Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleonie sprach angesichts der vermeintlichen Weltenlenker von Zuhältern der Globalisierung. Gemeint war die kleine Kaste der machtvollen Manager und Politiker, die mit ihren begrenzten Interessen gar nicht in der Lage sind, eine nachhaltige Zukunft zu garantieren.
Ich habe allerdings meine Schwierigkeiten mit dem Begriff global.
Die globale Umweltverschmutzung entsteht im Lokalen. Alles Globale hat lokale Wurzeln. Die Menschen wollen es nicht mehr hinnehmen, dass jede ihrer produktiven Handlungen in ein globales Wirtschaftssystem gepresst wird, um einen Wert zu bekommen. Sie sehnen sich nach Identität. Ihre Identität finden sie nur, wenn sie ihre Probleme vor Ort angehen. Der einzige Weg, das globale Desaster in den Griff zu kriegen, sind weltweite lokale Lösungen.
Wie ist es möglich, dass alle zerstörerischen Handlungen, die wir erleben müssen, von den Machteliten und deren Medien als notwendig und alternativlos verkauft werden? Die Bombardierung anderer Länder, der Bau von Staudämmen, das Versprühen von Insektiziden, die Erschaffung genmanipulierter Organismen, das Durchimpfen von Milliarden Menschen.
Inzwischen begreifen wir Gesundheit als Leistung der pharmazeutischen Industrie, und wir verstehen soziale Sicherheit als etwas, was Polizei und Justiz herstellen. So ist es auf fast allen Gebieten: Wir glauben ausschließlich an ordnungspolitische oder technische Lösungen – wir vertrauen uns selbst nicht mehr.
An dieser Stelle möchte ich einen bemerkenswerten Ausspruch eines Mapuche-Häuptlings zitieren. Die Mapuches, deren angestammtes Gebiet sich auf Chile und Argentinien erstreckt, hatten nicht nur der spanischen Kolonisation erbitterten Widerstand entgegengesetzt, sie stritten bis in unsere Tage um ihr Land und ihre Kultur. (1)
Umso erstaunlicher nun, was ihr Sprecher vor Kurzem auf einem Kongress der indigenen Völker zum Besten gab:
“Wir Mapuches kämpfen nicht länger um einen eigenen Staat. Angesichts der ökologischen Bedrohung, die den ganzen Planeten zu vernichten droht, kämpfen wir um eine andere Lebensführung, die mit den Reserven der Natur im Geiste unserer Vorfahren verfährt.”
Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die diesen Bewusstseinswandel vollzogen haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren. Ein solcher Zusammenbruch macht zunächst einmal Angst. Wir haben Angst vor Chaos und Anomie (2), Angst davor, unterzugehen in diesem Endzeit-Szenario, in dem sich jeder gegen jeden zu behaupten versucht.
Aber eines ist auch klar: Es wird nichts Neues durch uns in die Welt kommen, was nicht vorher in unserem Bewusstsein Gestalt angenommen hat. Die politische Demarkationslinie verläuft schon lange nicht mehr zwischen links und rechts, auch nicht – und das mag manche empören – zwischen oben und unten. Sie verläuft zwischen zukunftsfeindlich und zukunftsfreundlich. Je mehr Menschen das verstehen, desto größer ist die Chance, die scheinbar unverrückbaren Strukturen eines alten Machtgefüges von innen heraus zu unterminieren und zu Fall zu bringen.
In meinem Roman MAEVA! sagt die Protagonistin:
“Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte. An solchen Wendepunkten nehmen wir Abschied von der Persönlichkeit, die wir waren. Wir begrüßen die Person, die wir gerade werden. Unsere Ängste entsprechen denen, die wir vor dem Sterben entwickeln. Aber wir müssen begreifen, dass wir nicht alleine sind mit unserer Furcht, dass die Angst uns alle erfasst, aber dass wir sie miteinander teilen können. Wir müssen erkennen, dass die Erschütterungen der alten Ordnung ein gewaltiges Potenzial an gebundener Lebenskraft freisetzt, das uns nun befähigt, etwas völlig Neues zu schaffen. Wenn wir aber vor dem Unbekannten zurückschrecken, wenn wir uns vor der Verantwortung für das Neue drücken und nur zögerlich die nächsten Schritte gehen, dann deprimieren wir die Person, die wir werden zugunsten der Persönlichkeit, die wir waren.”
Der Schweizer Diplomat und Historiker Carl J. Burckhardt (1891–1974) glaubte nicht an eine Wende zum Besseren und ich bin geneigt, ihm recht zu geben. Er sagte:
“Es gehört zum Schwierigsten, was einem denkenden Menschen auferlegt werden kann, wissend unter Unwissenden den Ablauf eines historischen Prozesses miterleben zu müssen, dessen unausweichlichen Ausgang er längst mit Deutlichkeit kennt. Die Zeit des Irrtums der anderen, der falschen Hoffnungen, der blind begangenen Fehler wird dann sehr lang.”
Auf der anderen Seite steht die unumstößliche Wahrheit, die Ernesto ‘Che’ Guevara einst so formulierte:
“Sie können alle Blumen abschneiden, den Frühling aber können sie nicht aufhalten. Dieses Wissen macht uns verantwortlich.”
Fühlen wir uns also verantwortlich, das ist wohl das Mindeste, was man von uns verlangen kann.
Quellen und Anmerkungen
(1) Die Mapuche sind ein indigenes Volk Südamerikas. Die heutigen Staaten Chile und Argentinien sind ihr angestammtes Gebiet. Anders als Maya und Azteken kannten sie keine zentralen Gottheiten und Repräsentationsinstanzen der religiösen Sphäre, die von allen vorbehaltlos anzuerkennen waren.
