James Blake. Ja, so hieß er. Blake gehörte zu jenen Menschen, die als beflissene Staatsdiener zu autoritären Arschlöchern werden, wenn es die Gesetzeslage erlaubt. Und die Gesetzeslage im US-Bundesstaat Alabama erlaubte in den 1950er-Jahren eine ganze Menge an Schweinereien, schrieb sie sogar verbindlich fest. Und so wunderte es nicht, dass der Busfahrer James Blake am 1. Dezember 1955 pflichtbewusst von seinem Fahrersitz aufstand, um eine afroamerikanische Frau aufzufordern, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen.
Bisher hatte er beim Herstellen der “natürlichen Ordnung”, wie sie in den Südstaaten selbstverständlich war, nie ein Problem gehabt. In diesem Fall jedoch reagierte die Frau auf seine Aufforderung mit einem simplen Nein.
Nein!? Blake drohte mit der Polizei. Die Frau ließ sich nicht beirren und blieb sitzen. Ihr Name war Rosa Louise Parks. Und natürlich konnte sie nicht wissen, dass ihr Nein in die Geschichte eingehen sollte. Genau genommen war es der Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die, so muss man ehrlicherweise sagen, ohne das beflissene Handeln des James Blake wohl noch ein wenig hätte auf sich warten lassen. Denn der Busfahrer machte seine Drohung wahr und rief tatsächlich die Polizei. Rosa Parks wurde noch an Ort und Stelle wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet, was den sogenannten Busboykott von Montgomery zur Folge hatte. (1)

Der Busfahrer James Blake und Parks hatten bereits 1943 eine Auseinandersetzung, als Parks sich weigerte, nach dem Ticketkauf wieder auszusteigen und hinten erneut einzusteigen, was für Schwarze verbindlich vorgeschrieben war. Seither hatte sie darauf geachtet, in keinem Bus mitzufahren, welcher von Blake gefahren wurde. Nun, das Schicksal wollte es anders.
Nachdem Rosa Parks festgenommen wurde, weigerten sich viele Schwarze, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Die Aktion zeigte Wirkung. Die fehlenden Kunden stellten die öffentlichen Verkehrsbetriebe vor ein Liquiditätsproblem, denn 70 Prozent ihrer Einnahmen steuerten die farbigen Fahrgäste bei. Diese bildeten jetzt Fahrgemeinschaften und nutzten Taxis, die ihre Preise aus Solidarität auf 10 Cent pro Fahrt gesenkt hatten. Ein großer Teil der Protestierenden ging auch einfach zu Fuß. Außerdem fanden sich in Montgomery über 300 Autofahrer, die eigene Stationen festlegten, an denen sie die Menschen abholten. Unterstützung kam auch von Martin Luther King, der die Proteste in eine friedliche Richtung lenkte.
Die Busunternehmen standen plötzlich vor dem Bankrott, sie mussten ihre Preise immens erhöhen, um die starken Verluste zu kompensieren. Gleichzeitig wurden viele Autofahrer, die kostenlose Fahrten anboten, verfolgt und bekamen Probleme mit ihren Versicherungen. Immer häufiger kam es zu Verhaftungen und Anklagen. Auch Martin Luther King wurde angeklagt, was international für ein enormes Medienecho sorgte – und wieder ging der Schuss nach hinten los …

Der 14. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten besagte, dass jeder das Recht auf einen gleichwertigen Schutz hat, ungeachtet der Rasse. Am 20. Dezember 1955 bestätigte das Oberste Gericht die Entscheidung des Bezirksgerichts und erklärte die Rassentrennung in den Bussen für rechtswidrig. Der von Rosa Parks ausgelöste Montgomery Bus Boykott war somit ein voller Erfolg und beendet.
Rosa hatte sich schon vor ihrem Nein positioniert und in der Bürgerrechtsbewegung “Platz genommen”. Sie, die 1913 in Tuskegee (Alabama) geboren worden war, musste schon früh erfahren, was es bedeutet, nicht von weißer Hautfarbe zu sein. Nachdem ihr sogar das Wahlrecht verweigert worden war, engagierte sie sich in der Bürgerrechtsbewegung National Association for the Advancement of Colored People (NAACP).
Die NAACP wurde 1909 gegründet und setzte sich seitdem für die Chancengleichheit farbiger Bürger und Bürgerinnen ein. Dieses Ziel verfolgte sie sowohl in kultureller, politischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht. Der größte Erfolg der Bewegung war die Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen 1954.
