Alle, die meinen, sie befänden sich in einem heillosen Tohuwabohu, sei gesagt: dem ist nicht so. Die Berliner Republike ist voll auf Kurs, ohne Abweichung, nicht einmal im Toleranzbereich. Nur, und das ist die Einschränkung, es ist kein eigener Kurs, sondern einer, der in den fernen USA ausbaldowert worden ist, gegen das eigene Volk und den Rest der Welt.
Das, was George W. Bush in seinen acht Jahren seinem eigenen Land verschrieben hat, wirkt jetzt in der Welt nach und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland entpuppt sich als eine Gruppe von Bushianern. Sie führt den Krieg gegen das Böse und betreibt rigoros die Politik der Globalisierung. Dabei ist sie bereit, irrwitzige Kollateralschäden hinzunehmen und führten sie auch zur eigenen Demontage.
Die Proklamation des gerechten Krieges gegen das Böse als vermeintliche Reaktion auf die Anschläge auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001 durch den damaligen Präsidenten George W. Bush leitete einen Revisionismus ein, wie ihn die Weltgeschichte selten gesehen hat.
Das erste Opfer waren nicht die armen Teufel im afghanischen Hochland, die aufgrund der Detonationen der tonnenschweren amerikanischen Symbolfracht das Gehör verloren, sondern die amerikanische Gesellschaft selbst. Alles, was dort noch an funktionierenden Verfassungsorganen und demokratisch-zivilisatorischen Errungenschaften in der Landschaft stand, fiel den Attacken der finanzkapitalistischen Generaloffensive und der Generalmobilmachung durch den militärisch-industriellen Komplex zum Opfer.
Die Amerikaner selbst reden, wenn sie über das erste Jahrzehnt im neuen Jahrtausend nachdenken, von The Unwinding, der Abwicklung. Und damit meinen sie das, was ihre Gesellschaft an demokratischen und freiheitlichen Grundsätzen bereit war, ihren Bürgern zu garantieren. (1)
Und wie es sich für eine Weltmacht gehört, waren die Grenzen sehr schnell überschritten und das Postulat einer neuen Weltordnung verkündet. Das begann mit dem Krieg gegen Afghanistan, setzte sich mit dem gegen den Irak fort und füllt mittlerweile Bände von Beispielen für einen sogenannten Regimewechsel, der immer, bei jedem Beispiel und in jedem Fall, zu einer drastischen Verschlechterung der Lage der betroffenen Bevölkerung geführt hat. Die ehemaligen Herrscher oder Systeme sind weg, es herrschen Entstaatlichung und Chaos, der IWF, die 5. Kolonne der amerikanischen Hegemonialmacht, destabilisiert eine Region nach der anderen.
Auch Europa gehört zu den Opfern, die ehemaligen osteuropäischen Volksdemokratien, die nach den Schockbädern des Wirtschaftsliberalismus nun vor neuen, heftigen Kämpfen stehen, die die Region abermals destabilisieren werden, bis zur Vernichtung des europäischen Südens und der jetzigen Destabilisierung Zentraleuropas. So wie es scheint, geht der Plan auf. Europa wird geschwächt und der einzige strategische Bündnispartner, mit dem Europa die USA ausstechen könnte, Russland, ist diskreditiert als vermeintlicher Todfeind. Schlimmer konnte Europa, das bekanntlich bis zum Ural reicht, nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Der Kampf gegen das Böse ist noch lange nicht zu Ende. Seit langem tobt ein Krieg, teils heiß, teils kalt, der nichts anderes zum Ziel hat, als den Zugriff auf die Energieressourcen dieser Welt und der dazugehörigen Logistik zu sichern. Wäre das für die USA nicht mehr gewährleistet, so wäre das Imperium schnell Geschichte. Deshalb der Eifer in der Destabilisierung sämtlicher Weltregionen.
Die Ordnung, die dem amerikanischen Zeitalter die Dominanz gewährt, ist das Chaos, die Destabilisierung von Staaten, die radikale Privatisierung und die Entmannung der Politik als Artikulations- und Gestaltungswesen des Staates schlechthin. In Anbetracht dieser Gemengelage ist die Regierung hierzulande voll auf Kurs.
– 27. Januar 2016
Quellen und Anmerkungen
(1) Der US-amerikanische Journalist und Schriftsteller George Packer veröffentlichte 2013 das Sachbuch “The Unwinding: An Inner History of the New America”. Es erschien 2014 unter dem deutschen Titel “Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika”. Packer beschreibt in dem Buch Faktoren, die die US-amerikanische Geschichte zwischen 1978 und 2012 wesentlich beeinflussten (Finanzkrise ab 2007, Rückgang der Industriebasis in den USA, die Macht und der Einfluss von Geld auf die US-Politik) und zu einem politischen wie gesellschaftlichen Niedergang führen.
Foto: Wade Johnston (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Fundstück: Voll auf Kurs“
Diese Klarsicht war schon 2016 möglich! Fast 8 Jahre danach ist nichts davon politisch relevant eingesickert, im Gegenteil, spalte und herrsche feiert einen Höhepunkt nach dem anderen.
Fundstück: Voll auf Kurs
Der einzige strategische Bündnispartner, mit dem Europa die USA ausstechen könnte, Russland, ist diskreditiert als vermeintlicher Todfeind. Schlimmer konnte Europa, das bekanntlich bis zum Ural reicht, nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Beitragsautor
Von Gerhard Mersmann
Hier meine Gedanken dazu:
Der Frage, ob ein Krieg wahrhaft notwendig oder nur eine willkommene Möglichkeit zur Durchsetzung der jeweiligen Interessen ist, ob er gerechtfertigt ist oder nicht, ob ein Krieg also ethisch begründet erforderlich oder ob er aus eben solchen Gründen abzulehnen ist, müssen Historiker nachgehen, wenn sie Kriege der Vergangenheit untersuchen.
Die Frage warum dieser oder jener Krieg geführt wird, braucht heutzutage nicht mehr gestellt werden. Denn unsere Welt wird immer deutlicher von der allgemeinen Krise des Kapitalismus geprägt. Akut äußert sich diese dadurch, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Flüchtlingskrise, die Terrorkrise und so weiter. Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen. Die Bestien im Haifisch-Becken werden immer bösartiger. Aggressives Gegeneinander, um geostrategische Einflusssphären, Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte, endet immer mit Zerstörung und Krieg.