Neulich sah ich mir den 1938 von Marcel Carné gedrehten Film “Hafen im Nebel” an und dachte so bei mir: In zwanzig Jahren, spätestens in dreißig, wird niemand mehr Jean Gabin kennen – ausgenommen ein paar Filmbesessene in Europa, Amerika oder Asien. Ein neuer Menschenschlag mit postmoderner Seele und neuen Formen der Wahrnehmung, für den Jean Gabin eine Figur aus einer nicht nachzuvollziehenden Vergangenheit ist, wird den alten Homo sapiens abgelöst haben.
Als Schülerin fesselte mich der (tendenziöse) Schulstoff im Fach Geschichte. Aber ich empfand damals Figuren wie Liebknecht, Luxemburg oder Rathenau als ebenso fern, fremd und scheinbar bedeutungslos und ohne Einfluss auf die Gegenwart, wie es den Schülern von morgen mit dem Schulstoff zu Willy Brandt, Erich Honecker oder Ulrike Meinhof gehen wird oder vielleicht auch schon heute geht.
Die höchste Kunst eines Menschen scheint darin zu bestehen, dass er im Laufe seines Lebens lernt, sich selbst zu relativieren und ins Verhältnis zu setzen zu den Generationen vor seiner Geburt und nach seinem Tod. Erst dann wird aus mäßig spannendem Lehrstoff für den Verstand so etwas wie ein Gefühl für die Zeitläufte, in die man ohne eigenes Zutun geraten ist.
Manch Jugendlicher bekommt einen Zipfel der Geschichtsdecke durch Identifikation mit einem historischen Helden oder einer großen Persönlichkeit zu fassen. Bei manch anderem führt die reine Quantität des angelesenen Wissens zu einem Umschlag in eine neue Qualität der Zeitgenossenschaft. Im günstigsten Fall erspürt man Zeitgeister und die soziale Psyche der Altvorderen und erkennt, dass die Gegenwart nicht das Maß aller Dinge ist und Geschichte nicht notwendig als eine Entwicklung vom Niederen zum Höheren zu verstehen ist.
Jenseits von scheinobjektiver analogischer und chronologischer Methode des Verstehens von Gewesenem hat man dann die Freiheit gewonnen, die vergangene Zeit aus sich selbst heraus zu verstehen, als Prozess, dessen Ergebnisse durchaus hätten anders ausfallen können, als sie es sind.
Dilthey, Spengler und die Wissenssoziologen waren auf dem Gebiet des “Schauens” der Geschichte sehr verdienstvoll, und ihre Werke sind auch heute noch Goldgruben des Geistes. (Ganz nebenbei drängt sich bei ihrer Lektüre der Eindruck auf, dass Deutschlands intellektuelle Hochzeit vor circa einhundert Jahren gewesen sein könnte).
Die Protagonisten der Vergangenheit erscheinen uns nah und auf Augenhöhe. Unzerstörbare Brücken verbinden das Gestern mit dem Heute. Nichts von dem, was unsere Vorfahren an Furchtbarerem erleben mussten, ist heute ein für alle Mal überwunden, – egal wie viele “Nie wieder”-Rufe durchs Land schallen. Wir sind weder klüger als sie, noch konnten wir aus ihren Erlebnissen und Erfahrungen etwas lernen. Aber wenigstens ist das Gewordensein des Jetzt begreifbar. Und das ist nicht wenig und hilft, die jeweilige gegenwärtige Lage zu erkennen und geistig ein paar Meter in die Zukunft zu verlängern, also Prognosen zu wagen.
Aber was, wenn das geistig-kulturelle Erbe von den nachwachsenden Generationen in toto ausgeschlagen wird? Wenn es als Schulstoff so verkürzt vermittelt wird, dass die Heranwachsenden den Eindruck bekommen, ihre Vergangenheit sei von sonderbaren Menschen bevölkert gewesen, über die man in der fortschrittlichen Gegenwart nur den Kopf schütteln könne?
Was, wenn die Technik zum konkurrenzlosen Mittelpunkt des Lebens jedes einzelnen Menschen geworden ist und die analoge Welt der Vergangenheit uninteressant und bedeutungslos, um nicht zu sagen kurios erscheint? Wird die analoge Zeit nur als Vorgeschichte betrachtet werden, die – nun endlich – in eine auf Ewigkeit angelegte glückliche Gegenwart mündet?