Parks Ehemann hatte sie davon abhalten wollen, für die Bürgerrechtsbewegung tätig zu werden, da er um ihre Sicherheit besorgt war. Seine Einwände blieben jedoch ohne Erfolg. Rosa war bei der NAACP zunächst als Sekretärin tätig und ab 1943 auch als Sozialarbeiterin. Die meisten Fälle, die sie bearbeitete, betrafen Männer, denen “unrechtmäßige Straftaten” vorgeworfen wurden. Dazu zählten die Vergewaltigung weißer Frauen, Einbruch oder Diebstahl. Häufig wurden diese Männer Opfer von Lynchjustiz.
Der wohl spektakulärste Fall, den Rosa Parks betreute, war der von Recy Taylor. (2) Die damals 24-Jährige war 1944 von sechs weißen Männern gemeinschaftlich vergewaltigt worden. Trotz mehrfacher Zeugenaussagen, die sich mit der Aussage von Recy Taylor deckten, weigerte sich die Justizbehörde, die Männer anzuklagen. Die NAACP wurde auf den Fall aufmerksam und schickte Parks nach Abbeville in Alabama, wo sich der Vorfall ereignet hatte. Nachdem Parks genügend Informationen gesammelt hatte, reiste sie nach Montgomery zurück. Die NAACP erreichte zwar, dass der Fall nationale Aufmerksamkeit erregte, dennoch landete er bei den Akten. Keiner der Männer wurde je angeklagt.

Als US-Präsident Bill Clinton Rosa Parks sehr viel später bei einem Empfang im Weißen Haus fragte, ob sie ihren Ruhestand genießen würde und wie glücklich sie sei, antwortete sie folgendermaßen:
“Ich glaube nicht, dass es so etwas wie komplettes Glück gibt. Es ist schrecklich, dass der Ku-Klux-Klan noch immer aktiv ist und dass es nach wie vor Rassismus gibt. Wenn jemand glücklich ist, gibt es nichts mehr, was man braucht und sich wünscht. An diesem Punkt in meinem Leben bin ich noch nicht angekommen.”
Rosa Parks starb am 24. Oktober 2005. Ihr schlichtes Nein im Linienbus von Montgomery gab der Bürgerrechtsbewegung den entscheidenden positiven Schub. Es stärkte das Selbstbewusstsein der Schwarzen und sorgte in der Folge für gravierende Veränderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger.
In meinem Buch Heroes, an dem ich gerade arbeite und in dem ich 50 Persönlichkeiten aus den letzten 150 Jahren ein Andenken setzen möchte, ist Rosa Parks ebenfalls vertreten. Meine Heroes sind Menschen, die sich dem zu allen Zeiten galoppierenden Wahnsinn unter hohen Risiken entzogen oder widersetzt haben. Menschen, die Auswege aufgezeigt haben, hin zu einer Gesellschaft, deren Zusammenhalt durch Toleranz und Verständnis geprägt ist. Wobei ich darauf achten werde, nicht ins oberste Regal zu greifen, wo die prominenten Namen lagern. Ich möchte auf jene Helden aufmerksam machen, deren Geschichte nicht schon überall breitgetreten wurde.
Quellen und Anmerkungen
(1) Die Afroamerikanerin Rosa Parks (1913 bis 2005) wurde am 1. Dezember 1955 in Montgomery (US-Bundesstaat Alabama) festgenommen, nachdem sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast freizumachen. Die Festnahme sorgte landesweit für Aufsehen. Die schwarze Bevölkerung der Stadt organisierte den Widerstand. Als Mittel diente ziviler Ungehorsam. Der Women’s Political Council organisierte für den 5. Dezember 1955, den Tag des Gerichtsverfahrens gegen Rosa Parks, einen eintägigen Boykott der öffentlichen Busse. Die schwarze Bevölkerung wurde aufgerufen, durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, der Nutzung von Taxis oder durch die Bewältigung von Wegstrecken zu Fuß, den Boykott zu unterstützen. Die Teilnahmequote lag bei beinahe 100 Prozent; die schwarze Bevölkerung stand geschlossen hinter dem Protest.
