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Gang On The Run: Die Höllenangst der Reichen

Es gibt eine kleine Schicht, die man als Superreiche bezeichnet. Nach dem Vorbild von Elon Musk, der den Mars besiedeln will, oder Peter Thiel, der den Alterungsprozess umkehren will, oder Sam Altman und Ray Kurzweil, die Supercomputer mit ihrem Verstand ausstatten wollen, bereiteten sie sich auf eine digitale Zukunft vor. Für sie geht es aber im Grunde nur um eins: zu entkommen.

Douglas Rushkoff, ist ein US-amerikanischer Autor, Dozent, Kolumnist und Musiker. Er hat zahlreiche Fachbücher und Romane zu Themen der Netzkultur, Open Source und zur Cyberpunk-Bewegung geschrieben. Rushkoff war auch als Berater für die United Nations Commission on World Culture und die Sony Corporation tätig. Unter den Reichen dieser Welt findet sein Wort Gehör. Aber wer sind diese Reichen? Hören wir, was er vor Kurzem unter ihnen erlebt hat:

Im vergangenen Jahr erhielt ich eine Einladung auf ein Super-Luxus-Anwesen, um vor, wie ich dachte, gut hundert Investmentbanker/innen einen Vortrag zu halten. Es war das mit Abstand höchste Honorar, das man mir je für eine Rede geboten hatte, – etwa die Hälfte meines Jahresgehalts als Professor.

Nach meinem Eintreffen führte man mich in einen sogenannten Green Room. Doch statt mich mit einem Mikrofon zu verkabeln oder auf eine Bühne zu führen, saß ich bloß an einem runden Tisch, und man brachte mein Publikum zu mir: fünf superreiche Burschen, – ja, alles Männer – aus der Oberliga der Hedgefonds-Welt.

Nach etwas Small Talk merkte ich, dass sie sich nicht für die Informationen über die Zukunft der Technologie interessierten, die ich vorbereitet hatte. Sie waren mit eigenen Fragen gekommen.

Sie fingen ganz harmlos an. Ethereum oder Bitcoin? Sind Quantenprozessoren etwas Reales? Langsam, aber sicher tasteten sie sich zu den Themen vor, die sie wirklich interessierten. Welche Region wird von der kommenden Klimakrise weniger betroffen sein: Neuseeland oder Alaska? Baut Google tatsächlich eine Bleibe für Ray Kurzweils Gehirn, und wird sein Bewusstsein den Übergang durchleben oder wird es sterben und als ein völlig Neues wiedergeboren werden?

Schließlich erzählte der CEO einer Börsenmaklerfirma, dass er sich ein unterirdisches Bunkersystem baue, das bald fertig sei, und er fragte: “Wie behalte ich nach dem Ereignis die Autorität über meine Sicherheitskräfte?”

Das Ereignis. Das war ihre beschönigende Bezeichnung für den Umweltkollaps, für soziale Unruhen, eine Atombombendetonation, unaufhaltsame Viren oder einen Hackerangriff auf ihre Systeme.

Diese Frage beschäftigte sie die ganze nächste Stunde. Ihnen war klar, dass sie bewaffnete Wachleute brauchen würden, die ihre Anwesen vor dem wütenden Mob schützten. Aber wie sollten sie diese Wachen bezahlen, wenn Geld wertlos war? Was würde die Wachleute davon abhalten, ihre eigenen Anführer zu wählen?

Meine Milliardäre überlegten, die Nahrungsvorräte mit speziellen Schlössern zu sichern, deren Zahlenkombination nur sie kannten. Oder die Wachen als Gegenleistung für ihr Überleben mit irgendeiner Art von disziplinierendem Halsband auszustatten. Oder Roboter zu bauen, die als Wächterinnen und Arbeiterinnen dienten, – falls sich diese Technologie rechtzeitig entwickeln ließe.

Spätestens jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: diese Herren waren auf der Flucht!

Nach dem Vorbild von Elon Musk, der den Mars besiedeln will, oder Peter Thiel, der den Alterungsprozess umkehren will, oder Sam Altman und Ray Kurzweil, die Supercomputer mit ihrem Verstand ausstatten wollen, bereiteten sie sich auf eine digitale Zukunft vor, die weitaus weniger damit zu tun hatte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen als vielmehr damit, das menschliche Dasein hinter sich zu lassen und sich gegen die sehr reale und gegenwärtige Gefahr durch Klimawandel, steigenden Meeresspiegel, Massenmigration, globale Pandemien, nativistische Panik und erschöpfte Ressourcen abzuschirmen. Für sie geht es bei der Zukunft der Technologie im Grunde nur um eins: zu entkommen.

