Die Kritik an der Berichterstattung in Deutschland hat die Dimension angenommen, derer es bedarf, um eine Reaktion in Form einer breiten Diskussion unvermeidlich zu machen. Das ist gut so. Wäre es nach den Protagonisten der vierten Gewalt gegangen, so hätten sie sich nicht der Diskussion gestellt. Denn eines ist klar und kann sogar als ehernes Gesetz gelten:
Wer ein Monopol innehat, wird irgendwann faul und träge.
Und der verfassungsrechtlich konstruierte Widersinn, einem Kontrolleur der öffentlichen Dinge selbst nicht die systemimmanente Kontrolle, aber die Konkurrenz zu nehmen, ist nicht aufgegangen. Das Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten hat zu einer gesellschaftlichen Krise geführt, die sich um Rolle und Funktion der vierten Gewalt dreht.
Ursache hierfür ist der sehr gut dokumentierbare Sachverhalt, dass sich das Gros der hier versammelten Anbieter seinerseits hinter den Positionen der Bundesregierung versammelt und deren Meinung zum Faktischen erhebt. Der Kritik gegen diese Positionen wird zumeist mit Verdächtigung und Ausgrenzung begegnet und insofern ist der Vorwurf, die vierte Gewalt sei keine vierte Gewalt mehr und näher an dem Konstrukt der Propaganda nicht aus der Luft gegriffen.
Dennoch tut es keiner Diskussion gut, immer in die Kiste mit den historischen Schubladen zu greifen. Lügenpresse ist da genauso irreführend wie der von anderer Seite gern geführte Begriff der Verschwörungstheorien. Um es deutlich zu sagen: Im immer schwerer werdenden Diskurs um die Grundlagen der Demokratie gehen Vertreter der Bundesregierung mit genauso vielen Verschwörungstheorien hausieren wie die AfD. Auf dem Boden bleiben wäre für alle, die es ernst meinen, eine gute Weisung.
Und es täte wie immer gut, sich an die konkreten Sachverhalte und die Berichterstattung darüber zu halten. Alles andere führt zu den Wirkungsfeldern von Feindbildern, die längst aufgebaut sind und fleißig auf gewaltsame Konflikte hinarbeiten. Dass daran die offiziellen Organe der vierten Gewalt mitarbeiten, ist der Skandal.
Noch heute Morgen wurde im Tone der Empörung darüber berichtet, dass in Aleppo sowohl die Strom- als auch die Wasserversorgung endgültig versagen und die Bevölkerung unsäglich darunter wie unter den Bombardements leiden. Verantwortlich dafür wird das “Regime” Assads gemacht. (1) Was verschwiegen wird, sind die gezielten Bombardements auf Wasser- wie E-Werke von Aleppo vor gut einem Jahr durch die USA und deren Alliierte, die die Stadt als finalen Austragungsort für den Kampf gegen Assad und dessen Position in der Pipeline-Politik auserkoren hatten.
Und gestern noch wurde die Argumentation der russischen Seite angegriffen, die an der Grenze zu den baltischen Staaten stationierten Raketen seien eine Reaktion auf die durch die NATO an der russischen Grenze aufgestellten Raketensysteme.
Fällt den Vertretern der vierten Gewalt eigentlich noch auf, dass Russland auf seinem eigenen Territorium auch militärisch machen kann, was es will? Wer bedroht hier eigentlich wen? Sind diese Fragen gar nicht mehr präsent?
So wie es aussieht, wird das Debakel weiter gehen. Die Vertreter der sich mehr und mehr monopolisierenden Politik sehen nicht die Ursache für den vielen Unmut in ihrer eigenen Handlungsweise, sondern in den Formen der Vertretung des Unmutes. Und die attackierten Vertreter der vierten Gewalt sehen nicht ihr eigenes Versagen in Bezug auf eine ausgewogene Berichterstattung als das Problem, sondern sie prangern die ungebildeten, verblödeten Massen an, die zudem die sozialen Netzwerke fluten.
Dass eine Diskussion um die Rolle der vierten Gewalt entbrannt ist, kann als ein gutes Zeichen gewertet werden. Die Protagonisten treten allerdings nicht so auf, als hätten sie gelernt. Sie wollen es auch nicht.
– 1. Dezember 2016
Quellen und Anmerkungen
(1) Baschar Hafiz al-Assad (Jahrgang 1965) ist Präsident Syriens. Die Herrschaftsform, die seine Familie über das Land ausübt, hat den Charakter einer Diktatur. Assad, der im Jahr 2000 die Nachfolge seines Vaters Hafiz al-Assad als Generalsekretär der Baath-Partei und als Staatspräsident Syriens antrat, erhielt bei seiner ersten Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 und bei seiner Wiederwahl 2007 jeweils über 97 % der Stimmen. Gegenkandidaten gab es nicht. Die Regierung der Vereinigten Staaten sowie die Europäische Union forderten im Jahr 2011 Assads Rücktritt, weil dieser militärisch gegen Demonstranten des Arabischen Frühlings in Syrien vorgehen ließ. Teile der Arabischen Liga riefen Assad 2012 ebenfalls zum Rücktritt auf. Durch die international kritisierten Präsidentschaftswahlen in Syrien 2014 und 2021 wurde seine Herrschaft allerdings verlängert und hält bis heute an.
Foto: Mahmoud Sulaiman (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
5 Antworten auf „Fundstück: Die Vierte Gewalt“
In dem ansonsten sehr guten Beitrag scheint mir eine Passage nicht mehr aktuell: “gehen Vertreter der Bundesregierung mit genauso vielen Verschwörungstheorien hausieren wie die AfD.” Die AfD ist sicher keine sozialistische Partei, eher so etwas wie die CDU/CSU, aber sollte man eine Partei mit den Vertretern der Bundesregierung vergleichen? Heute wird die Bundesregierung aus einer Einheitspartei gebildet und die CDU/CSU, die diesmal nicht dabei sein darf, ist sicher keine Opposition! Mich freut – bei der internen Zerlegung der Linken – die AfD wenigstens als verbleibende Opposition.
mich freut die afd und ihre zahlreichen subgruppen ebenfalls, weil sie äußeres zeichen der inneren verkommenheit und fäulnis des systems sind – dass afd samt anhängen überhaupt als ganz normale partei akzeptiert werden, ist bereits zeichen, wie weit das hiesige systemchen bereits in oligarchen strukturen, gemeinsam betriebenen korruptionen, und einer vergessens-kultur verkommen ist – und der berühmte “point of no return” dürfte längst überschritten sein, sodass systemchen-“re-formen” längst nicht mehr geht, es dürfte sich vielmehr historisch gesehen bereits erledigt haben.
Vor ein paar Tagen hat mir eine Freundin eine Youtube Nachricht von Martin Sonneborn zugeschickt. Darin hält er im Eu Parlament eine sehr kurze wie prägnante Rede von 1 Minute oder so, https://youtu.be/zkiHXkricVU, passt super zum Thema 4. Gewalt… Hab nur noch gelacht und natürlich weiter geleitet… Sehen Sie sich das bitte an, es paßt wie A…auf Eimer!!!
Vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis zum Video. Es ist leider nicht mehr verfügbar bzw. abrufbar über den angegebenen Link. Gibt es eventuell eine andere Quelle?
Hier der Link von Sonneborn auf seinem Twitter-Kanal:
https://twitter.com/MartinSonneborn/status/1656311814521487365