Mitte der Achtzigerjahre begann mein Berufsbild schweren Schaden zu nehmen, bis es einige Jahre später schließlich ganz erodierte. Also schien ich es mir schuldig zu sein, meinen Job als leitender Redakteur einer großen Tageszeitung an den Nagel zu hängen und stattdessen als freier Autor mit eigenen Themen für meinen Lebensunterhalt zu sorgen. Was sollte schief gehen? Meine Reputation war gut, meine Beziehungen waren es auch.
Was jedoch dann passierte, war nicht vorauszusehen. Was immer ich schrieb, was immer ich den verehrten Kollegen anbot, kam postwendend zurück. Und je länger ich mir Mühe gab, desto kürzer und unflätiger wurden die Absagen.
Diese verbalen Ohrfeigen taten weh, keine Frage, aber schlimmer war, dass ich mich inzwischen drei Mieten im Rückstand befand. Wie der “Zufall” es wollte, traf ich eine alte Freundin, die beim Neuen Blatt (1) arbeitete. Sie riet mir, Kurz-Krimis und dreiseitige abgeschlossene Liebesromane für die Regenbogenpresse zu schreiben, das sei unkompliziert und lohne sich. Dreitausend für einen Liebesroman, den ich bei meinem Talent doch in weniger als zwei Stunden runter rotzen würde, wie sie sich ausdrückte. Sie nannte mir die nötigen Kontakte und schon legte ich los.
Ich fertigte etwa dreißig solcher trivialen Elaborate an, nur um feststellen zu müssen, dass auch sie in schöner Regelmäßigkeit den Weg zurück in meinen Briefkasten fanden. In meiner Verzweiflung beschloss ich, aus dieser Erfahrung einen letzten Artikel zu fertigen, den ich der ZEIT (2) anbieten wollte. Die kannten mich, die würden mich nicht hängen lassen. Hier ist, was ich ihnen voller Zuversicht ins Pressehaus schickte …
Ganz tief atmete Jutta dann durch
In einem alten “twen” fand ich das Porträt Franz Kafkas. Andy Warhol hatte sein Gesicht auf unnachahmliche Weise mit geometrischen Formen und Farben belegt und dadurch die wunderschönen Augen des Dichters derart zum Leuchten gebracht, dass ich mir das Druckwerk an die Wand heftete. Ich dachte, solange Kafkas zuversichtlicher Blick auf mir ruhte, würde ich schon die Kraft finden für das tollkühne Unternehmen, zu dem mich die Lebensumstände zwangen.
Es half nichts. Die Niederungen, in die ich mich verstieg, waren zu tief, als dass man sich noch guten Gewissens in die Augen sehen konnte. Aber der Dreck, den ich verfasste, verkaufte sich nicht. Man warf mir mangelndes Einfühlungsvermögen und journalistische Unfähigkeit vor.
Die Redakteure beklagten, dass ich den guten Ton nicht treffe. Jaja, der gute Ton. Kostprobe gefällig?
Er lächelte. Jutta lächelte zurück. Ihre Blicke hielten sich fest. Niemand von ihnen sagte ein Wort. Es war, als sprächen ihre Blicke miteinander. Ganz tief atmete Jutta dann durch und wies auf den Strauß Rosen:
“Rosen”, sagte sie leise.
“Ja”, sagte Robert.
“Rote Rosen”, sagte Jutta.
“Ja”, sagte Robert.
“Auf einmal”, sagte Jutta, und ihre Stimme klang, als schwämme sie über ein Meer aus Tränen des Glücks.
“Ja”, sagte Robert noch einmal, “weil ich so ein Narr war”.