Nur unheilbare Bildungsbürger werden dann noch als Relikte einer grauen Vorzeit zwischen ihren Holzmöbeln aus Großmutters Zeiten umherwandeln und hie und da ein angejahrtes Lieblingsbuch zücken, um Klang, Geometrie und Geruch noch einmal in sich aufzunehmen und sich am süßen Nektar vergangener geistiger Paradiese zu laben.
Als Inkarnation des kollektiven Gedächtnisses könnten Bücher aber auch schon verboten sein und – wie in Ray Bradburys Dystopie “Fahrenheit 451” – das Lesen eine verheimlichungsbedürftige subversive Tat. Wie schnell und unerwartet ein Umschwung hin zu radikalen Einschränkung der Persönlichkeitsrechte erfolgen kann, haben wir im Zuge des politischen Grippemanagements gesehen.
Aber schauen wir genauer hin und versuchen wir jenseits unserer Nostalgie und Trauer über die anstehenden Verluste das Unwiederbringliche unserer sterbenden Kultur zu taxieren, was dem Neuen Menschen – oder auch dem letzten Menschen – fehlen wird oder zumindest fehlen könnte, wenn er Jean Gabin, Rainer Maria Rilke, Sergej Rachmaninow und Max Beckmann nicht kennenlernt.
Kulturpsychologisch und -philosophisch an dieses Thema herangehend, mache ich aus einer Frage zwei: Was geschieht mit einem Menschen, der von seinen historischen und kulturellen Wurzeln abgeschnitten ist, – sei es aus freiem Willen, sei es aufgrund der Logik gesellschaftlicher Prozesse, in deren Verlauf der ganze Zug von der Lokomotive abgekoppelt und auf ausrangierten Gleisen sich selbst überlassen wird? Die Lok jagt nun mit doppelter Geschwindigkeit durch Wald und Flur, überwindet Flüsse und steigt in den Himmel empor.
Kaspar Hauser, Peter Schlemihl und Kafkas Affe (1) führen vor, was ein einzelner ohne Vergangenheit ist vor dem Hintergrund einer intakten traditionellen menschlichen Gemeinschaft.
Er wird sich bis zu seinem Lebensende als defizitär empfinden. Weder Camouflage noch Anverwandlung können aus ihm einen “Menschen wie du und ich” machen. Er wird immer ein Außenseiter bleiben: befremdlich, skurril, unheimlich. Als einzelner wird er unglücklich sein. Aber das gesellschaftlich-kulturelle Hinterland steht und wird durch einen geringen Prozentsatz von Außenseitern nicht gefährdet.
Aber was geschieht – und hier bin ich bei Frage zwei – wenn die Proportionen umgekehrt sind und einer kulturvergessenen Mehrheit eine kleine Schar Verwurzelter entgegensteht? Wenn ein bereits in Gang gesetzter gesellschaftlicher Prozess unkorrigiert weiterläuft? Wenn das materielle und geistige Erbe flächendeckend innerhalb historisch kurzer Zeit durch eine neue Technologie, hier: durch das digitale Lebensprinzip, ersetzt wird? Augmented reality, Metaverse, artificial intelligence, cyberspace, Transhumanismus, Great Reset, smart city, digital identity, um nur die Kerntermini dieses Prozesses zu nennen.
Sicherlich ist man noch einige Jahrzehnte davon entfernt, die ganze Menschheit in Cyborgs verwandeln zu können. Aber die Tendenz ist deutlich sichtbar, und bevor wir kritiklos alles annehmen, was es an lebenserleichternden und gesundheitsfördernden Mitteln gibt und geben wird – ein scheinbar harmloser Schritt nach dem anderen, ein kleiner “Pieks” nach dem anderen –, sollten wir uns darüber im Klaren werden, was auf dem Spiel steht, bis zu welchem Grad der Digitalisierung wir mitgehen wollen und wo unsere persönliche Schmerzgrenze liegt.
Und was wir tun können, wenn wir uns dem Gesamtprozess verweigern und entziehen wollen, was spätestens mit der Einführung der Sozialpunktescores im Zusammenhang mit einer digitalen Identität für viele Menschen unausweichlich sein wird. Aber wir sollten realistischerweise davon ausgehen, dass die meisten “Aussteiger” nicht jünger als fünfzig Jahre alt sein werden.