(2) Recy Taylor (1919 bis 2017) war eine Afroamerikanerin aus Abbeville (US-Bundesstaat Alabama). Im September 1944 wurde sie entführt und von sechs weißen Männern vergewaltigt. Die Verbrecher gaben ihre Tat zu, dennoch weigerten sich zwei Grand Jurys in Folge, die Männer anzuklagen. Das Verbrechen und die nachfolgenden Gerichtsfälle führten zu den ersten landesweiten Protesten der afroamerikanischen Gemeinschaft und gelten als einer der Auslöser der Bürgerrechtsbewegung.
Redaktioneller Hinweis: Das Essay von Dirk C. Fleck erschien erstmals im September 2022 bei apolut.net unter der Headline “Manchmal genügt ein schlichtes NEIN, um die Welt zu verändern“. Es wurde Neue Debatte vom Autor zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Hinweise, Anmerkungen und Fotos ergänzt.
Fotos: Damir Kopezhanov (Unsplash.com), USIA (National Archives and Records Administration Records of the U.S. Information Agency Record Group 306; gemeinfrei), Dick DeMarsico (World Telegram staff photographer – Dieses Bild ist unter der digitalen ID cph.3c26559 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar; gemeinfrei) und Tamiment Library (Robert F. Wagner Labor Archives; fair use).
Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).
Eine Antwort auf „Rosa Parks – Manchmal genügt ein schlichtes Nein, um die Welt zu verändern …“
Rosa Parks – Manchmal genügt ein schlichtes Nein, um die Welt zu verändern …
Das schlichte Nein von Rosa Parks im Linienbus von Montgomery im Dezember 1955 gab der US-Bürgerrechtsbewegung den entscheidenden positiven Schub. Es stärkte das Selbstbewusstsein der Schwarzen und sorgte in der Folge für gravierende Veränderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger.
Beitragsautor
Von Dirk C. Fleck
Hier meine Gedanken dazu:
Um moralischen Verhaltensnormen zu entsprechen, ist es grundlegend, daß Handlungsentscheidungen freiwillig getroffen werden und daß dabei respektiert wird, daß es notwendig ist, den in ihrer Konkretheit unendlich verschiedenen und einmaligen Einzelwesen, sinnvolles Zusammenwirken in wohlwollendem Miteinander und erträglichem Gegeneinander zu ermöglichen.
Britta Waldschmidt-Nelson stellt in einem Buch Martin Luther King, Jr., und Malcolm X als Gegenspieler vor: Beide kamen in den 1920er Jahren als Söhne schwarzer Baptistenprediger im amerikanischen Süden auf die Welt, beide wurden früh mit Rassendiskriminierung, Gewalt und Segregation konfrontiert, und beide avancierten in den 1950iger und 60iger Jahren zu den populärsten und umstrittensten Anführern der schwarzen Befreiungsbewegung in den USA. Doch die Wahl ihrer Mittel im Kampf um Gleichberechtigung unterschied sich radikal: Galt Martin Luther King Jr. als charismatischer Vertreter des gewaltlosen Widerstands und somit als legitimer Nachfolger Mahatma Gandhis, erschien Malcolm X vor allem der konservativen amerikanischen Öffentlichkeit als teufelgesandter Agitator, der eine blutige Revolution einforderte. So verpaßte Malcolm X Anfang der 60iger Jahre auch keine Gelegenheit, um King als „Marionette der weißen Machthaber“ zu bezeichnen, während sich der Friedensnobelpreisträger meist öffentlicher Kommentare über seinen Gegenspieler enthielt. In Wahrheit allerdings … ergänzten sich ihre Ideen in vielerlei Hinsicht, und die kollektive Energie im Kampf um Freiheit potenzierte sich im Spannungsfeld ihrer entgegengesetzten Meinungen. Erst die zweifache suggestive Wirkung ihrer unterschiedlichen Lehren und Aktionen ermöglichte die Verbesserung des Lebensalltags schwarzer Amerikaner.(Britta Waldschmidt-Nelson – Gegenspieler King/X) Das Suchen nach Wegen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und der immer dabei notwendige Kampf um Macht und Besitz, das Ringen um verstehen, verbrauchen und verändern sind allgegenwärtig im menschlichen Mit-, Gegen- und Füreinander. Um es als moralisch gerechtfertigt werten zu können, ist es notwendig zu untersuchen, ob dieses Ringen im Begreifen, Befriedigen und Bewahren oder im Beraten, Bemängeln und Beenden der Wirklichkeit endet.