Und Jutta verstand ihn plötzlich besser, als Robert sich selbst verstand. Hobbys hölzernes Glückspferdchen lag in ihrer Hand, und sie drückte es fest…
Aus dem abgeschlossenen Roman “Ein Zwilling sucht sich eine Mama”, TV HÖREN UND SEHEN
An den Fleischtöpfen der Mediengiganten, allen voran Springer und Bauer, herrscht ein gnadenloses Gerangel. Keiner dieser Autoren veröffentlicht unter seinem Namen. Ein wohlklingendes Pseudonym ist Vorbedingung. Besonders gern sehen es die Redakteure, wenn man sich einen weiblichen Namen zulegt. Sybille Sander, Julia Lombard, Karin Berg, Barbara von Straaten – ob Mann oder Frau, wer weiß es genau? Und Trivial-Adel verpflichtet. Hören wir Barbara von Straaten in seinem jüngsten Werk:
Was für eine wunderschöne Liebeserklärung! Carola schnurrte vor Behagen, und als er dann jenen ganz gewissen schmalen Ring aus seiner Fracktasche zauberte, auf dem ‘Meiner Maus für immer’ stand, heulte sie ein bisschen …
– aus: die aktuelle
Es ist tatsächlich zum Heulen, was Woche für Woche in Form “abgeschlossener Romane” aus den Schleimkübeln der Pressefabriken in die Köpfe von 40 Millionen (!) Bundesbürgern versenkt wird. Man schätzt, dass die Regenbogenpresse die Hälfte der Deutschen zur Brust nimmt. Und diese scheinen umso kräftiger an den Zitzen des Kitsches saugen zu wollen, je deutlicher sich die Trompeten der Apokalypse vernehmen lassen.
Der geniale Regisseur Luis Buñuel (3) hat in seinem Buch “Mein letzter Seufzer” die vier apokalyptischen Reiter genannt: die Überbevölkerung, die Wissenschaft, die Technik und die Medien, wobei er die Medien für den schlimmsten und gewalttätigsten Reiter hielt.
Während die Autoren eine ironische Distanz zu ihren Machwerken bewahren, pflegen die Herrschaften in den Redaktionen den heiligen Ernst. Selbstverständlich ist ihnen klar, dass die Storys ein einziger Beschiss sind, aber sie entschuldigen das mit dem Wunsch des Lesers nach einer heilen Welt. Man versteckt sich also hinter einem Publikum, dessen banale Wünsche man selbst kreiert.
“Ach bitte, Joachim – ich möchte endlich zum Meer!”
“Na schön”, sagte er gutmütig, “ich kann meine Zeitung ja auch da lesen.”
– aus: Das Neue Blatt
Zurück zu den Erfahrungen eines armen Schluckers, der auszog, seine Finanzen zu regeln. Bevor ich anfing zu schreiben, besorgte ich mir einige Zeitschriften aus dem Hause Bauer, schließlich wollte ich wissen, wohin der falsche Hase läuft. Die Ideen, die den abgeschlossenen Romanen zugrunde lagen, waren dürftig, da hatte ich schon andere auf Lager. Und so produzierte ich mit leichter Hand eine nette Story nach der anderen.
Sechs Wochen, nachdem ich meine erste Geschichte abgeschickt hatte, begann die Rückflut. Der Freistempel “Verlagsgruppe Bauer wünscht Ihnen einen guten Tag” fühlte sich jedes Mal wie eine Ohrfeige an.
Die Absagen ähnelten sich wie ein Ei dem anderen: “… schicken wir Ihnen das Manuskript zu unserer Entlastung zurück … ist aus konzeptionellen Gründen nicht geeignet … charmant geschrieben, aber leider … nur für jüngere Leser geeignet … ist unser Bedarf bereits gedeckt.”
In mir erwachte die Kämpfernatur. Ich studierte noch einmal die Arbeiten meiner erfolgreichen Kollegen, das musste doch zu schaffen sein:
“Ist irgendetwas passiert, Frau Euler?”
“Komm rein, mein liebes Kind. Setzt Dich erst einmal. Deine Mutter …”
“Was ist mit ihr? Wo ist sie überhaupt?”
“Ein Auto hat sie angefahren. Auf dem Zebrastreifen. Überhöhte Geschwindigkeit. Der Notarzt konnte nichts mehr für sie tun.”
Frau Erler hatte Tränen in den Augen, und Nina verstand einfach gar nichts. Sie war ein Jahr vor dem Abitur. Ihr Vater war vor Jahren gestorben und Mama war doch alles, was sie hatte.