Parallel zur laufenden Durchdigitalisierung von Lebens- und Arbeitswelt verläuft der Prozess des Bildungs- und Kulturverlustes, zumindest was das Abendland betrifft.
Traditionen, Herkunft, Sitten und Gebräuche, ethnische Bindungen, kulturelle Anhaftungen, die christliche Religion und die Nationalsprachen sind für das Europa mittelfristig verloren. Sie fielen – was die alte Bundesrepublik betrifft – der amerikanischen Umerziehung zum Opfer und seit einigen Jahrzehnten in den westeuropäischen Ländern der Überfremdung durch außereuropäische, anpassungsverweigernde Migranten. Den Rest gab und gibt ihnen die globale Digitalisierung, die eine völlig neue Kultur der menschlichen Beziehungen und des sozialen Verhaltens nach sich zieht und den Individualismus mit Narzissmus verbindet.
Auch das Verhältnis zu Ort und Zeit verändert sich im Zuge des digitalen Globalismus. So stirbt beispielsweise die Lange-Weile aus. Man ist nicht mehr, und wenn man es so will, niemals mehr auf sich selbst zurückgeworfen. Und ein Mensch, der es gewohnt ist, seine Bedürfnisse immer und auf der Stelle befriedigen zu können, ist auch nicht mehr imstande, in Untätigkeit zu verharren und in einem Wartestand zu verweilen. Statt seine Umgebung wahrzunehmen, vielleicht sogar zu beobachten, eine kurze Auszeit zu genießen und seinen Gedanken nachzuhängen, tut der zur Passivität Verurteilte alles, um seine unruhige Seele abzulenken. Den universellen Zeitvertreiber trägt ja inzwischen ein jeder immer bei sich.
Die künstliche Intelligenz greift das historische Individuum noch von einer anderen Seite her an: Der menschliche Körper wird technisch “optimiert”, das heißt aufgerüstet. Traditionen, Sitten und Gebräuche haben in dieser “second world” einfach keinen Platz mehr. Sie sind überholt und können lediglich noch als Attraktion für Touristen und in ethnologischen Museen reüssieren, – also als Simulation und Kitsch.
Bestimmte Kulturtechniken werden nicht mehr gebraucht, weil die ihr zugrunde liegende Kultur verschwindet. In der neuen Servicekultur erledigt man zur Organisierung des Alltags nur noch wenige praktische Tätigkeiten selbst – mit dem Ergebnis, dass Fähigkeiten und Kompetenzen, das trefflich so bezeichnete “Know-how”, verschwinden und die Abhängigkeit vom digital-Technischen kein Zurück zum menschlichen Maß mehr zulässt. Fällt der Strom aus, weiß auch der Mann, der Laien-Handwerker aus analogen Zeiten, sich nicht zu behelfen: Er ist unbeholfen.
Diese Gleichzeitigkeit von Bildungs- und Kulturverlust einerseits und Durchdigitalisierung von Lebens- und Arbeitswelt andererseits ist beileibe nicht zufällig, sondern das Ergebnis einer sich selbst verstärkenden Wechselwirkung. Bereits das unkritische Unterstützen jeder digitaltechnischen Neuheit durch Politik, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft ist ein Ausdruck dieses Verfalles.
Einst gab es in diesen Bereichen Debatten, Streitgespräche, Grundsatzreflexionen. Heute sind es nur noch einige versprengte Intellektuelle, die mit essenziell-existenziellen Überlegungen an die Öffentlichkeit treten – und auch das mittlerweile fast nur noch in den freien Medien. Und nur Schriftsteller im Science-Fiction-Bereich malen uns aus, wie die Welt aussehen wird, wenn wir den eingeschlagenen Weg ungebremst weitergehen. Was bei einer solchen Fiktionalisierung herauskommt, nennt sich “Dystopie”.
Da es eine intellektuelle Begleitung dieses revolutionären Umbruchs, der sogenannten “Disruption”, unserer Lebensverhältnisse nicht gibt, schliddert die Menschheit unreflektiert und nahezu bewusstlos in eine Cyberwelt, in der sich der Homo sapiens aller Voraussicht nach in ein anderes Wesen verwandelt, – wobei das Kalkül der Treiber dieses Prozesses derzeit eher darauf gerichtet zu sein scheint, ihren persönlichen physischen Zustand dauerhaft unter Kontrolle zu halten und zu optimieren, um ihr eigenes Leben zu verlängern.
