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Das Aufstehen steht noch aus!

Wer nicht mehr beißen und nagen muss, verliert mit der Zeit die Zähne.

Es vergeht tatsächlich kein Tag, an dem ich nicht Zeuge zumindest einer Aussage werde, dass das alles nicht mehr so weiter gehen könne und man sich frage, wann der große Knall kommt.

Gemeint sind die politischen Verhältnisse, in denen wir leben. Ob es um den Umgang mit den demokratischen Grundrechten geht, dem Krieg in der Ukraine, die Positionierung der öffentlich-rechtlichen wie der großen etablierten Medien, die wirtschaftliche Entwicklung, den Verlauf von Entwicklungsprojekten oder das Agieren staatlicher Behörden. Was vermisst wird, ist Toleranz und Pragmatismus.

Sollte man eine Überschrift für das Handeln in den beschriebenen Bereichen finden, so müsste sie sich auf die Praxis derer, die in der Verantwortung sind, konzentrieren.

Keine Harmonie

Das Rätselraten großer Teile der Bevölkerung, und zwar nicht verschwindend kleiner Sozialmilieus, sondern der Mehrheit, bezieht sich auf die Frage, ob es sich um eine kollektive Überforderung oder eine kollektive Verblendung handelt. Oder beides; changierend. Denn das, was dort geschieht, harmoniert seit Langem nicht mehr mit den Interessen der Bevölkerung.

Und wenn man nachfragt, ob es ein Datum gäbe, an dem man festmachen könne, wann sich alles in eine Richtung entwickelt hätte, das nur noch durch einen “großen Knall” aufgelöst werden könne, dann wird immer das Auftauchen des Corona-Virus und der unverhältnismäßige Umgang der Regierung mit diesem Phänomen genannt. Das Aussetzen unveräußerlicher Rechte, ohne dass sich die Bevölkerung massiv dagegen zur Wehr gesetzt hätte, hat anscheinend zu einem Gefühl geführt, alles Repressive machen zu können, das vorher als Tabu galt.

Insofern handelt es sich bei diesem Datum nicht nur um das eines verantwortungslosen Aktes seitens der Regierung, sondern auch um das Versagen dessen, was bei anderen Gelegenheiten die über den Klee gelobte Zivilgesellschaft ist. Sie hat zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht stattgefunden.

Der neue Totalitarismus

Die Gründe sind zahlreich. Der wesentliche wird sein, dass als ein Ergebnis eines langen Prozesses der Befriedung Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften den demokratischen Geist aufgegeben haben und zu willfährigen Instrumenten der herrschenden Verhältnisse geworden sind. Wer nicht mehr beißen und nagen muss, verliert mit der Zeit die Zähne.

Die Geschwindigkeit, mit der die Gesellschaft in eine autoritäre Veranstaltung abgeglitten ist, in der es eine sanktionierte Meinung gibt und zum Halali auf jede andere Form der Betrachtung geblasen wird, ist atemberaubend. Und es handelt sich um nichts anderes als eine neue Form des Totalitarismus.

Die Definition ist sehr einfach: Wenn du nicht der herrschenden Meinung bist, dann bist du entweder irre oder du dienst dem Feind. Was erklärt, warum gleichzeitig zum Aussetzen der essenziellen Grundrechte fieberhaft an Feindbildern gearbeitet worden ist. Auch da war man erfolgreich. Denn tatsächlich sind sie bei jeder Gelegenheit parat. Es handelt sich entweder um die Kategorien geistiger Verwirrung oder um den Wechsel ins feindliche Lager.

Aufstehen oder kollektiv versagen

Wenn es nicht zu einem großen Knall kommt, das heißt, wenn dieser Tendenz nicht Einhalt geboten wird, dann ist es keine so abseitige Prognose, dass wir uns nicht über weitere Fragen der Zukunft werden unterhalten müssen. Zumindest nicht hier in Europa. Dann mögen Nachkommen ihre Schlüsse aus einem großen kollektiven Versagen ziehen.

Es wird deutlich, dass es dann mit einem einzigen Sündenbock nicht getan sein wird. Jeder Mensch, das ist vielleicht eine wesentliche Einsicht unserer Zivilisation, ist verantwortlich für das, was er tut, und für das, was er nicht tut. Das Aufstehen steht noch aus!


Verkehrsschild für UFOs. (Foto: Michael Herren, Unsplash.com)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!

Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.