“Wo ist sie?”, fragte sie wieder.
Frau Erler nahm sie in die Arme. “Im Himmel, da bin ich ganz sicher”, flüsterte sie, als sei sie nicht 18, sondern erst 8.
Die Zeit der Beerdigung, die Zeit danach verschwamm noch immer in einem dichten, undurchdringlichen Nebel …
Dieses Niveau war mir leider nicht möglich. In meiner Verzweiflung rief ich bei der zuständigen Redakteurin an und bat um Rat. Die fand das ganz normal, brav fand sie das. Ich zitiere aus unserem Gespräch, das ich auf Tonband festgehalten habe:
“Haben Sie meine Geschichte bekommen?”
“Die habe ich bekommen, Herr Fleck, die schicke ich Ihnen zurück. Dazu muss ich keinen Kommentar angeben.”
“Warum nicht?”
“Ich finde sie scheußlich. Vom Sprachlichen her nicht, das wissen Sie, dass mir Ihr Stil gefällt. Aber inhaltlich. Peter Frankenfeld hat mal gesagt, den Partner bescheißen, das ist das Letzte! Und da gebe ich ihm recht. Gewisse Perversitäten in der Literatur lassen sich nicht vermeiden. Aber wissen Sie, Klapse auf den Hintern, das gibt es bei mir nicht. Bei uns verletzt man sich auf gemeinere Art.”
“Was könnten Sie denn gebrauchen?”
“Ich fand das sehr schön, wie der Mensch an seinem Schreibtisch sitzt und die Körpernähe seiner Frau so angenehm findet. Ich brauch was Hübsches, aber was mit Inhalt. Und wenn was Problemhaftes, dann immer mit Auflösung. Es darf nur nicht böse enden. Was unsere Leser immer wieder verlangen, das sind Geschichten aus dem Alltag. Auch ruhig mal die Geschichte einer Trennung, aber dann muss ein Gag drin sein, wie diese Menschen wieder zusammen finden. Was mit Kindern, bitte nach Möglichkeit keine Hunde. So zeitgemäße Sachen, dass Kinder mal ausflippen, vielleicht in eine Punkergruppe geraten, aus gutem Elternhaus, und es dann irgendwie durch einen Dreh dazu kommt, dass diese Kinder wissen, das ist nichts für mich, ich möchte doch lieber in die andere Richtung.”
Andere Gespräche verliefen ähnlich, nur konnte es passieren, dass wieder Hunde anstelle von Kindern verlangt wurden. Sex, darüber waren sich alle einig, hatte beim Knie aufzuhören. Dafür durfte der Tod in allen Varianten ausgereizt werden.
Er ist ja so lebensnah. Mutter weg, Vater weg, da gab es keine Probleme. Das muss einem ja gesagt werden. Ich hätte mir einen Haufen lächerlicher Arbeit ersparen können.
Ach, wäre ich doch rechtzeitig in den Besitz eines Geheimpapiers gelangt, das der Siegel-Presse-Dienst herausgegeben hat: “VERTRAULICH” stand drüber, “Nur für exklusiv vertretene Autoren!” Da war zu lesen, was die einzelnen Blätter der Regenbogenpresse von uns Freischaffenden erwarten.
Zum Beispiel bella:
“Im Mittelpunkt steht eine 25-30-jährige junge Frau, die das Leben meistert, dabei aber durchaus keine Emanze ist. Der Roman sollte ein Happy End haben.”
Zum Beispiel NEUE REVUE:
“Ein unter die Haut und zu Herzen gehendes Schicksal. Am Schluss sollte ein Happy End stehen. Überraschungsmomente erwünscht. Romantik gefragt und richtig verstandene Erotik (kein Sex!).”
Zum Beispiel TV HÖREN UND SEHEN:
“Es ist unwichtig, in welchem Milieu der Roman spielt. Wichtig: tragisch oder komisch in jedem Fall!”