Transhumanismus ist ein Konzept der Wohlhabenden dieser Erde. Bezüglich des “Restes” der Menschheit genügt es in ihren Augen wahrscheinlich, so viel Technik wie nötig einzusetzen, um ihn permanent überwachen, disziplinieren und dezimieren zu können.
Von der vermeintlichen politischen “Elite” des Abendlandes ist in puncto Gefahrenerkennung und -abwehr nichts zu erwarten, weil deren Persönlichkeits- und geistige Bildung weit unter dem liegen, was jemand in solch verantwortungsvollen Positionen mitbringen muss.
Wenn Maßnahmen und Entscheidungen von Politikern beispielsweise als “das Gute-Kita-Gesetz” oder in kindertümlicher Interjektion als “Wumms” bezeichnet werden, und wenn die Medien derartige Geschmacklosigkeiten kommentarlos und ironiefrei aufnehmen und durchreichen, wird deutlich, dass die allgemeine Infantilisierung der Gesellschaft auch vor den scheinbar Gebildeten nicht Halt macht.
Im Netz fand ich den Gedanken, dass die derzeitige deutsche Regierung aus der ersten Generation unpolitischer Politiker bestehe. Das ist trefflich formuliert. Einen Schutz vor den Übergriffigkeiten digital-disruptiver Visionäre wie Klaus Schwab und sein Weltwirtschaftsforum oder der philanthropischen Nichtregierungsorganisationen wie die von George Soros und Bill Gates ist von ihnen nicht nur nicht zu erwarten. Sie werden im Gegenteil zu willigen Vollstreckern solcher Konzepte oder sind es bereits.
Denn dass unpolitische Streber an die Macht gelangt sind, ist kein Zufall. Im Erziehungsprogramm “Young Global Leaders” des WWFs sind viele von ihnen ausgewählt und geschult worden. Sie sollen das Konzept der “Neuen Weltordnung” in ihren Ländern durchsetzen und sich als Weltpolitiker verstehen, also daran arbeiten, die Nationen an und für sich aufzuheben.
Deutsche Politiker sind hierbei besonders eifrig, weil – unabhängig davon, wer regiert – die devote Haltung gegenüber den USA und deren Geopolitik von niemandem infrage gestellt wird. In keinem anderen europäischen Land setzt man diskussionslos (fast) alle amerikanischen Forderungen und Erwartungen bezüglich der eigenen Innen- und Außenpolitik um.
Die politische Klasse hat sich selbstständig gemacht, hat sich abgekoppelt; sie ist keine Angestellte der Gesellschaft mehr, sondern hat sich den Staat zur Beute gemacht und ist dabei, die letzten Bastionen der Demokratie und des Rechtsstaates peu à peu zu schleifen. Als Alternative propagiert sie polarisierende und manichäische Welt- und Menschenbilder.
Der Horizont unserer Politiker ist flach, aber fehlt den Exekutoren der Idee einer ewigen Gegenwart etwas? Die Art und ihres Versagens, ihre Politik des Zufalls, des Opportunismus einerseits, der Impulsivität auf der anderen Seite, die von der inkompetenten und sechzehn Jahre vor sich hin wurstelnden Bundeskanzlerin begründet wurde, die Kurzatmigkeit ihrer Politik, die Prinzipienlosigkeit, der Populismus, das Fehlen eines gesellschaftsleitenden Kompasses – all das macht unsere Länder zu Spielbällen von Narzissten und Korrumpierbaren.
Diesen Anywheres fehlt nichts, was mit Traditionen und Vergangenem zu tun hat, wenn sie sich in ihrer Wurzellosigkeit häuslich eingerichtet haben. Wir sind es, die die Verluste schmerzen, wir Tiefwurzler. Und wir sollten dessen gewärtig sein, dass geistig-kulturelles Erbe immer, zu jeder Zeit nur von Minderheiten, von geistigen Eliten, von Teilen der Mittel- und Oberschicht am Leben erhalten und zum Leben benötigt wird. Lange Zeit gehörten auch Politiker zu dieser Elite. Heute trifft dies nur noch auf Einzelne dieser Spezies zu.
