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Nachtfahrten

Es ist aktuell wieder einmal deutlich geworden, dass die viel gepriesene und von allen Agenturen beschworene Pax Americana global gesehen als eine durch keinerlei Unterbrechung verunstaltete Kriegsarchitektur daherkommt.

Wenn es ein jüngeres Musikalbum gibt, das aufgrund von Stimmung wie Thematik zu jedem dieser Tage passt, dann sind es Michael Wollnys Nachtfahrten. Da werden Sphären eingefangen, die im fahlen Licht ewiger Nacht aufscheinen und die Trauer, die das Dasein prägt, in verschiedenen Varianten aufbieten. Meine Bitte: Hören Sie sich diese großartige Musik an, und Sie wissen, was ich meine.

Mit ihr im Ohr wird vieles von dem, was viele von uns nur noch als Wahnsinn deklarieren können, zumindest deutlicher, wenn auch nicht verständlich.

Um das Thema, um das es geht, anzusprechen. Es ist aktuell wieder einmal deutlich geworden, dass die viel gepriesene und von allen Agenturen beschworene Pax Americana global gesehen als eine durch keinerlei Unterbrechung verunstaltete Kriegsarchitektur daherkommt.

Nicht, dass eine andere, von einem einzelnen Staat gestaltete Architektur besser daherkäme! Imperien gestalten die Welt nach ihren Interessen und nach nichts sonst. Das war historisch bei allen Reichen so, und das ist beim US-amerikanischen Jahrhundert nicht anders. Die Frage, wie viel Liberalität sich ein Imperium gegenüber den eingegliederten Staaten erlauben kann, hängt von seiner strategischen Stärke ab. Und das, was sich derzeit zeigt, deutet auf eine zunehmende Schwächung hin.

Da ist es dann schnell aus mit der Liberalität, da wird die bedingungslose Gefolgschaft eingefordert. Und das auch gegen die vermeintlich eigenen Interessen. Auch das war immer so und ist keine typisch amerikanische Erscheinung.

Imperien funktionieren, wie Imperien eben funktionieren. Nur sollte man das, wenn man schon einmal zu den assoziierten Staaten gehört, niemals aus den Augen verlieren. Sonst endet es böse. Und vieles spricht momentan dafür, dass es böse enden wird. Weil das alte Europa, vor allem sein westlicher Teil, lange Zeit dachte, man käme auch ohne ein eigenes Bündnis aus. Unter den Fittichen des Imperiums ließ sich gut wirtschaften. Und viele dachten, die Blüte des Imperiums währte ewig.

Letzteres war neben dem eigenen strategischen Müßiggang die große Illusion, aus der nun viele erwachen. Das Imperium ist schwer angeschlagen und es bereitet alles vor, um in der mythisch belegten letzten Schlacht die eigene alte, glorreiche Welt wieder herzustellen.

Das wird nicht gelingen, dazu sind zu viele Dinge auf diesem Globus passiert und längst haben sich neue Kräfte formiert. Ihnen ist eigen, dass sie weder strategisch überdehnt sind noch auf die guten Ratschläge ihrer ehemaligen Beherrscher angewiesen sind.

Wer immer wieder darauf pocht, es handele sich bei dem Desaster in der Ukraine um einen lokalen Konflikt, soll sich bitte nicht nur die Weltkarte ansehen, sondern auch die politischen Bekundungen der Staaten, die nicht dem Imperium zuzurechnen sind. Es handelt sich dabei um 90 Prozent der Weltbevölkerung, und wer der Rhetorik der hiesigen Politik folgt, müsste glauben, das Imperium repräsentiere die Mehrheit in der Welt. Provinzieller kann die Sicht nicht sein.

Kann das alte Europa dem Schicksal, dass das Ende der Pax Americana mit sich bringen wird, noch entrinnen? So, wie es zurzeit aussieht, wohl nicht. Das Junktim von EU und NATO steht, und dieses Junktim war es auch, das den Beginn des Ukraine-Konflikts ausmachte und das Ende dieses Staates zur Folge haben wird.

Beteiligt an diesem Konstrukt waren nicht nur die direkten Vertreter des Imperiums, sondern auch Deutsche, egal welcher Partei. Über diese historische Dimension möchte ich nicht mehr nachdenken. Da sind mir die Nachtfahrten lieber.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto: Kayti Coonjohn (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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