Kategorien
Fundstück

Fundstück: Medialer Bellizismus

Gerade einmal acht Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Moralismus zum Schlüssel einer neuen Politik militärischer Präsenz.

Zwar ist das Ende des Zweiten Weltkrieges fast siebzig Jahre her, aber wohl kaum ein Volk hat ihn so in der mentalen Präsenz wie die Deutschen. So zumindest glaubten die meisten.

Von innen wie außen aus betrachtet haben die Deutschen seit dem Desaster, das der Faschismus mit seinen kriegerischen Exzessen auf fremden Territorien und den terroristischen Orgien im eigenen Land begangen hatte, eine nahezu psycho-pathologische Beziehung zur Politik schlechthin.

Das schlechte Gewissen wie die noch vorhandenen Traumata haben dafür gesorgt, dass sich in diesem Land eine Friedensbewegung herausgebildet hatte, die vor allem in den heißen Phasen des Kalten Krieges zum Ausdruck brachte, dass zumindest hier niemand eine durchschaubare und vordergründige Kriegstreiberei würde betreiben können.

Kriegserfahrungen, Exil und diese psychische Disposition der Deutschen im Rücken führten auch zu der einzigartigen Friedensarchitektur eines Willy Brandt, der es verstand, Behutsamkeit in waffenklirrenden Zeiten zu kultivieren.

Es bedurfte gerade einmal acht Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, als ausgerechnet ein grüner Außenminister während der Bürgerkriege auf dem Balkan der deutschen Friedensbewegung den Todesstoß versetzte: Mithilfe von Marketingagenturen wurden vermeintliche und tatsächliche Kriegsverbrechen propagandistisch so aufbereitet, dass die Positionen der Nichteinmischung und Neutralität sowie der Weg von Verhandlungen und politischen Sanktionen durch das Momentum der moralischen Verpflichtung ersetzt wurde.

Der Moralismus ersetzte die in Jahrzehnten wieder erworbene Politikfähigkeit in den internationalen Beziehungen und wurde der Schlüssel zu einer neuen Politik militärischer Präsenz.

Seit dem Balkankrieg ist die Bundeswehr wieder weltweit unterwegs und es ist bereits ein geflügeltes Wort, dass die deutsche Freiheit auch am Hindukusch verteidigt werden muss. Dass sich eine ökonomische und damit auch politische Macht wie die Bundesrepublik nicht aus den Wirrungen und Kalamitäten der Weltpolitik heraushalten kann, wie sie das lange unter dem Schutzschild der USA durfte, ist die eine Seite der Medaille. Die andere besteht aber wohl in der Frage, wie die Grundlagen für eine bellizistische Intervention politisch definiert werden. Das ist bis heute nicht der Fall und somit haben wir es mit einem Roulette zu tun. Um genauer zu sein: dem Anlass entsprechend mit einem russischen Roulette.

Die Bundesregierung ist gut beraten, ihre gegenwärtigen Aktivitäten eher im Verborgenen vonstattengehen zu lassen, denn eine deeskalierende Strategie sei ihr unterstellt. Was in öffentlich-rechtlichen Medien dagegen gegenwärtig geschieht, ist eine Form der bellizistischen Mobilmachung, die in der Geschichte dieses Landes seit den Nazis nicht mehr stattgefunden hat. Die – und das ist die Kritik an der Friedensbewegung wie an der ökologisch durchtränkten Demokratietheorie – moralistische Begründung von Politik hat dazu beigetragen, die alten Aggressionspotenziale erneut zu mobilisieren.

Für das Gute holt der Deutsche die Sense heraus, heißt es, da ist er der berüchtigte Meister aus Deutschland. Nur stelle man sich da bloß keinen Sensenmann vor oder eine Schlägertype in Nazi-Uniform. Heut erschienen junge Frauen im besten Alter in ansprechender Garderobe und propagieren unverblümt die Aggression. “Haben wir die Krim schon aufgegeben?” (Maybrit Illner), “Geben wir die Krim schon auf?” (Anne Will) oder wir bekommen in einer Didaktik für IQ-Downer von Marietta Slomka die Welt erklärt, natürlich mit der conclusio, dass Truppen auf die Krim müssen. (2)

So kompliziert die Lage sein mag, so archaisch der russische Präsident mit dem Gestus der militärischen Stärke auch spielen mag, können und wollen wir uns eine öffentlich-rechtliche Propaganda-Abteilung leisten, die derart verkommen unsere Geschichte negiert?

– Märt 2014

Quellen und Anmerkungen

(1) Bellizismus steht für Kriegsverherrlichung und bezeichnet eine ideologische Befürwortung des Krieges und die Neigung, internationale Konflikte grundsätzlich durch militärische Gewalt zu lösen. Der Begriff, der sich vom lateinischen Wort bellum (Krieg) beziehungsweise bellicosus (den Krieg betreffend) und bellicus (zum Krieg gehörig) herleitet, steht auch für das dogmatische Befürworten militärischer Handlungen, Kriegstreiberei und Militarismus sowie für eine übersteigerte kriegerische Gesinnung. Er wird auch im Sinn von Kriegstreiberei und Militarismus gebraucht. Sein ideologisches Gegenstück findet sich im Pazifismus, einer Weltanschauung, die jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und außerdem den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert.

(2) Conclusio ist der lateinische Ausdruck für “Schlussfolgerung”.


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto: Levi Meir Clancy (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Wie ist Deine Meinung zum Thema?

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.