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Rezension

Robert Harris: Königsmörder

Immer dann, wenn sich der britische Romanautor Robert Harris mit historischen Stoffen befasst, geht es um alles. So auch in seinem neuen Roman, der den schnörkellosen Titel “Königsmörder” trägt.

Immer dann, wenn sich Robert Harris mit historischen Stoffen befasst, geht es um alles. Das, was allgemein als Universalthemen bezeichnet wird, findet Eingang in das jeweilige erzählerische Werk. Es geht um nichts weniger als Macht, Betrug, Liebe, Hass, Furcht, Ranküne, Verletzlichkeit, Krieg, Gewalt. So auch in seinem neuen Roman, der den schnörkellosen Titel “Königsmörder” trägt.

Die historische Folie bildet die Restaurationsphase in England nach dem Niedergang der Revolutionsbewegung eines Oliver Cromwell (1) und dem von König Karl II. erlassenen Generalpardon. Bis auf eine Ausnahme: All jene, die noch leben und durch ihre Abzeichnung des Todesurteils für die Hinrichtung seines Vaters Karl I. Verantwortung tragen und dingfest gemacht werden können.

Ihnen droht weitere Verfolgung und eine bis ins unappetitliche Detail beschriebene Hinrichtung nach allen Regeln einer bestialischen Despotie.

Auf der Flucht

Die eigentliche Geschichte befasst sich mit zwei ehemaligen Offizieren Oliver Cromwells, die das Todesurteil mit unterschrieben hatten und nun auf der Flucht vor den Häschern des neuen Königs sind. Es verschlägt sie in die Neue Welt, das heißt, nach Neu-England, wo sie Unterschlupf suchen und bei den Puritanern, die Cromwells Revolte unterstützt hatten, auch erhalten.

Robert Harris: Königsmörder (Quelle: Gerhard Mersmann/YouTube)

Wie immer gelingt es Robert Harris, eine an Spannung nicht zu überbietende Geschichte zu erzählen, die als Aktionsstränge beide Seiten gleichberechtigt beinhaltet. Hier der Weg der Flüchtenden, dort die Aktionen der Verfolger, dort die provinzielle und andererseits noch wild existierende Welt jenseits des Ozeans, hier das restaurierte, satte und etwas dekadente London. Das 17. Jahrhundert breitet sich in seiner zivilisatorischen Vielschichtigkeit aus. Und es zeigt sich, dass die Vorstellung, es auf der einen Seite mit dem lupenreinen Fortschritt zu tun zu haben und andererseits mit einer homogen archaischen Restauration ein naiver Glaube ist.

Verbohrtheit, Indoktrination und Zweifel

So erlebt die Leserschaft muffige, reaktionäre Milieus, die gegen den neuen König agieren, und sie sieht englische Akteure, denen Ranküne fremd ist und die mit einem wohltuenden Pragmatismus in die Zukunft blicken.

Wie gesagt, das trifft auf Milieus, aber nicht auf die Protagonisten zu. Die sind – bis auf die Abnutzungserscheinungen, die Jahrzehnte in einer menschlichen Biografie ausmachen – ihrer ideologischen Weltsicht verhaftet bis zum Schluss. Gäbe es da nicht eine Ausnahme, nämlich die eines der beiden auf der Flucht befindlichen Offiziere, der nach Jahren beginnt, seine Erinnerungen aufzuschreiben und dem die eigene Verbohrtheit und Indoktrination zunehmend Zweifel auftischt.

Dass die beiden Flüchtlinge nicht gefasst werden, der eine durch seinen natürlichen Tod entkommt und der andere Zeuge der immerwährende Liebe wird, die ihn beschützt und der obsessive Häscher vor seinen Augen sein Ende findet, ist ein Konstrukt des Erzählers und historisch nicht belegt. Wie die Geschichte tatsächlich ausging, ist bis heute offen.

Aufstieg eines Denunzianten

Robert Harris wäre nicht der geschätzte Erzähler und Enthüller, wenn nicht auch in diesem Roman Figuren aufträten, die verdeutlichen, wie zynisch die Geschichte selbst zuweilen agiert.

