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USA: Tit for Tat

Alles kommt zurück. Und manchmal ist es simpel. Als im Dezember 2018 die US-amerikanischen Demokraten ihre Zustimmung zu dem von Präsident Donald Trump vorgelegten Haushalt verweigerten, folgte der längste Shutdown in der US-Geschichte. (1) Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wurden ohne Bezahlung nach Hause geschickt und das Land lag bis zum 25. Januar 2019 insgesamt 35 Tage lahm. Anlass der Ablehnung durch die Demokraten war die beabsichtigte Schuldenhöhe. Grund war allerdings die Absicht, Präsident Trump einen schweren politischen Schlag zu versetzen.

Im Augenblick ist die Situation analog. Der demokratische Präsident Joe Biden hat einen Haushalt vorgelegt, dessen Schuldenvolumen um einiges über dem des Jahres 2019 liegt.

Deshalb, so die Argumentation der Republikaner, werde es ihrerseits keine Zustimmung dazu geben und die amerikanische Gesellschaft kann sich auf den nächsten Shutdown einstellen. Die volkswirtschaftlichen wie die politischen und psychologischen Schäden werden immens sein, aber das ist allen Akteuren bekannt. Nun sind es die Republikaner, die dem demokratischen Präsidenten einen rechten Haken verpassen wollen. Und die Motivation ist gestiegen, seitdem dieser seinen Entschluss bekannt gemacht hat, 2024 noch einmal zu kandidieren.

Das Prinzip des Tit for Tat

Die eine Seite dieser Abfolge von Verhaltensweisen sagt etwas aus über das Selbstverständnis der Akteure. Es ist weit entfernt von der Erzählung, dass die Gewählten in Demokratien als Mandatsträger das Interesse ihrer Auftraggeberinnen und Auftraggeber im Kopf haben. Zumindest in den USA ist man davon weit entfernt. Dort geht es um Macht, koste es, was es wolle.

Das Auftreten nach außen, das durch eine militärische Intervention nach der anderen und unzähligen Regime-Change-Operationen seit 1945 dokumentiert ist, hat sich auf die politische Kultur im Innern übertragen. Das, was zu zählen scheint, ist das rein destruktiv ausgelegte Prinzip des Tit for Tat; wie du mir, so ich dir. Was das mit dem Gemeinwesen macht, scheint die Protagonisten nicht zu interessieren, weder Trump noch Biden!

Die andere Dimension ist eine noch größere. Das tatsächliche Ausmaß der durch Schulden finanzierten amerikanischen Politik wird immer offenbarer. Die Kosten für die globale Dominanz (allein der jährliche Militärhaushalt hat eine Grenze von einer Billion Euro bereits überschritten), werden seit langem nicht mehr durch die eigene Wertschöpfung gedeckt. Die notwendigen Schulden und das Anwerfen der Gelddruckmaschinen sind allerdings nur so lange gewährleistet, wie der Dollar global als die allseits konvertible Geldwährung akzeptiert ist.

Panik statt Strategie

Dieses Prinzip ist seit der Weltfinanzkrise von 2008 zunehmend in Misskredit geraten. Und, auch das ist kein Zufall, seit dem Ukraine-Krieg und der von den USA im geostrategischen Kontext forcierten Polarisierung der Welt in den von den Vereinigen Staaten geführten Teil und dem Rest, wendet sich das Blatt.

Die Abwendung vom Dollar ist für die Existenz als einziger Hegemon auf diesem Planeten die größte Gefahr. Sie ist größer als ein militärischer Konflikt, was dessen Wahrscheinlichkeit erhöht. Der Handel innerhalb der BRICS-Staaten, die Signale Saudi-Arabiens hinsichtlich der Verabschiedung vom Petro-Dollar, die neue Verrechnungseinheit des SUR in Lateinamerika, all das sind Indizien für die wachsende Krise des Dollars und der amerikanischen Weltherrschaft.

In diesem Kontext ist der Streit der amerikanischen politischen Akteure nach dem Prinzip Tit for Tat, bei dem es um den einen oder anderen schwachen Präsidenten geht, ein markanter Beleg dafür, dass dort die Strategie der Panik gewichen ist. Kein gutes Zeichen. Gar kein gutes Zeichen.

Quellen und Anmerkungen

(1) Ein Government Shutdown (Stilllegung der Bundesverwaltung) ist in den USA die Lage, in der die Behörden der Bundesregierung ihre Tätigkeit zu großen Teilen einstellen und nur noch die als unerlässlich angesehenen Aufgaben erledigen. Der Staats- und Verwaltungsapparat fährt bei einem solchen Shutdown herunter, wenn die bisherige rechtliche Grundlage für die Bewilligung von Haushaltsmitteln ausläuft und sich Senat, Repräsentantenhaus und Präsident nicht rechtzeitig über weitere Haushaltsmittel einigen, indem sie ein entsprechendes Gesetz beschließen. Rechtsgrundlage für den Shutdown ist der Antideficiency Act von 1884, dieser wurde zuletzt 1982 geändert.

Die längste Haushaltssperre in der Geschichte der USA war mit 35 Tagen die über den Jahreswechsel 2018/2019 während der Präsidentschaft von Donald Trump wegen seiner Forderung nach staatlicher Finanzierung einer Mauer beziehungsweise eines Zauns an der Grenze zu Mexiko. Sie erreichte am 12. Januar 2019 den 22. Tag und überbot damit den 21-tägigen Stillstand zwischen Dezember 1995 und Januar 1996 in der Präsidentschaft von Bill Clinton. Dieser war durch einen Steuerstreit ausgelöst worden. Donald Trump erklärte die Haushaltssperre am 25. Januar 2019 vorläufig für beendet und unterzeichnete einen Übergangshaushalt bis zum 15. Februar, den Senat und Repräsentantenhaus zuvor gebilligt hatten.

(2) “Tit for Tat” ist eine englische Redewendung, die grob mit “Wie du mir, so ich dir” oder “Auge um Auge” übersetzt werden kann. In der Spieltheorie bezeichnet “Tit for Tat” eine auf dem Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit oder Wechselbezüglichkeit) aufbauende Strategie für iterierte Gefangenendilemmata; also einem Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung. Ein Spieler, der die Tit-for-Tat-Strategie anwendet, beginnt die Interaktion mit einem kooperativen (freundlichen) Spielzug. Danach macht ein Tit-for-Tat-Spieler jeweils den letzten Zug des anderen Spielers nach.

Foto: Jeff Finley (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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