste Auftritte mit der Band “The Feetwarmers” und nahm mit der Band 1955 seine erste Platten auf.
Nach dem Abitur studierte Doldinger Musikwissenschaften und Tontechnik. Nach einem musikalischen Erfolg mit seiner Version von “Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus” für eine US-Getränkefirma ging er 1960 auf seine erste Auslandstournee in die USA. Es folgten LP-Veröffentlichungen und zahlreiche Live-Auftritte.
Ende der 1960er-Jahre wandte sich Doldinger dem Rock-Jazz zu. Seine erste Band mit dieser Musik hieß Motherhood. 1971 gründete er die Band Passport, Schlagzeuger war Udo Lindenberg. Die Band hatte große Erfolge auch in den Vereinigten Staaten. Doldinger machte sich in den folgenden Jahrzehnten auch als Komponist einen Namen.
Doldinger, der über 50 Tonträger veröffentlichte und rund 2000 Stücke schrieb, spielte unter anderem in Brasilien, Asien und den USA. 2005 tourte mit Passport durch Marokko. Insgesamt stand er in seiner Karriere über 4000 Mal auf der Bühne.
Neben seiner Tätigkeit als Musiker und Komponist war er Mitglied des künstlerischen Beirates der Union Deutscher Jazzmusiker und Aufsichtsratsmitglied der GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte).
Quellen und Anmerkungen
(1) Albert Mangelsdorff (1928 bis 2005) war ein Jazzmusiker (Posaunist). Er gilt als ein innovativer und bedeutender Vertreter seines Instruments im Jazz. Mangelsdorff verlieh dem Posaunenspiel mit seiner Mehrstimmigkeit – den “Multiphonics” – neue Aspekte.
(2) Volker Kriegel (1943 bis 2003) war Jazzmusiker, Zeichner und Schriftsteller. Er gilt als einer der Protagonisten des Jazzrock in Deutschland. Kriegel war entscheidend an der Etablierung und Entwicklung dieser Stilrichtung in Europa beteiligt.

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Foto: John Matychuk (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.