Da werden einstige Cromwell-Rebellen in Amsterdam vom englischen Geheimdienst hochgenommen, nachdem ein dort lebender englischer Landsmann, der die Seiten gewechselt hat, seine einstigen Mitstreiter denunziert hat. Sie werden verhaftet, nach London verfrachtet und dort mit den erwähnten brachialen Methoden hingerichtet. Der Denunziant machte dann noch beträchtlich Karriere. Der Mann hieß George Downing. In der nach diesem Denunzianten benannten Straße residiert bis heute der britische Ministerpräsident.

Fazit: Ein typischer Harris. Spannend, zum Denken anregend und trotz der historischen Ferne stets aktuell.

Informationen zum Buch

Königsmörder

Autor: Robert Harris

Originaltitel: Act of Oblivion (Verlag: Hutchinson Heinemann)

Übersetzung aus dem Englischen: Wolfgang Müller

Genre: Roman

Sprache: Deutsch

Seiten: 544

Erscheinung: November 2022

Verlag: Heyne

ISBN: 978-3-453-27371-9

Über den Autor

Robert Harris (Jahrgang 1957) ist Journalist, Kolumnist der Sunday Times und Romanautor. Er studierte an der Universität Cambridge englische Literatur und war als BBC-Reporter, politischer Redakteur (The Observer) und als Kolumnist (Daily Telegraph) tätig. In seinen Romanen, deren Grundlage in der Regel historische Ereignisse sind, vermischen sich Fiktion und Wirklichkeit.

“Fatherland” (deutsch: Vaterland), der erste Roman von Harris, der in einem Nazi-Deutschland spielt, das den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hat und Europa dominiert, wurde 1992 veröffentlicht. Aber erst 1994 wurde der Roman vom Heyne Verlag (München) als Taschenbuch veröffentlicht, weil sich in Deutschland zunächst kein Verlag fand, der eine Übersetzung herausgeben wollte. Im gleichen Jahr wurden in Hamburg englischsprachige Ausgaben von “Fatherland” beschlagnahmt, weil auf dem Buchcover ein Hakenkreuz erkennbar war.

Der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ein Bestseller. Etwa sechs Millionen Exemplare sollen verkauft worden sein. Der Stoff wurde 1994 in den USA verfilmt. Rutger Hauer (1944 bis 2019) spielte die Hauptrolle.

Quellen und Anmerkungen

(1) Oliver Cromwell (1599 bis 1658) war Armeeführer im Bürgerkrieg des Parlaments gegen König Karl I. (1600 bis 1649) und während der republikanischen Periode der englischen Geschichte Lordprotektor von England, Schottland und Irland. Cromwell gehörte im November 1641 zu den Initiatoren der sogenannten “Großen Remonstranz”, einer Beschwerdeschrift des Unterhauses, in der die Verfehlungen der Regierung Karls I. aufgelistet waren.

Karl I. versuchte, England im Sinne des Absolutismus ohne Parlament zu regieren. Dies löste den englischen Bürgerkrieg (1642 bis 1649) aus, der mit der Hinrichtung Karls und der zeitweiligen Abschaffung der Monarchie sein Ende fand. Unter anderem hatte Cromwell darauf Einfluss, dass Karl I. wegen Hochverrats angeklagt wurde. Ein Todesurteil wurde verhängt und Karl I. am 30. Januar 1649 in London enthauptet. Kurz danach erklärte das Unterhaus England zur Republik, die von Cromwell bis zu seinem Tod als Lordprotektor regiert wurde.

1660 wurde Karl II. die Königswürde verliehen und die Monarchie wieder hergestellt (Restauration). Etwas später, Anfang 1661, wurde die Leiche von Oliver Cromwell exhumiert. Am 30. Januar, dem zwölften Jahrestag der Hinrichtung König Karls I., wurde der Leichnam Cromwells symbolisch als Königsmörder hingerichtet.

San Francisco 2018. (Foto: Cristofer Maximilian, Unsplash.com)

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Foto und Video: Rohan Gupta (Unsplash.com) und Gerhard Mersmann

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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