Thomas de Maizière, der ehemalige deutsche Außenminister, hat sich der Aneignung des kulturellen Erbes durch junge Menschen verschrieben. In der Reihe “abgeFRACKt” holt er die Jugendlichen ab, wo sie sich bekanntermaßen heutzutage aufhalten: Ankündigung des Konzertes in der Dresdner Philharmonie nur in den sozialen Medien. Sie können sich anziehen, wie sie wollen und sie dürfen klatschen, wann sie wollen. Aber das ist noch nicht alles:
“Bei abgeFRACKt ist einiges anders: Das Konzert dauert nur höchstens eine Stunde, die Musiker:innen spielen nicht im schwarzen Frack und niemand muss fürchten, an der falschen Stelle zu klatschen. Und schon gar nicht braucht man irgendwelches Spezialwissen um die Musik ›richtig‹ zu verstehen. Einfach kommen, hören und sich überraschen lassen. Und wer doch etwas mehr über die Musik erfahren möchte, lädt sich die kostenlose Wolfgang-App aufs Smartphone und kann sich dann live im Konzert durch das jeweilige Werk führen lassen. Danach laden wir ein, noch in unseren Foyers zu bleiben, sich im Café ›Tutti‹ noch ein Glas Wein oder einen ›Casual Cocktail‹ zu holen und noch etwas abzuspannen, sich zu unterhalten oder einfach vom Balkon in [sic!] die Stadt zu schauen.” (2)
Wahrscheinlich dürfen sie auch essen und trinken und sich mit ihren Nachbarn austauschen. Dergleichen nenne ich Prostitution. Ja, vielleicht ist dieser Weg wirklich der einzige, um seine Kultur an den Mann zu bringen. Aber ist es nicht auch eine selbsterniedrigende Anbiederung an den Zeitgeist?
Sollte man nicht vielmehr die eigene Kultur retten vor der Profanierung, vor oberflächlicher Übernahme durch die Popkultur? Sollte man die Masse nicht einfach der “Brot und Spiele”-Kultur überlassen und eine Trüffelsuche nach den Einzelnen, Besonderen, Gesonderten beginnen? Kultur wieder als ein Distinktionsmerkmal einer Elite verstehen? Und es geht hierbei nicht nur um die Rettung der Inhalte.
Besorgniserregend ist auch das Schleifen der Form an und für sich und jedweder gesellschaftlicher Konventionen. Als habe das Tragen von festlicher Kleidung und der Beifall an der richtigen Stelle keinerlei Bedeutung (mehr). Als ginge es nicht genau darum, sich einmal ohne digitale Helfer ganz allein auf die Rezeption eines Kunstwerks zu konzentrieren! Das Konzept “abgeFRACKt” gibt so der Zerstreuung Nahrung, anstatt Formen und Konzentration einzufordern und damit Elternhaus und Schule eine Rückkehr zur Erziehung mündiger und kultivierter Menschen ans Herz zu legen.
Die Kannibalisierung der sozialen Sphäre durch die Privatsphäre ist ein Prozess, der schon länger zu beobachten ist. Doch solange die Ablehnung jedweder Erziehung als Ausweis individueller Freiheit (miss-)verstanden und das Bestehen auf Regeln und Normen als konservativ und damit tendenziell als “rechtes” Denken denunziert wird, wird es keinen Paradigmenwechsel geben.
Weiter zum zweiten Teil des Essays
Jean Gabin oder der Bruch: Ein Räsonnement (Teil 2/2)
Quellen und Anmerkungen
(1) Franz Kafka (1917): Ein Bericht für eine Akademie.
(2) Dresdner Philharmonie (März/April 2023): Auf https://www.dresdnerphilharmonie.de/media/downloads/1959_MSP_MRZ-APR23_105x210_230125_web.pdf (abgerufen am 12.3.2023)

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Gautier Salles (Unsplash.com)
Beate Broßmann (Jahrgang 1961) wurde in Leipzig geboren. Sie absolvierte erfolgreich ein Philosophie-Studium im Sinne von "Erkenntnisliebe". Vor der Wende in der DDR galt ihr Engagement demokratischen Reformen. Sie war später Mitglied der oppositionellen Vereinigung "Demokratischer Aufbruch". 2018 bis 2021 publizierte sie als Autorin auf "Anbruch". Seit 2020 veröffentlicht Beate Broßmann im Magazin TUMULT.