Stellen Sie sich vor, Sie verträten ein Land in dem 1,4 Milliarden Menschen leben. Ein Land, das einmal das mächtigste auf diesem Globus war. Ein Land, das dann unaufhaltsam durch seine Selbstgenügsamkeit und die Gier aufkommender fremder Mächte ganz nach unten fiel. Dem man durch Kriege die Würde nahm, dessen Nationalheiligtümer dem Erdboden gleichgemacht wurden, dessen Ressourcen geraubt und dessen Menschen versklavt wurden.
Ein Land, das die Gelegenheit des letzten großen Krieges nutzte, um die Usurpatoren, Kolonialisten und Imperialisten herauszuwerfen. Ein Land, das viele Irrwege mit ungeheuer schmerzhaften Lehren gehen musste, um peu à peu seinen Kurs zu finden, um der Bevölkerung Bedingungen zu erarbeiten, die lebenswert sind. Ein Land, das so großen Erfolg hatte, weil seine Bevölkerung ungeheuer fleißig und bildungsbeflissen war, weil seine Regierungen alles zu schätzen wussten, was woanders gut gemacht und entwickelt wurde.
Ein Land, das (wie in früheren Zeiten) seit Langem wieder an die Tradition angeknüpft hat, in großen historischen Dimensionen zu denken. Ein Land, das sehr viel in Bildung und Infrastruktur investiert hat, dessen Regierung seiner Bevölkerung immer wieder versprechen muss, dass das Leben besser wird und es niemals wieder dazu kommt, dass andere eindringen und sich über die Güter dieser Nation hermachen. Ein Land, das darauf gesetzt hat seine Beziehungen zu anderen Ländern durch Verträge und nicht durch militärisches und kriegerisches Handeln zu gestalten. Ein Land, das sich trotz aller Erfolge seiner Schwächen bewusst ist und weiß, woran es noch arbeiten muss.
… und jetzt die vom anderen Ende
Und stellen Sie sich vor, zu Ihnen, als Vertreter dieses Landes, käme eine Politikerin aus einem kleinen Land am anderen Ende der Welt, das historisch einen sehr schlechten Ruf hat. Es hat wirtschaftlich einiges erreicht und ist für die geringe Größe entwickelt gewesen, was sich allerdings in den letzten Jahrzehnten vehement geändert hat, weil man sich dort mehr dem Verzehr als dem Erwirtschaften widmete.
Es sind viele Errungenschaften des Gemeinwesens dahingeschmolzen, weil man sich einer politischen Philosophie verschrieben hat, die auf den schnellen Gewinn derer ausgerichtet ist, die selbst gar nichts gestalten, sondern nur besitzen und eine langfristige Planung für das Gemeinwesen als störend betrachten.
Zudem handelt es sich um ein Land, das trotz einer langen Zeit nach dem Krieg längst nicht die Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit erlangt hat, die Ihr Land so teuer bezahlt hat und zu schätzen weiß.
Stellen Sie sich vor …
Und stellen Sie sich vor, die Vertreterin dieses Landes käme zu Besuch in Ihr Land, um Ihnen Lektionen zu erteilen, wie Ihr Land in der Welt zu agieren habe. Und Sie hörten mit jedem Satz ihrer anklagenden Worte die Stimme des Landes, das nicht nur das Land Ihres Gastes dominiert, sondern auch Ihrem eigenen Land seit Langem den Krieg erklärt hat. Wirtschaftlich, technologisch und irgendwann auch militärisch.
Und stellen Sie sich vor, die Person aus dem kleinen Land, das Sie Ihrerseits bisher geschätzt haben, weil dort eine Bevölkerung lebt, die gar nicht so unähnlich zu Ihrer eigenen ist, diese Person, deren Bildungsstand und Wortschatz unter dem Niveau eines Provinzsekretärs Ihre Landes liegt, kommt zu Besuch, in Ihr Haus, um Sie zu belehren, zu rügen und zu ermahnen. Jenseits aller Höflichkeit, die man in Ihrem Land zu schätzen weiß; wie würden Sie reagieren?
PS: Manchmal kann es hilfreich sein, die Perspektive zu wechseln!
Foto: Sofia Lyu (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Stellen Sie sich vor … Fragen an den chinesischen Gastgeber“
Der Wechsel der Perspektive bringt eine ungewohnte Deutlichkeit an den Tag.
… Und stellen Sie sich vor, die Person aus dem kleinen Land, welches ein Vasall eines anderen Landes ist, welches mit der Vernichtung der eigenen Ureinwohner und dem Einsatz der schrecklichsten Waffe aller Waffen eines ihrer Nachbarländer ohne Notwendigkeit verstrahlt hat, maßt sich an, die Repräsentanten ihres Landes zu maßregeln.
Hinweis: Im 6. Abschnitt gibt es eine Doppelung.
Vielen Dank für den Hinweis. Die Doppelung ist jetzt entfernt.
Welche Rollen spielen die Großmächte USA, Russland und China gegenwärtig in der Welt?
Die USA erteilen nicht nur eine freundliche Absage an ihre Freunde und Nachbarn, sie sind es, die die internationale Gemeinschaft, von der UNO bis zur WTO und zur Umweltpolitik, bewusst lähmen, Vertragsnetze zerstören, weltweit Kriege provozieren, per Regime-Change in die Souveränität anderer Staaten einbrechen.
Russland hat, von Michail Gorbatschow an aufwärts immer wieder neue Angebote gemacht, mit Europa eine Eurasische Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Lissabon aufzubauen. Selbst die USA wollte Russland darin mit einbeziehen. Statt Unruhe zu schaffen, hat Russland sich auf diese Weise, schon im Interesse seiner eigenen Rekonvaleszenz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, zu einer Kraft entwickelt, ohne die inzwischen im globalen Konfliktmanagement nichts mehr läuft. Russland wurde geradezu zum Bollwerk gegen die von den USA ausgehende Destabilisierung der globalen Ordnung.
Der Aufstieg Chinas zur größten Wirtschaftsmacht erscheint für den US-geführten Westen überraschend, ja provozierend. Doch er hat selbst zu dieser Entwicklung beigetragen, allerdings ungewollt. Die Volksrepublik hat sich nicht nur aus kolonialer, feudaler und imperialistischer Ausbeutung und Abhängigkeit weitgehend befreit, sondern gestaltet auch national und international einen nachhaltigen, alternativen Entwicklungsweg – nicht nur ökonomisch, sondern auch in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Die Volksrepublik praktiziert im Unterschied zur US-geführten westlichen Kapital-Demokratie die Globalisierung ohne militärische Begleitung und ohne wirtschaftliche Sanktionen. China, zudem in Verbindung mit einem weiten und differenzierten Netz an Kooperationspartnern auf allen Kontinenten, ist damit ein entscheidender und stabiler Faktor in der von sozialer Ungleichheit, Krisen und Kriegen durchzogenen Weltgemeinschaft.
Wahrhaft menschlich bewegt sich unser Dasein, wenn alle Einzelne von uns die Freiheit haben, eigenwillig für ihre Bedürfnissen und ihre Befriedigung sorgen und sich nützlich am Zusammenleben beteiligen können. Bei der Einflussnahme der Menschen auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Geschehens, besonders in Zeiten, da sich rasche Qualitätssprünge erforderlich machen, geht es im Wesentlichen, um Veränderungen hin zum Besseren.