Als die Hedgefonds-Manager mich nach der effektivsten Möglichkeit fragten, wie man nach dem Ereignis die Autorität über ihre Sicherheitskräfte behalten könne, antwortete ich ihnen, am besten wäre es, sie würden diese Leute schon jetzt gut behandeln.

Sie sollten mit ihren Sicherheitskräften umgehen, als gehörten sie zu ihrer eigenen Familie. Und je stärker sie dieses Ethos der Inklusivität auf ihre übrigen Geschäftspraktiken, auf ihr Versorgungskettenmanagement, ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen und die Verteilung des Wohlstands ausweiten könnten, umso geringer werde die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis überhaupt eintrete. All diese technologische Hexerei ließe sich schon jetzt für weniger romantische, aber durchweg kollektivere Interessen einsetzen.

Mein Optimismus amüsierte sie, aber sie kauften ihn mir nicht ab. Sie waren nicht daran interessiert, eine Katastrophe zu verhindern, denn sie waren überzeugt, dass wir dafür schon zu weit fortgeschritten sind. Trotz all ihres Reichtums und ihrer Macht glauben sie nicht, dass sie Einfluss auf die Zukunft nehmen können. Sie akzeptieren einfach die finstersten Szenarien und setzen dann alles, was sie an Geld und Technologie zum Einsatz bringen können, dafür ein, sich dagegen abzuschirmen, – besonders wenn sie keinen Platz in einer Rakete zum Mars ergattern können.

Sie waren nicht daran interessiert, eine Katastrophe zu verhindern, denn sie waren überzeugt, dass wir dafür schon zu weit fortgeschritten sind. Dies scheint in der Tat das Bewusstsein jener zu sein, die an den Zuständen, die die Menschheit zu konfrontieren hat, maßgeblich Schuld tragen.

Ihre krampfhaften Bemühungen, dem angerichteten Desaster zu entkommen, sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.

Zum ersten Mal stoßen diese Kreaturen an die Grenze ihrer Macht, an die Grenzen des Geldes, um genauer zu sein. Und da sie in ihrem kranken Gewinnstreben zu seelenlosen Krüppeln verkommen sind, die keinerlei Verbindung und keinerlei Urvertrauen mehr herzustellen vermögen, macht ihnen der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit eine Höllenangst.

Redaktioneller Hinweis: Das Essay von Dirk C. Fleck wurde unter der Überschrift “On the Run: Die Höllenangst der Reichen” erstmals auf Apolut.net publiziert und in aktualisierter Fassung von Neue Debatte übernommen. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Anmerkungen ergänzt.

Quellen und Anmerkungen

(1) Douglas Rushkoff (Jahrgang 1961) ist Kolumnist, Autor, Dozent für Medientheorie an der New York University und Dokumentarfilmer (Generation Like, The Persuaders und Merchants of Cool). Er beschäftigt sich mit Frage zur Autonomie des Menschen im digitalen Zeitalter. Rushkoff verfasste zahlreiche Romane und Fachbücher, die sich inhaltlich mit Netzkultur, Open Source und der Cyberpunk-Bewegung auseinandersetzen.

2022 veröffentlichte er “Survival of the richest: escape fantasies of the tech billionaires”. Das Werk ist eine Zusammenfassung eines Dialogs mit fünf anonymen Milliardären. Gesprochen wird über die Klimaveränderungen, die sich abzeichnenden sozialen Krisen und den Selbstschutz der Superreichen. Im Ergebnis kritisiert Rushkoff nicht nur die bei einigen vorherrschende Technikgläubigkeit, sondern kommt zu dem Schluss, das kein einziger von ihnen ein Interesse daran hat, die zu erwartenden Verwerfungen zu verhindern. Homepage: https://rushkoff.com

Foto: Cristofer Maximilian (Unsplash.com)

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

Von Dirk C. Fleck

Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

Eine Antwort auf „Gang On The Run: Die Höllenangst der Reichen“

“Gang On The Run: Die Höllenangst der Reichen” – Beitragsautor von Dirk C. Fleck

“Es gibt eine kleine Schicht, die man als Superreiche bezeichnet. Nach dem Vorbild von Elon Musk, der den Mars besiedeln will, oder Peter Thiel, der den Alterungsprozess umkehren will, oder Sam Altman und Ray Kurzweil, die Supercomputer mit ihrem Verstand ausstatten wollen, bereiteten sie sich auf eine digitale Zukunft vor. Für sie geht es aber im Grunde nur um eins: zu entkommen. …”

Hier meine Gedanken dafür:

Die weltweit agierende Finanzoligarchie ist letztlich ihr eigener Totengräber.