Foto: Andrew Wulf (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

5 Antworten auf „Das Aufstehen steht noch aus!“

nun, noch leben wir “westlichen” doch ganz gut unter dem, das ich “pax amerika” nenne, obwohl es im gebälk dieser pax immer stärker kracht, weshalb die elite immer rigoroser gegensteuert. am horizont kommt ganz klar sturm auf, und da werden die segel und takelagen auf unserem bisher gemütlichen schiffchen halt immer stärker festgezurrt und angebrasst, die meinungen immer stärker marginalisiert und dabei nivelliert, usw, damit wir wenigstens halb bewusstlos in den sturm hineinfahren. ist genau wie früher, wo auf den alten seglern schnaps ausgegeben würde, ehe es “klar schiff zum gefecht” hieß, und sehr bald die heut noch geltende pax amerikana ins kataklysmische endfecht geht – also nichts neues unter der sonne, denn genauso lief es immer, ohne dass jemals aus der abgelaufenen geschichte wirklich -gelernt- worden wäre. so what?, und sollte es heute 3/4 der menschheit das leben kosten, es gibt eh weit mehr menschen, als die elite für ihre zwecke benötigt.

„Die Marktwirtschaft kennt keine Ethik”,
sagte Mitte der neunziger Jahre der deutsche Politiker Otto Graf Lambsdorff in einem Interview, in dem es um die Rolle der Wirtschaft zur Lösung sozialer Fragen ging. Er wollte damit wohl deutlich machen, dass Menschen, die in ihren Unternehmungen gezwungenermaßen die Nützlichkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen der Profitmaximierung unterordnen müssen.

Karl Marx sagte:
“Mit der Entwicklung der großen Industrie wird unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“(Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, I. Marx/Engels, MEW 4, S. 474, 1848 )

Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber,
der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann wie bis dahin und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen. Dazu scheint es nun zu kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen. Der Wille aufzubegehren entsteht per se. Gegenwärtig ist die kapitalistische Wirtschaftsweise schon im Verfall, aber noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt, und die Machthaber agieren mit einem umfangreichen Potenzial von Machtinstrumenten. Damit die notwendigen Veränderungen letztendlich von den Unterdrückten erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es darum wichtig, dass es Vorstellungen gibt, wie denn was verbessert werden muss und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen erreicht werden können.

ich denke, das systemchen kann nicht “verändert/reformiert” werden, es müsste stattdessen ein komplett neues geschrieben werden, und das wie immer in der geschichte, mit tränen und blut.
bei den zb deutschen sehe ich bis heute zudem nichtmal ansatzweise bewegung, das aktuelle system abzusetzen, zumal geht das von DE her garnicht, da die systemeliten mittlerweile international und weltweit organisiert sind, und wir uns hierzuland viel eher in die pax amerikana noch weiter “einkuscheln” werden (gut zu beobachten, statt auf änderungen zu sinnen, erst recht weiter milit. hochrüsten usw = weiterschlafen-wollen, statt aufzuwachen.

Wer nicht mehr beißen KANN … oder sollte wirklich beißen MUSS gemeint sein?
Nach Hannah Arendt hat es vielleicht auch etwas mit Gehorsam zu tun? Die außerhalb der Friedensbewegung und der neu entstandenen Demokratiebewegung wissen nicht, dass Demokratie auch Verantwortung übernehmen heißt. Ist Beißen- oder Kämpfen müssen wirklich erforderlich? Reicht es nicht, nur seinen Teil – nach dem individuellen Vermögen – zu übernehmen, zum Erhalt, wenn mehr geht, zur Weiterentwicklung der Demokratie?

Aufstehen …

Auf die Gefahr hin, mich bei Ihnen, in diesem Blog, im Netz & überhaupt unbeliebt zu machen, spendiere ich Ihnen zwei Links (2018): http://www.trend.infopartisan.net/trd0918/t260918.html – eine marxistische Kurzkritik an Wagenknechts Wirtschaftspolitik des “reaktionären Bourgeoissozialismus” & eine linksalternative Kurzkritik am populistischen “Aufstehen”-Aufruf: http://www.trend.infopartisan.net/trd0918/t350918.html

Aus Gründen möchte ich auf das neuste Projekt dieser öffentlichen Ikone & Chiffre nicht öffentlich eingehen. Sondern nur eine tabuierte Dimension ansprechen: Wer von Rüstungsprofiten nicht reden will soll zum Friedenskampf schweigen.

Das war´s schon. That´s all. Eso es todo. C´est tout.

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