Die Gesellschaft der Mapuche war frei von jeglicher Herrschaft. Sie hatte keine festen territorialen Grenzen und kannte keine Barrieren zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Ordnung wurde durch soziale Bindungen wie Verwandtschaften oder Allianzen hergestellt, die frei eingegangen werden konnten. Es gab zwar Personen die über Macht im Sinne von Einfluss verfügten, nicht aber über die zur Durchsetzung von tatsächlicher Herrschaft nötigen Zwangs- und Gewaltmittel. Niemand musste also folgen; es war eine freie Gesellschaft anarchistischer Prägung.
Erfolgreich widersetzten sich die Mapuche durch härtesten Gegenwehr mehr als 300 Jahre der spanischen Kolonisation und etablierten Mitte des 16. Jahrhunderts einen eigenen Staat. Dieser hatte bis 1883 Bestand. Unter den Mapuche gibt es in der Gegenwart Bestrebungen, wieder die Unabhängigkeit zu erlangen.
(2) Der soziologische Begriff Anomie, der von dem französischen Soziologe und Ethnologe Émile Durkheim eingeführt wurde, bezeichnet einen Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnung. Irreführend wird häufig anstelle des Begriffs Anomie das Wort Anarchie benutzt. Anarchie bedeutet aber lediglich die Abwesenheit von Herrschaft. Ohne Herrschaft ist eine gesellschaftliche Ordnung möglich, die auf Vereinbarungen zwischen freien Menschen beruht.

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Alberto Korda (gemeinfrei)
Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).
Eine Antwort auf „Den Frühling können sie nicht aufhalten“
Den Frühling können sie nicht aufhalten
Wir glauben ausschließlich an ordnungspolitische oder technische Lösungen – wir vertrauen uns selbst nicht mehr. Aber es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die einen Bewusstseinswandel vollzogen haben. Und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren.
Beitragsautor
Von Dirk C. Fleck
Dazu meine Gedanken:
Die Gegenwart des beginnenden Jahrhunderts kennt weltweit immer weniger werdend nur noch eine verschwindend kleine Zahl von Eigentümern an Produktionsmitteln.
Fast alles Eigentum befindet sich in machtpolitisch gestütztem, juristisch garantiertem Besitz mehr oder weniger anonymer Finanzgesellschaften. Die materielle Produktion, Dienstleistungen, staatlich gestützte Konsumtion und Investition und immer mehr auch die Aufwendungen zur notwendigen privaten Bedürfnisbefriedigung werden durch Kreditinstitute vorfinanziert und über Zinsenberechnungen nur soweit auf Erbringen nützlicher, benötigter Ergebnisse gerichtet, als sie der Profitmaximierung und somit der Kredittilgung und dem durch Konkurrenzdruck auf dem Gesamtmarkt ins gigantische gesteigerten Bedarf an Finanzmitteln dienen. Die Eigentümer an den Produktionsmitteln, mit dem Willen diese nutzbringend zu bearbeiten oder mit ihnen unter befähigter und kenntnisreicher Leitung gebrauchsgerecht arbeiten zu lassen, gelangen so in absolute Abhängigkeit. Die Arbeitsleistung wird von immer mehr Menschen als notwendige Last und nicht wie ursprünglich als Freude am Schaffen empfunden, da der größte im Arbeitsprozess außerhalb des Bedarfs zur einfachen Reproduktion liegende Überschuss nicht zur Verbesserung der Lebensqualität der erzeugenden und bedürftigen Menschen, sondern zum füttern des immer gefräßiger werdenden Geldmolochs vergeudet wird.
Der größere und wachsende Anteil des Bildungsaufwands und der Informationsübertragung, besonders durch die modernen Medien, wird dazu erbracht, den Menschen die als alternativlos dargestellte Notwendigkeit und Richtigkeit der gegenwärtigen Lebens- und Produktionsweise einzutrichtern und sie in die auf Profit, Verschwendung, Ungerechtigkeit, Bedrohung und Willkür, also auf Zerstörung und Beenden gerichtete, juristisch normierte und machtgewaltige, gesellschaftliche Tretmühle einzufügen. Aus diesen mit täglich neuen Erscheinungen sich beweisenden Tatsachen ergibt sich die Notwendigkeit, über die Verhältnismäßigkeit von Arbeit, Eigentum und Bildung nachzudenken, Alternativen aufzuzeigen und mit deren Anwendung zu beginnen.
Wir Menschen sind durchaus in der Lage die Grenzen des sich immanent in raumzeitlichen Schranken bewegenden Seins überschreiten, Gegebenheiten der dimensionslosen, omnipotenten Wahrheit begreifen und mit dem so gewonnenen Wissen und Können das uns nun erstmals Mögliche verwirklichen zu können. Als Mittler zwischen Wahrheit und Wirklichkeit, Sein und Bewusstsein, Individuum und Gesellschaft befähigen uns Menschen sowohl wissenschaftlich methodisches Vorgehen wie beobachten, untersuchen oder experimentieren und das Anwenden praktikabler Technologien, als auch künstlerisches Schaffen und das Suchen nach ethischen Werten des Mensch-Seins, unsere Kulturleistungen zu sinnvollem, die Wirklichkeit bewahrendem, Wahrheiten begreifendem und unserer Bestimmung und unseren Bedürfnissen entsprechendem Handeln. So wird unser menschliches Suchen mit Zufriedenheit belohnt.