Ob dieser Kampf im Bewahren der Wirklichkeit oder in deren Beenden mündet, hängt im wesentlichen davon ab, wie weit sich dabei das menschliche Selbstbewusstsein entwickeln kann, so dass es Konfrontation in konstruktives Miteinander wandelt, Nützlichkeit statt Profitmaximierung als Triebkraft erkennt und verantwortungsbewusste Eigentümer zu gewinnbringendem Wettbewerb motiviert.
Das Problem von uns Menschen, den Weg in eine bessere Zukunft zu finden, liegt darin, dass wir zu ständigem handeln und zu ständig veränderndem wirken existenziell gezwungen sind, aber oft lediglich spontan agierend und dabei vermutend, aber in wachsendem Maße auch zielorientiert gestaltend und dennoch nur näherungsweise wissend sind, ob unser handeln der gewollten Richtung entspricht. Gleichgültig ob sich die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft evolutionär behäbig oder sprunghaft revolutionär vollzieht, sie ist immer dann fortschrittlich wenn sich jeder Einzelne im Rahmen der gegebenen Lebensverhältnisse als selbstbewusst konkrete Persönlichkeit emanzipieren kann und wenn sich eben diese Verhältnisse in Richtung einer Gesellschaft bewegen, in der durch eigenwilliges Wirken der Einzelnen das dauerhafte Bewahren des Mensch-Seins ermöglicht wird.
Wir Menschen können uns entscheiden, ob wir bewahrend oder beendend wirken und entsprechend dieser grundlegenden Orientierung unser Leben sinnvoll oder sinnlos gestalten wollen. Durch unser menschliches Selbstbewusstsein sind wir in der Lage unser eigenes Ich einer umfassenderen Bestimmung zuzuordnen und daraus sinnvolles Handeln für uns selbst herzuleiten.

“Die Marktwirtschaft kennt keine Ethik”, sagte Mitte der neunziger Jahre der deutsche Politiker Otto Graf Lambsdorff in einem Interview, in dem es um die Rolle der Wirtschaft zur Lösung sozialer Fragen ging. Er wollte damit wohl deutlich machen, dass Menschen, die in ihren Unternehmungen gezwungenermaßen die Nützlichkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen der Profitmaximierung unterordnen müssen.

“Mit der Entwicklung der großen Industrie wird unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“(Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, I. Marx/Engels, MEW 4, S. 474, 1848 )

„Vom Gold zum Eisen oder vom Stein zu Plaste“ nannte der Historiker Helmut Wolle ein Kapitel in seinen kulturgeschichtlichen Miniaturen und er beschreibt darin, wie sich der Verlauf der Menschheitsgeschichte besonders auch im bearbeiten von Rohstoffen aus der Natur zum nützlichen Gebrauch ereignete: „In der Antike war die Vorstellung von aufeinanderfolgenden Zeitaltern, die nach Metallen bezeichnet wurden, sehr verbreitet. „Am Anfang war das goldene Zeitalter. Alle lebten wie Götter ganz ohne Betrübnis. Die Feldfrüchte wuchsen von selbst, die Herden vermehrten sich.“ Dem sei das silberne Weltalter gefolgt, in dem „Streit und Hader“ begannen. Darauf sei das eherne (bronzene) gefolgt. „Damals war alles aus Bronze: Waffen, Ackergerät, sogar die Häuser.“ Schließlich habe ein eisernes Volk gelebt, weder am Tag noch in der Nacht habe es Ruhe gefunden vor Arbeitslast und Leid. (Helmut Wolle –„Götter, Mumien und Hetären“ – Volk und Wissen Verlag Berlin 1983)

Nun sind wir vom goldenen im eisernen Zeitalter angekommen beziehungsweise, wie es Helmut Wolle sieht, von der Stein- in der Plaste-Zeit, aber wie geht’s nun weiter?

Also wir leben immer noch im eisernen Zeitalter, wie es in der Antike benannt wurde, in einer Zeit, in der der Mehrwert heckende Mehrwert das Sagen der Machthaber in der Welt bestimmt wird. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich nahezu weltweit, anderes ausschließend und verdrängend und scheinbar alternativlos die kapitalistische Wirtschaftsweise durchgesetzt. Unsere Welt wird immer deutlicher von der allgemeinen Krise des Kapitalismus geprägt. Akut äußert sie sich indem sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Ukrainekrise, die Griechenlandkrise, die Flüchtlingskrise, die Terrorkrise, die Syrienkrise und so weiter.

Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen und die Bestien im Haifischbecken werden immer bösartiger. Aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte endet immer mit Zerstörung und Krieg.

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