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Fundstück

Fundstück: Höllendiplomatie

Es wäre einmal wieder angebracht, auf jenen berühmten Satz aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte zu verweisen, in dem es heißt, in der Geschichte geschehe vieles zweimal: einmal als Tragödie und einmal als Farce. – 14. März 2014

Es wäre einmal wieder angebracht, auf jenen berühmten Satz aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte zu verweisen, in dem es heißt, in der Geschichte geschehe vieles zweimal: einmal als Tragödie und einmal als Farce. (1)

Diesen Eindruck muss man auch diesmal gewinnen angesichts des außenpolitischen Debüts der neuen Bundesregierung. Genauer gesagt: Diesmal ist es ein sozialdemokratischer Außenminister, der in den Verwicklungen um das bebende Staatswesen der Ukraine eine Figur abgibt, die alles andere als vorbildlich ist und die nur im Kontext der tragischen Vorfälle aus der Schröder-Fischer-Administration Ende der Neunzigerjahre erklärbar ist.

In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine vorsichtige, die Komplexität der Prozesse berücksichtigende Diplomatie, sondern um intendierte Destabilisierung internationaler Beziehungen.

Es war noch der liberale Außenminister Genscher, der auf dem Balkan das Schleifen des damaligen Jugoslawien mit eingeleitet hatte, in dem er die Bundesrepublik Deutschland in die erste Reihe der Staaten trieb, die Slowenien als autonomen Staat anerkannten. Was folgte, war ein Herausbröckeln aller aus der Union, bis die folgende Regierung Schröder-Fischer eine neue Dimension in die Politik einführte, nämlich die der Moralisierung.

Mithilfe von Marketingagenturen wurde die Bevölkerung der Bundesrepublik aus humanitären Gründen zu einer Akzeptanz militärischer Interventionen getrieben, der Kosovo aus Serbien herausgelöst und Belgrad bombardiert. Die Verselbstständigung des Kosovo, der bis zum heutigen Tage wie ein Syndikat aus Waffenhändlern und Drogendealern daherkommt, wird seitdem mit Milliarden aus der EU am Leben gehalten. Dass bei der Abspaltung des Kosovo von Serbien das Völkerrecht keine Rolle gespielt hat und ob die Politik der Kosovaren jemals in den vermeintlich politischen Mainstream der EU passte, wurde nie erörtert.

Umso sicherer war man sich jetzt im Falle der Ukraine. Das mit Steinmeiers Hilfe ausgehandelte Übergangskonzept für neue politische Verhältnisse mit einer demokratischen Legitimation hielt nicht einmal 24 Stunden, bevor die Oligarchin und Gaskönigin Timoschenko einen Statthalter etablierte, der durch nichts legitimiert, aber vom deutschen Außenminister stante pede anerkannt wurde.

Dass dieser Esel des Schicksals sofort in das Horn blies, bei den Unruhen auf der Krim werde das Völkerrecht mit Füßen getreten, schreckte den deutschen Außenminister wie die gesamte europäische Entourage nicht ab, einmütig die gleiche Weise zu intonieren.

Dass die Insel Krim und der eisfreie Schwarzmeerhafen Sewastopol seit jenen Tagen russisch war, als die USA gegründet wurden und erst an die Ukraine überging, als Nikita Chruschtschow, seinerseits Ukrainer, der Ukraine die Insel schenkte, aber eigentlich alles beim Alten blieb, weil man in der UdSSR assoziiert blieb, scheint die Völkerrechtsexperten aufseiten der EU nicht sonderlich zu beeindrucken. Man entscheidet sich für die Tradition, es entweder zu ignorieren oder zu verdrehen.

Noch sind die Sätze der neuen Verteidigungsministerin wie des neuen Außenministers nicht verhallt, Deutschland müsse seiner wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend international auch mehr politische und notfalls auch militärische Verantwortung übernehmen. Das könnte ein Schritt sein, aus einer bis heute ohne Friedensvertrag und völkerrechtlicher Anerkennung dahin dümpelnden wirtschaftlichen Großmacht einen erwachsenen Staat zu machen, der für Stabilität und Frieden auf der Welt eintritt.

Angesichts der völlig entrückten Auftritte um das politische Geschehen in der Ukraine verleitet diese Absichtserklärung jedoch zu Schreckensvisionen. Selber ohne völkerrechtliche Anerkennung, die Verletzung derselben in zwei Fällen, beim Balkan und der Ukraine; wie soll auf einem solchen Boden etwas Fruchtbares wachsen?

– 14. März 2014

Quellen und Anmerkungen

(1) Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte ist eine im Mai 1852 veröffentlichte Schrift von Karl Marx (1818 bis 1883). Marx analysiert darin den Verlauf des von Louis Napoleon (1808 bis 1873) in Frankreich durchführten Staatsstreichs vom 2. Dezember 1851. Die Schrift ist verfügbar auf https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm (abgerufen am 4.3.2023).


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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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