Für Kurz-Krimis rät die Agentur unter anderem: “Erst die Tat, dann der Täter!” Zum Schluss folgt ein Hinweis, den sich die Krimi-Autoren gefälligst hinter die Ohren schreiben sollten:
“Die Leser haben schon zu viele Krimis gelesen, in denen Frauen ihre reichen Männer oder Männer ihre reichen Frauen umbringen wollen. Auch Morde durch Autounfälle (angesägte Lenkung!) sollen vermieden werden!”
Ich passe. Vielleicht gibt es in der Medienstadt Hamburg für einen Versager wie mich ja doch noch den einen oder anderen Auftrag.
“An einem dieser Sonntagnachmittage las Bärbel aus Langeweile gleich drei Zeitungen von vorn bis hinten durch und wusste nicht nur, was in aller Welt vorgeht, sondern auch das, was in ihrer nächsten Umgebung geplant wurde. Was um alles in der Welt ging hier vor?”
– aus: die aktuelle
Drei Wochen später bekam ich folgende Antwort:
Lieber Herr Fleck,
wir betreiben nur sehr ungern Kollegenschelte.
Aus diesem Grunde schicken wir Ihnen den Artikel mit bestem Dank zurück.
Mit freundlichen Grüßen
DIE ZEIT – Redaktion Modernes Leben
Redaktioneller Hinweis: Das Essay von Dirk C. Fleck wurde unter der Überschrift “Meiner Maus für immer” erstmals auf Apolut.net publiziert und in aktualisierter Fassung von Neue Debatte übernommen. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Anmerkungen ergänzt.
Quellen und Anmerkungen
(1) Das Neue Blatt, eine wöchentlich erscheinende deutsche Frauenzeitschrift, erschien erstmals 1950 im Verlagshaus Die Welt GmbH. Das Verlagshaus wurde 1953 vom Verlag Axel Springer aufgekauft. Heute wird das Neue Blatt, das als Produkt zur Regenbogenpresse gerechnet werden kann und seichteste Unterhaltung im Gewand des Journalismus darbietet, von der Hamburger Bauer Media Group herausgegeben.
(2) Die Zeit ist eine überregionale deutsche Wochenzeitung (Auflage: rund 620.000 Exemplare), die jeden Donnerstag erscheint. Sie wird zu den sogenannten Leitmedien gezählt. Die Zeitung erschien erstmals am 21. Februar 1946. Der Zeitverlag und Die Zeit wurden 1996 von der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck übernommen. Seit 2009 gehört sie zu jeweils 50 Prozent zur DvH Medien und zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.
(3) Luis Buñuel Portolés (1900 bis 1983) war ein mexikanischer Filmemacher spanischer Herkunft. Er wurde gegen Ende der Stummfilmzeit als surrealistischer Regisseur bekannt. Buñuel, der in seiner Frühphase mit Salvador Dalí und der Pariser Surrealisten-Gruppe um André Breton und Meret Oppenheim zusammenarbeitete, zählt zu den bedeutendsten Filmregisseuren des 20. Jahrhunderts. 1982 erschienen unter dem Titel “Mon dernier soupir” (Mein letzter Seufzer) seine Erinnerungen, die von dem französischen Schriftsteller Jean-Claude Carrière verfasst wurden.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Shot by Cerqueira (Unsplash.com)
Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).
Eine Antwort auf „Trivial-Adel: Meiner Maus für immer“
Liest sich wie eine Warnung an alle Redakteure u.so.. ;*)
Wer aussteigt, steigt ab und ist dem Unbill der stetig aufwärts strebenden Meute ausgesetzt. Nur wer sich Unabhängigkeit leisten kann (finanziell) kann sich dem entziehen. ..Noch!
Gerade in einer Gesellschaft, die ihre “Werte” plakativ vor sich her trägt, wie Schilde, findet sich hinter diesen Schilden doch ein üppiger Moloch dialektischer Äquivalente die gelebt werden wollen und oft zur Nachahmung freigegeben sind.
Z.B. disziplinierendes, gut erkennbares, Nachtreten ist durchaus erwünscht (meist im informellen Rahmen). Hält es doch die Reihen geschlossen, fördert den Corps-geist und man empfiehlt sich den Herrschaften.